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Pete Townshend

Robert Rotifer

ROBERT ROTIFER

HeartPete

Pete Townshend im Heartbeat-Interview: Warum ich heute zwei Stunden Sendezeit für mein Gespräch mit der größten Thesenschleuder der Rockmusik freigeräumt hab.

Von Robert Rotifer

Neulich geriet ich in den sozialen Medien in den Ansatz zu einer jener Meinungsverschiedenheiten, die man besser meidet, weil sie zu viel Zeit und Nerven kosten.

Mein Gegenüber äußerte darin den klassischen Killersatz, in der Rangliste der Dinge, die mich im Themenbereich „Weisheiten über Musikkritik“ auf die Palme bringen, ungefähr auf Platz zwei hinter „über Musik schreiben ist wie zu Architektur tanzen“ (googelt einfach Oskar Schlemmer), nämlich: „Manchmal ist Musik einfach nur Musik.“ Mit dem Nachsatz: „Zu Tode denken = dekonstruieren, bis alles nur noch Scheiße ist.“

Robert Rotifer moderiert jeden zweiten Montag FM4 Heartbeat und lebt seit 1997 in Großbritannien, erst in London, dann in Canterbury, jetzt beides.

Nun lebe ich seit etwas weniger als drei Jahrzehnten hauptsächlich genau davon, vielleicht bin also tatsächlich ich schuld daran, dass alles rund um uns nur noch Scheiße ist. Aber ich glaub’s nicht ganz (Überraschung!), denn das populäre Missverständnis in Bezug auf Musikkritiker*innen ist ja, dass das Zerreden an sich unsere Leidenschaft oder (bei Menschen mit wenig Ahnung von Honorarsätzen beliebte Unterstellung) unsere präferierte Methode der parasitären Bereicherung sei, und die musikalischen Sezier-Objekte, die wir uns dafür aussuchen, wären bloß unschuldige Opfer dieser perversen Energien.

Es gibt Musiker*innen, die sehen das ganz genau so. Van Morrison zum Beispiel glaubt mit ziemlicher Sicherheit, sein Album „Astral Weeks“ genösse genau dieselbe Verehrung, wenn Lester Bangs nie ein Wort darüber verloren hätte.

Und es gibt solche wie Pete Townshend, die ganz genau wissen, dass Musik niemals „einfach nur Musik“ sein kann. Dass alles an ihrem Schaffen über die Jahrzehnte im jeweiligen Kontext der Zeit nachhallt. Dass jedes Stück Musik sich, sobald es gehört wird, augenblicklich transformiert und zum Teil der Welt der/des Hörenden wird. Und dass sich daraus ein ganzer Kosmos ergibt, den zu beschreiben und zu versuchen zu verstehen mindestens genauso interessant und bereichernd sein kann wie die Musik selbst.

Als ich also ein Teenager war, boy out of time weil abgestoßen vom Großteil der Musik meiner Zeit, der trostlosen Achtzigerjahre, deren einzig erträglicher Soundtrack sich offensiv als dem Zeitgeist gegenläufig definierte, bestand ein großer Teil meines Gefühlshaushalts aus hilflosem adoleszentem Zorn, und zu dessen Kanalisierung schien sich insbesondere die damals kaum zehn bis zwanzig Jahre alte, aber gefühlt aus einer längst vergangenen Welt kommende Musik von Townshends Band The Who zu eignen.

Bald befiel mich das Verlangen, zu erfahren und zu erforschen, wo Songs wie die klingenden Jugendkultur-Manifeste „My Generation“ und „The Kids are Alright“, das mir damals wie eine Knobelaufgabe erscheinende Schein-versus-Sein-Spiel „Substitute“ oder die Pro-Kontra-Revolutions-Hymne „Won’t Get Fooled Again“ herkamen.

Ich kaufte mir Bücher wie „Maximum R&B“, die von Townshends Jugendfreund Richard Barnes geschriebene Biografie, der eine Schallfolie mit den Original-Demos von „My Generation“ und „Pinball Wizard“ beigelegt war, und lernte daraus, warum Pete 1968 „I don’t call our music pop anymore“ sagte, und was ein „Demo“ war (die nächste Investition war Townshends gerade erst erschienene Demo-Compilation „Scoop“, eine unschätzbar wertvolle Einführung in die Arbeit eines Songwriters mit eloquenten Linernotes vom Autor selbst).

Vor allem aber kaufte ich mir im Meki (Plattengeschäft) in der Wiener Operngasse die dort seit Monaten auf einen Käufer wartende VHS-Fassung der 1978 herausgekommenen Band-Doku „The Kids Are Alright“ um haarsträubende 400 Schilling und lernte in den kommenden Wochen und Monaten jeden der faszinierenden Interview-Ausschnitte darin auswendig.

Die in Townshends hohem nasalem Organ wiedergegebenen Weisheiten bestätigten meinen Verdacht, dass Pop-, okay Rockmusik Teil einer größeren Gedankenwelt war. Samt ihren inneren Widersprüchen.

Pete Townshend

CC-BY-2.0 - i threw a guitar at him - flickr.com/becc

CC-BY-2.0

In Woodstock gespielt und es scheiße gefunden zu haben. Als kaum Zwanzigjähriger auf die Frage, ob das Geständnis, dass man Drogen genommen habe, bedeute, dass die Band unter Drogeneinfluss („blocked up“) auf der Bühne stehe, zu antworten: „No, but it means we’re blocked up all the time.“

Und schließlich, königlicherweise, die Erklärung, die eigene Musik sei reiner „sensationalism“, so wie Pop ja überhaupt, und ja, auch die Backing Tracks der Beatles seien eigentlich ziemlich lausig, aber auch die eigene Musik habe keine Qualität: „It’s just basic (Pause) Shepherd’s Bush enjoyment.“ (vielleicht gehen die Zitate auch ein bisschen anders, so sind sie mir in den Kopf gebrannt).

Solche Sätze, geäußert in einer Zeit, als es weder Punk noch ernsthaften Pop-Diskurs gab, machten Townshend augenblicklich zu meinem Helden. Sie klangen in meinem Kopf wieder, wann immer irgendein Austropop-Futzi meinte, die Musik, die meine Freund*innen und ich machten, sei „unprofessionell.“ Was wussten die?

Derart angefixt nahm ich dann jedenfalls im Jahre 1984 mit meiner Schwester und zwei Freunden den Bus zum Boathouse in Twickenham, wo Townshend damals ein Studio und Büro betrieb, und bat um Audienz, meinen Mono-Kassettenrekorder in der Hand. Aber er war nicht da. Er war auf Urlaub.

Und erst diesen Oktober, 35 Jahre und Hunderte Interviews später, als ich in Los Angeles in einer Hotel-Suite sitzend darauf wartete, dass Townshend zur Tür herein kam, wurde mir endlich klar, dass – was immer ich mir zwischendurch eingeredet hatte – fast alles, was ich in meinem Leben seither gemacht hatte, auf diesen Moment und diesen Typen zurückging.

Der Typ, der mich über die Jahrzehnte mit seinen immer auf die jeweils spitzeste Pointe zustrebenden, popkulturellen Instant-Thesen mindestens genauso oft verärgert und frustriert wie beglückt hatte, kam schließlich zur Tür herein, sagte „Hello“, warf mir einen wissenden Blick zu („Ah, einer von denen, erkennt man sofort...“), und hörte die nächsten zwei Stunden nicht mehr auf zu reden.

Über seine Rolle als alter weißer Mann, dessen Musik vor allem von alten weißen Männern gehört wird, dessen eigene Horizonte aber wesentlich weiter sind. Über seine Kindheitstraumata. Über Greta und Radiohead. Über die Big Band seines Vaters. Über Richard Barnes und Kim (!) Moon. Darüber, wie es sein Verhalten verändert, mit Frauen auf der Bühne zu stehen. Über „unsere Straßen“ versus Boris Johnson und Donald Trump. Über den Autodestruktivisten Gustav Metzger als frühen Klimawandel-Aktivisten. Und alles mögliche mehr.

Ich hab mein heutiges Heartbeat für ihn freigeräumt. Wenn es irgendjemand da draußen nur ein winzig kleines Bisschen davon gibt, was ich als 14-Jähriger mit dem Finger am Play- und Pauseknopf des VHS-Rekorders geschenkt bekam, dann wär das großartig genug.

FM4 Heartbeat (22-0 Uhr)

Seit Robert Rotifer vor 35 Jahren mit seinem Kassettenrekorder vor Pete Townshends Tür stand, wartete er darauf, die größte Thesenschleuder der Rockmusik zu interviewen. Anlässlich des neuen Albums von The Who hat sich dieser Teenager-Wunsch endlich erfüllt. Und da das Gespräch gar so ergiebig war, ist daraus ein ganzes Townshend-Special geworden. Zu hören am 9. Dezember ab 22 Uhr im FM4 Heartbeat und gleich im Anschluss für 7 Tage im FM4 Player.

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