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todor ovtcharov

Kafkas Herd

Nach langem Überlegen wähle ich einen Herd aus: nicht zu klein und nicht zu groß, nicht zu teuer und nicht zu billig. Ich bestelle ihn. Danach bekomme ich eine Bestellbestätigung, dass mein Herd dort hin geliefert wird, wo ich vor zwei Jahren gewohnt habe.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Mein Herd hat den Geist aufgegeben. Wenn dein Essen ungebacken bleibt ist es ähnlich wie wenn man nackt und eingeseift in der Duschkabine steht und das Wasser plötzlich nicht mehr fließt.

Man beruhigt sich, da man sich heutzutage alles kaufen kann. Von einem Herd bis zu einem Kampfjet. Nach längerer Überlegung wähle ich einen Herd aus: nicht zu klein und nicht zu groß, nicht zu teuer und nicht zu billig. Ich bestelle ihn. Es stellt sich heraus, dass ich bereits vor zwei Jahren eine Waschmaschine vom gleichen Händler online gekauft hatte. Man hofft, dass man als loyaler Kunde eine Ermäßigung bekommt. Danach bekomme ich eine Bestellbestätigung, dass mein Herd dort hin geliefert wird, wo ich vor zwei Jahren gewohnt habe.

Ich rufe im Callcenter des großen Elektrowarenkonzerns an und erkläre, dass an dieser Adresse niemand einen Herd braucht. Von der anderen Seite wird mir sehr höflich erklärt, dass sie aus Datenschutzgründen die Adresse der Lieferung nicht ändern können. Deshalb wird mein Herd dort geliefert, wo ich seit zwei Jahren nicht mehr lebe. Ich frage den Mitarbeiter des Callcenters, ob er sich die Verwunderung der neuen Mieter meiner alten Wohnung vorstellen könnte, wenn sie einen nagelneuen Herd, hergestellt in China bekommen. Er antwortet freundlich, dass es nicht seine Arbeit sei sich die Verwunderung von irgendjemand vorzustellen und dass er kein Psychologe sei.

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Ich platze vor Wut und halte mich mühsam zurück nicht stärkere Worte zu verwenden, doch der Callcenter Mann trägt keine Schuld. Er sitzt irgendwo in Indien in Flip-Flops und wartet auf den Schichtschluss um zu seinen drei Kindern zu fahren. Da ich nichts erwiderte, wurde von ihm als ein Zeichen der Schwäche wahrgenommen und ich wurde wieder gefragt, ob man den Herd zu meiner alten Adresse liefern sollte. Der Herd war sowieso schon unterwegs und ich könnte die Lieferung sogar verfolgen. Nein ich habe kein Interesse den Herd zu verfolgen, wie er gerade von Guangzhou nach Leipzig fliegt um durch Bratislava nach Wien zu meiner alten Adresse zu gelangen.

Ich will, dass der Herd zu mir kommt, damit ich mein Essen fertigbacken kann. Der Mann vom Callcenter wünscht mir frohe Weihnachten und viel Glück mit meinem neuen Herd. Ich schaffe es mit letzter Mühe meine Bestellung zu stornieren. Ich stelle mir vor, wie das Flugzeug, in dem sich mein Herd befindet plötzlich umdreht um zurück nach Guangzhou zu gelangen. Ich richte den Callcenter Angestellten aus, dass ich froh bin, dass ich nie wieder mit ihm sprechen werde. Er wünscht mir noch einmal frohe Weihnachten.

Ich bin sehr hartnäckig und kaufe mir den gleichen Herd ein weiteres Mal. Die Weihnachtsaktion gilt jetzt für einen anderen Herd und meiner kostet um 100 Euro mehr. Ich fühle mich geistig mit diesem Herd verbunden und ich kann den neuen Preis schlucken. Ich bestelle mir den Herd inklusive Anschluss und Altgeräteabtransport. Zwei starke Männer bringen den Herd und weigern sich den alten mitzunehmen. Die Aktion gilt nur für Herde der gleichen Marke.

Ich finde einen Elektriker, der meinen neuen Herd für zusätzliche 150 Euro in 15 Minuten anschließt. Mein alter Herd steht mitten im Wohnzimmer. Ich rufe im Callcenter an um nach einem Abtransport zu verlangen. Ich erreiche den gleichen Mitarbeiter, mit dem ich schon vorher gesprochen habe. Ich fühle die Ironie in seiner Stimme und weiß, dass er seine Flip-Flops ausgezogen hat aus Freude, dass er wieder mit mir spricht. Natürlich werden sie meinen alten Herd gerne mitnehmen. Ich müsste ihn nur zu meiner früheren Wohnung bringen.

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