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Blumenaus Fußball- & Medien-Journal

Der hiesige Fußball-Journalismus und Tonio Schachingers Buch

Der für den deutschen Buchpreis nominierte, grandiose Roman „Nicht wie ihr“ von Tonio Schachinger zeigt dramatisch auf, wie gruselig der heimische Fußball-Journalismus aus Spieler-Sicht daherkommt. Und bietet idealen Diskurs-Stoff für Selbstkritik.

Von Martin Blumenau

Vorab: Das, was der Autor in dieser gleichzeitig groben und sensiblen Innensicht-Studie eines österreichischen Fußball-Legionärs mit Ex-Jugo-Wurzeln an sonst nicht gar so offen aus-/angesprochenen Wahrheiten versammelt, ist näher an der Wirklichkeit als fast alles, was Journalismus kann. Vor allem in Österreich, vor allem im Bereich Fußball, wo vieles an der Oberfläche bleibt; teils aus Absicht, um das vermeintlich gemeinsame Produkt nicht zu beschönigen, teils aus mangelnden Fähigkeiten und vor allem aus dem fehlenden gesellschaftlichen Mut, die offensichtlichen Leerstellen, die menschlichen, also dunklen Seiten überhaupt anzusprechen.

Was Ivo Trifunovic, die frei erfundene ÖFB-Ergänzung zu Marko Arnautovic über die Strukturen innerhalb des ÖFB und das Wesen der Medien zu erzählen hat, ist realsatirisch komisch und tiefenpsychologisch zugleich; und seine Schonungslosigkeit bietet Anlass zur Auseinandersetzung.

Ivo sagt, das Problem der Journalisten (die er nicht respektiert) ist, dass sie nicht verstehen, wie wertlos sie sind. Journalismus, sagt er, ist immer 2. Liga, „weil er nicht für sich steht, sondern immer etwas braucht, auf das er sich bezieht“. Es ist ein Nebengeräusch, spielt „keine Rolle, während man das Spiel natürlich nicht weglassen kann“.
Und dann wäre da noch der Punkt der Qualifikation: Er, der Starkicker, gehört nicht nur zu dem einen Prozent jener, die Fußball spielen wollen, die davon leben können, sondern auch wiederum zu dem einen Prozent der Elitespieler. Wenn die Journalisten „genauso ausgesiebt werden würden, dass nur einer von Hunderttausend dort sitzen und Fragen stellen dürfte, dann wäre es was anderes. Aber so, wie sie ihren Job machen, könnte es ein trainierter Affe auch“.

Alles stimmig, alles richtig.
Und gleichzeitig auch wieder nicht.

Richtig ist es für den Ausschnitt, den die Ivos und Markos in ihrem Medien-Alltag wahrnehmen, den schrillen, perfiden Boulevard, die an schneller Emotion interessierte Flash-Zone, die Gockel-Poserei bei Pressekonferenzen, die Message-Control-„Interviews“.

Nachvollziehbar ist auch Ivos fehlender Respekt angesichts einer auch noch offensiv ausgestrahlten, am Spiel mäßig interessierten Dumpfheit. So geht’s mir bei Medien-Journlisten, die sich - zuletzt wieder anlässlich der FM4-Übersiedlung - nicht durch Recherche-Ergebnisse oder gar abweichende Meinungen ihre schon davor feststehende Geschichte kaputtmachen lassen wollten.

Richtig ist die Beobachtung der fehlenden Qualifikation, was an der Struktur der meisten Medien, der internen Wertigkeit der Sportabteilung und dem Anspruch der Geschäftsführungen liegt. Sport ist Quote, ist Business, ist bezahlte Anzeige, und wer sich’s mit Playern wie dem ÖSV verscherzt, kriegt keine Homestory - weshalb der in Österreich ohnehin angesagte Verhaberungs-Journalismus im Sport noch einen Dreh (eigentlich zwei oder drei) verschärfter ist. Dazu kommt ein durch jahrzehntelange, generationsübergreifende, von Politik und Wirtschaft (mit Medienhilfe) betriebene Gehirnwäsche (Sport als patriotische Hirnausschaltpflicht) teilverblödete Öffentlichkeit. Und die meisten Menschen, die in allen anderen Lebensbereichen kritische Nachfrage-Distanz pflegen, halten sich den Sport bewusst als Stammhirn-Reflexzone frei. All das definiert den heimischen Sport-Journalismus; nicht zu seinem Besten.

... andererseits ...

Genauso viel an der so stringent, logisch und unbeeinspruchbar klingenden Ivo-These stimmt dann auch wieder nicht. Der Vergleich Fußballer - Sportjournalisten etwa: Das eine wollen Zehntausende werden, das andere ein paar Hundert. Dadurch ist die Percentage derer, die es schaffen, natürlich höher und das Level automatisch niederer, keine Frage. Aber natürlich gibt es Qualität - er bekommt sie nur nie zu Gesicht: Sie steckt in den Bereichen, die sich noch nie um ein Interview mit ihm bemüht haben, wo man außer eingelernten Phrasen nichts bekommt. Autor Schachinger hat ja - das ist die Falltür der Ivo-Analyse - nur jenen Ausschnitt beleuchtet, den sein Protagonist kennt.

Und dann ist da noch die populäre, gerne auch von Rechts-Außen-Disruptoren und anderen Autoritäts-Hörigen vertretene These von Journalismus als per se beziehungsloser, immer am Wesen der Berichterstattungs-Objekte orientierter Parasit.

Das mag durch die komplexe Verhaberungs-Struktur im heimischen Sport-Journalismus, wo allzu oft im Interesse von Staat, Ländern, Gemeinden, Wirtschaftsbetrieben, und auch Medienbetrieben selber operiert wird (hier ein Beispiel dafür), so in die Außenwirkung sickern. Das Wesen des Journalismus, seine Aufgabe als vierte Gewalt, als Teil des die Mächtigen kontrollierenden Mechanismus aber erfasst es nicht. Auch, weil in den Randbereich Sport vor allem in einem kleinen Medienmarkt wenig an Aufmerksamkeit und Ressourcen gesteckt wird.

Eine Rezension zu Tonio Schachingers Debütroman, der bei Kremayr & Scheriau erschienen ist, gibt’s hier.

Und auch der Gedanke, dass man alle „Nebengeräusche“ weglassen könnte, das Spiel hingegen nicht, ist nicht zu Ende gedacht: Ein Match, das nicht von einem Medium übertragen oder zumindest gelivetickert wird, findet nicht statt. Ohne Medien ist der moderne Fußball nichts weiter als ein lokales Ereignis, das die Besucher an diesem Ort miteinander geteilt haben. Würdigung erfährt es erst durchs Weitererzählen, durch die Geschichte darüber, die sich auch zu einem Narrativ, einem Spin auswachsen kann. Und der Geschichten-Erzähler, das ist der Journalist, mittlerweile auch zunehmend die Journalistin. Egal ob am Lagerfeuer, in den Pipifax-Spalten der Lokal-Blätter oder auf den großen Medien-Orgeln: Ohne Journalismus würde es auch keinen Arnautovic oder Trifunovic und auch keine Tschuschen-Debatten (oder Tschuch, wie der Deutsche sagt) geben.

Es täte der Branche also ganz gut, sich durch „Nicht wie ihr“ einmal auf der Meta-Ebene mit sich selber und dem Bild, das man - großteils zurecht - abgibt, ergebnisoffen, aber konsequenzversessen, auseinanderzusetzen. Diese Königsdisziplin des Geschichtenerzählens sollte nämlich zu mehr imstande sein als zum kichernden „Jaja, so ist’s wirklich!“-Schultergeklopfe.

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