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Rollstuhlbasketball Training Sitting Bulls Klosterneuburg

Florian Wörgötter

Rollstuhlbasketball: Block ’n’ Roll

Ein Besuch bei den Klosterneuburger Sitting Bulls zeigt, dass es beim Rollstuhlbasketball tuscht wie beim Autodrom. Nationalteam-Kapitän Matthias Wastian erklärt die wenigen Unterschiede zum „Fußgänger-Basketball“, ob man als Profisportler überleben kann und, dass in Kanada schon jeder zweite im Rollstuhlbasketball keine Behinderung hat.

Von Florian Wörgötter

Der Reifengummi quietscht auf dem Holzparkett. Der Wind der rollenden Räder weht einem ums Gesicht. Immer wieder krachen die Eisenstoßstangen aufeinander wie beim Autodrom, wenn sich die Sitting Bulls im Klosterneuburger Happyland aufwärmen.

Österreichs Meister im Rollstuhlbasketball beweist sein lockeres Verhältnis zum Thema Behinderung mit einem Namen, dessen Wortspiel sitzt: Sioux-Stammeshäuptling meets Chicago Bulls. „Der Rollstuhl ist für uns nichts anderes als ein Sportgerät und in keinster Weise ein Symbol für Behinderung“, sagt Mattias Wastian, mehrfacher Staatsmeister im Rollstuhlbasketball und Kapitän der österreichischen Nationalmannschaft.

Der Kärntner nennt seinen Sport eine „koordinative Challenge“, schließlich mache man alles mit den Händen – beschleunigen, bremsen, lenken, dribbeln, werfen, blocken, verteidigen. Seine muskulösen Arme wenden den Rollstuhl so flink, als würde er auf dem Parkett tanzen.

Häuptling Sitting Bull

Matthias Wastian, 36, lebt für den Basketballsport, seitdem sein Sportlehrer ihn mit 16 Jahren als ersten Rollstuhlfahrer im Schulteam spielen ließ. In seinem Brotjob als technischer Mathematiker errechnet Matthias mit Künstlicher Intelligenz und historischer Daten, wie wahrscheinlich Szenarien in Logistik und Gesundheit eintreten. Beim Basketball schaut er seinen Gegnern mit analytischer Intelligenz auf die Finger und berechnet darauf aufbauend neue Spieltaktiken.

Rollstuhlbasketball Training Sitting Bulls Klosterneuburg

Florian Wörgötter

Als Kapitän des Nationalteams war Matthias wesentlich beteiligt am diesjährigen Aufstieg in Europas Oberklasse. Leider musste sich die 12-Mann-Auswahl bei der A-Europameisterschaft im September doch schneller als erwünscht wieder in die B-Klasse verabschieden. Platz 11 reichte nicht zum Klassenerhalt, doch die Erfahrung bleibt.

Der eiserne Thron

Bevor Matthias sein Training beginnt, schwingt er sich von seinem Alltagsrollstuhl in seinen sonderangefertigten Sport-Flitzer mit ausgestellten Rädern. Eine Stoßstange aus Eisen dämpft die häufigen Karambolagen; Extra-Stützräder halten die Balance, denn durch Gewichtsverlagerung wird der Bewegungsablauf feingetunet. Daher das Wichtigste: gut anschnallen. Das Ratschen des Strappinggurts hallt durch das Happyland wie die Sprüche „Shot, Shot, Shot“, „Nice Foul“ und „Shit chair but good hands“.

Rollstuhlbasketball Training Sitting Bulls Klosterneuburg

Florian Wörgötter

Die Regeln des Rollstuhlbasketballs gleichen weitgehend jenen des „Fußgänger-Basketballs“, so nennt Matthias das Spiel ohne Rollstuhl: Fünf Spieler rollen pro Team übers Parkett, die Dreipunktelinie ist sieben Meter vom Korb entfernt, der Ball wird auch hinter dem Rücken gepasst. Ein wesentlicher Unterschied: Doppeldribbling ist erlaubt. Und: „Der Hesitation Step ist kein Schritt“, lacht Matthias einmal mehr mit besonders breitem Grinsen. Seine Wortwahl flutscht präzise wie seine Würfe durchs Netz.

Mechanische Studien belegen, dass im Rollstuhl der Kraftaufwand eines Freiwurfes (ca. 4 Meter Abstand zum Korb) jenem eines Dreipunkte-Wurfes im Stehen entspricht (ca. 7 Meter Abstand zum Korb). Ein Dreier also erfordert ordentlich Schmalz im Bizeps – und ohne diese Waffe ist heute keine Schlacht mehr zu gewinnen, meint Matthias und empfiehlt, dem US-Profi Matt Scott zuzusehen, dessen Dreierquote auch mit einem Stephen Curry mithalten könne, der mit seinen brandgefährlichen Distanzwürfen die NBA nachhaltig geprägt hat.

Achtung Fußgänger!

Das besonders Integrative dieser Spielart des Behindertensports: Nicht nur Menschen unterschiedlicher Beeinträchtigung spielen gemeinsam im Team, auch Menschen ohne Behinderung sind auf dem Platz willkommen – wenn sie sich in das Sportgerät Rollstuhl setzen. „Jeder kann mitmachen", sagt Matthias. „Die Inklusion wird großgeschrieben und ist eine wunderbare Sache.“

Rollstuhlbasketball Training Sitting Bulls Klosterneuburg

Florian Wörgötter

Ein Klassifizierungssystem gleicht die unterschiedlichen Beeinträchtigungen innerhalb der Teams aus: Je beweglicher ein Spieler ist, desto geringer seine Bewertung in Punkten. Spieler mit eingeschränkter Rumpfkontrolle etwa erhalten einen Punkt, gänzlich unbehinderte Spieler 4,5 Punkte. Insgesamt darf in Österreich jedes Team Spieler mit der Gesamtklassifizierung von 14,5 aufstellen. In gemischten Teams wird Frauen ein „Bonuspunkt“ abgezogen.

In der österreichischen Liga schätzt Matthias (2,5 Punkte) den Anteil von Nicht-Behinderten im Rollstuhl bei bescheidenen fünf bis sieben Prozent. Im Team der Sitting Bulls sei auch lediglich der Trainer hin und wieder im Einsatz. Völlig konträr funktioniere diese Aufteilung in Kanada, wo schon mehr als die Hälfte Nicht-Behinderte mit Rollstuhlsportlern Körbe werfen. „Es beeindruckt schon, dass in Kanada die Berührungsängste mit dem Sportgerät Rollstuhl quasi fehlen“, wundert sich Matthias.

Professionelle Amateure

Heute trägt Matthias ein altes Trainings-Jersey seines spanischen Ex-Vereins Getafe BSR. Im Vorort von Madrid spielte er 2015/16 als Profi in der ersten Liga. Damals verdiente Matthias monatlich immerhin 1.200 Euro, ein Gehalt, mit dem sich aber nur schwer für die Jahre nach dem Karriereende vorsorgen lässt. Die meisten Fulltime-Profis spielen in europäischen Ländern wie Spanien, Italien, Türkei und Deutschland, von denen ungefähr 50 Spieler auch langfristig Spitzengehälter verdienen würden, meint Matthias.

Rollstuhlbasketball Training Sitting Bulls Klosterneuburg

Florian Wörgötter

In Österreich, so schätzt der Wahlwiener, spielen insgesamt rund 150 Spieler und Spielerinnen Rollstuhlbasketball. Doch keiner von ihnen verdiene hierzulande Geld damit. Das höchste der Gefühle: „Fahrtkosten oder ein Abendessen.“ Zu gering sei das Medieninteresse, um große Sponsoren anzulocken. Wenn auch wenige namhafte Geldgeber bereits manche Europacup-Teilnahmen ermöglichen. Um die Reisekosten für alle Teams niedrig zu halten, werden die Spielrunden der vier Europaligen – Championsleague, EuroLeague 1 bis 3 – als mehrtägige Turniere in Russland, Spanien oder auch Klosterneuburg veranstaltet.

Doch der Österreichische Behindertensportverband (ÖBSV) habe mit einem eigenen Koordinator für das Rollstuhlbasketball ein positives Zeichen gesetzt und mit finanzieller Unterstützung auch zum Erfolg des Nationalteams beigetragen, sagt Matthias.

Fußgänger und Rollstuhlsportler, die Rollstuhlbasketball ausprobieren möchten, lädt Matthias zum Training der Sitting Bulls: jeden Montag, 18:30–20:30, Happyland Klosterneuburg.

Wer Rollstuhl-Action live erleben möchte: Bundesliga A: 21.12., Sporthalle Wolfsberg, Wolfsberg. EuroLeague 1: 13./14.3., Sporthalle Brigittenau, Wien.

Mehr Infos: www.sitting-bulls.at, www.obsv.at

Seid ihr alle da?

Was sich Matthias für den Behindertensport in Österreich noch wünscht? „Mehr mediale Aufmerksamkeit ist immer schön, aber am wichtigsten für jeden Sportler ist ein begeistertes Publikum“. Im Europacup spielen die Sitting Bulls vor großen Zuschauermengen, jedoch in manchem Liga-Vorrundenspiel würden lediglich drei Familienangehörige am Spielfeldrand zuschauen. Daher: „Richtig cool wäre, wenn unsere Gesellschaft irgendwann so weit ist, dass sie keinen Unterschied mehr macht, ob sie am Wochenende mit ihrer Familie ein Basketball-Match anschaut oder ein Rollstuhlbasketball-Match“.

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