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Ein Ausschnitt aus dem Ibiza-Video

APA/Speigel/Süddeutsche Zeitung/Harald Schneider

Frederik Obermaier: „Vermisse den Blick auf das Gesamtbild“

Das innenpolitische Jahr kann man mit einem Wort beschreiben: Ibiza. Losgetreten wurde alles am 17. Mai um 18 Uhr: Süddeutsche Zeitung und Spiegel veröffentlichen das heimlich aufgenommene Video. Einer der Hauptverantwortlichen dieser Recherche ist Frederik Obermaier von der Süddeutschen Zeitung. Er hat mit uns über das wichtigste Ereignis seines Jahres gesprochen.

Von Lena Raffetseder

FM4: Wenn Sie an das Wochenende Mitte Mai zurückdenken, wie ist das aus Ihrer Sicht abgelaufen?

Frederik Obermaier: Komplett verrückt. Das Wochenende werde ich nie vergessen. Wir haben veröffentlicht und ich dachte, dass es ein relativ ruhiges Wochenende wird. Und dann haben sich die Ereignisse überschlagen. Wir haben im Fernsehen gesehen, wie am Ballhausplatz getanzt wird. Wie auf einmal ein Eurodance-Klassiker zur Nummer eins geworden ist. Und dann die Reaktionen zu sehen, das war sehr interessant.

Die Vengaboys treten am Ballhausplatz auf

APA/Lukas Hutter

Die Vengaboys treten Ende Mai am Ballhausplatz auf

Ihre Recherchen haben dazu geführt, dass die Regierung auseinander gegangen ist, dass ein lang dienender Parteichef zurückgetreten ist und das Comeback der Vengaboys haben Sie schon erwähnt. Haben Sie bei der Veröffentlichung mit solchen Folgen gerechnet?

Ich dachte schon, dass die Veröffentlichung Folgen haben wird. Dass sich Herr Strache und Herr Gudenus Fragen der Öffentlichkeit und womöglich auch der Behörden stellen müssen. Dass es so schnell geht, dass sie zurücktreten, dass Herr Gudenus aus der Partei austritt, dass es so schnell Neuwahlen gibt, das hat mich schon überrascht.

Wie geht’s einem damit, wenn die eigenen Recherchen so viel lostreten?

Das ist ein komisches Gefühl, das zu sehen nach so einer Veröffentlichung. Gleichzeitig denk ich mir immer, das war ja eigentlich nicht unsere Arbeit. Die Regierung ist nicht gestürzt durch die Arbeit der SZ oder des Spiegel. Die Regierung ist gestürzt, weil es da zwei hochrangige Politiker gab, die sich einer vermeintlichen Oligarchennichte quasi zu Füßen gelegt haben, ihr halb Österreich zum Kauf angeboten haben und offensichtlich korrupte Handlungen in Aussicht gestellt haben.

Empfinden Sie so etwas wie Genugtuung, dass die beiden damit nicht durchgekommen sind. Oder gar Freude, wenn Sie das dann aufdecken können?

Genugtuung oder Freude, das wäre das falsche Wort und auch das falsche Gefühl. Man muss auch ganz klar sagen, dass es die FPÖ erwischt hat, war, weil es FPÖ-Politiker gemacht haben. Wenn es Politiker der Grünen oder der SPÖ gewesen wären, hätten wir genauso drüber berichtet, genau in dem Umfang. Da schwingt keine parteipolitische Zuneigung oder Abneigung mit, sondern es ist als Journalist unser Job, den wir gemacht haben und wenn man dann sieht, dass es aufgenommen wird, dass Leute so eine Geschichte lesen, dann ist das besser, als wenn es ein Schulterzucken geben würde. Aber Freude find’ ich ist zu viel, das wär falsch.

Hat Sie überrascht, was seit dem Rücktritt Straches und dem Ausrufen der Neuwahl innenpolitisch in Österreich passiert ist?

Die Journalisten der Süddeutschen Zeitung Bastian Obermayer und Frederik Obermaier

Stephanie Füssenich

Bastian Obermayer und Frederik Obermaier (rechts) von der Süddeutschen Zeitung

Am meisten überrascht mich, wie der Fokus weggewandert ist. Wie hier in Österreich sehr viel über vermeintliche und tatsächliche Hintermänner gesprochen wird, wie gemutmaßt und spekuliert wird. Während sich eigentlich in dem Bereich, der in meinen Augen der zentrale ist, nicht genug passiert ist - nämlich was haben Herr Strache und Herr Gudenus da in Aussicht gestellt, und wo gibt’s Indizien dass das vielleicht schon in Teilen vollzogen wurde: sprich Tarnvereine, um Spenden der Partei zufließen zu lassen, Casino-Affäre, Spesenaffäre, es gibt genug Dinge, die in meinen Augen aufgeklärt gehören und dennoch sehe ich bei Teilen der Medien und der Bevölkerung eine extreme Fixierung auf die Macher des Videos.

Die Veröffentlichung ist jetzt über ein halbes Jahr her, gibt’s Dinge aus dem Video, denen man mehr Beachtung schenken müsste?

Ich vermisse oft den Blick für das Gesamtbild: Was ist auf Ibiza passiert und die Einordnung. Ich sehe die Tendenz, dass man wiedergibt was Herr Strache und Herr Gudenus gerade behaupten, auch wenn es ziemlich leicht überprüfbar wäre, dass das ein Schmarrn ist in großen Teilen. Das entsetzt mich ein bisschen, weil ich glaube, das hat einen Widerhall-Effekt. Die beiden wissen, was sie verbreiten müssen, das wird dann wieder von diversen Medien aufgegriffen und so wird es immer wieder verstärkt und es gerät dadurch komplett in den Hintergrund, was eigentlich im Zentrum der Ibiza-Affäre stand, im Zentrum der Ibiza-Affäre standen Herr Strache und Herr Gudenus. Punkt.

Man verliert sich halt schnell in Details, man verliert den Überblick. Da kann ich schon verstehen, dass Leute einfach wissen wollen: Wer hat das Video gemacht. Wie kommt man aus dem Dilemma raus?

Ich glaub auch, dass es nur natürlich ist, die menschliche Neugierde, dass man das wissen will, dass man es gerade in Österreich wissen will. Ich muss aber immer für Verständnis bitten für meine Situation. Wir werden als SZ nicht offenlegen, wer uns das Video zugespielt hat, das steht unter Quellenschutz, so sehr das manche ärgern mag. Aber nur weil wir den Quellenschutz hochhalten, werden uns solche Sachen auch zugespielt. Da hoff ich auf Verständnis und hoff auch, dass da eingeordnet wird, was weiß man eigentlich und was ist reine Spekulation und was sind ungeprüfte Gerüchte.

Korruption und Österreich – wie würden Sie diese Beziehung beschreiben?

Ich möchte mir kein allgemeines Urteil über Österreich erlauben, auch wenn ich die Nachrichten verfolge, auch abseits der Ibiza-Affäre, und da sehr oft das Wort Korruption vorkommt. Jetzt im Fall von Strache und Gudenus fand ich es schon bemerkenswert, aber im negativen Sinne. Schockierend, dass zwei Politiker, die in einer so gehobenen Stellung in Österreich waren, korrupte Praktiken in Aussicht stellen. Von einem Politiker erwarte ich, dass wenn er sich überhaupt mit einer vermeintlichen Oligarchennichte trifft, dass er spätestens dann aufsteht, wenn davon die Rede ist, dass Geld aus dubioser Herkunft ist. Wenn von Korruption die Rede ist, dann muss ein Politiker, egal welcher Couleur, aufstehen. Herr Gudenus und Herr Strache sind aber sitzen geblieben, stundenlang.

Welche Ereignisse haben Ihr Jahr geprägt? Wir in Österreich gehen natürlich davon aus, dass es das Ibiza-Video gewesen sein muss, stimmt das?

Journalistisch war das schon für mich das wichtigste Projekt, das ich dieses Jahr gemacht habe. Vor kurzem saß ich an einer Recherche, die mir auch persönlich sehr wichtig ist, ein Missstand, der lange unterbeleuchtet war. Da ging’s um die Internierungscamps im Nordwesten von China, wo mehr als eine Million Menschen willkürlich in Haft gehalten werden. Aber trotzdem, Ibiza war ganz klar das dominierende Thema in meinem Berufsleben.

Wo reiht sich das Ibiza Video in ihren bisherigen Recherchen und Enthüllungen ein?

Es ist eine Staatsaffäre, das muss man ganz klar sagen, wo jetzt hochrangige Politiker zur Verantwortung gezogen werden und das gab’s bei früheren Recherchen auch. Da muss man jetzt genau hinschauen und das werd’ ich sicher im Auge behalten. Für mich persönlich ist es gleichzeitig aber eine der Recherchen, die mir persönlich dahingehend am nächsten ist, weil ich an der Grenze aufgewachsen bin, bei Salzburg, ich hab FM4 gehört, ich hab ORF geschaut und deswegen hab ich halt die Politik sehr, sehr genau verfolgt, genauer als beispielsweise Politik in Island oder Pakistan, wo die Panama Papers große Folgen hatten.

Sie haben Heinz Christian Straches Verhalten am Video stundenlang studiert, sind da in seine Welt eingetaucht. Wie glauben Sie geht es 2020 weiter für Herr Strache?

Das ist jetzt wirklich nur eine ganz persönliche Einschätzung, ich glaube nicht, dass er sich komplett aus der Politik verabschieden wird. Für viel wahrscheinlicher halte ich es, dass es eine Liste HC, eine Liste Strache, geben wird und er weiter die Politik in Österreich zumindest versuchen wird mitzubestimmen.

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