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Buch "Tausen Zeilen Lüge" stehend

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Tausend Zeilen Lüge

Am 18. Dezember 2019 wurde Juan Moreno in Deutschland als „Journalist des Jahres“ ausgezeichnet. Ein Jahr zuvor hat er mit seinen Recherchen seinen Arbeitsplatz beim Spiegel riskiert. Juan Moreno hat den Hochstapler Claas Relotius auffliegen lassen und darüber das Buch „Tausend Zeilen Lüge. Das System Relotius und der deutsche Journalismus“ geschrieben.

Von Zita Bereuter

„Tausend Zeilen Lüge“ beginnt mit einem Preis - mit dem Reporterpreis 2018. Der Journalist Claas Relotius soll ihn am 3. Dezember 2018 bekommen. Zum vierten Mal in fünf Jahren. Relotius ist der Superstar unter den Reportern. Gerade mal 32 Jahre alt und schon über 40 Preise erhalten, darunter den „Österreichischen Zeitschriftenpreis“ und den Titel „CNN – Journalist oft he year“.
Darüber hinaus scheint Claas Relotius immer ruhig, höflich, bescheiden und ist mit seiner sanften Art überaus beliebt.
Außerdem äußerst fürsorglich: als ihm eine Fixanstellung im Spiegel angeboten wird, sagt er dankend ab. Er möchte sich lieber um seine jüngere Schwester kümmern können, die an Krebs erkrankt ist.

Eine Karriere, die nur eine Richtung zu kennen scheint: die nach oben. In Kürze würde Relotius Ressortleiter beim Spiegel werden. Er war, wie Joan Moreno meint „am Ziel“. Als Ressortleiter würde Relotius keine Reportagen mehr schreiben, seine letzte große Reportage im Spiegel erscheint am 16. November 2018: „Jägers Grenze“. Eine Gemeinschaftsarbeit mit Juan Moreno, wobei Redaktionsintern klar ist, dass Relotius „zusammenschreibt“, dass er also „der Häuptling“ sein solle, dem Moreno quasi zuarbeitet.

Porträtfoto von Juan Moreno

Mirco Taliercio

Juan Moreno, geb 1972 in Andalusien, freier Journalist, arbeitete u.a. für die „Süddeutsche Zeitung“ und den „Spiegel“. Journalist des Jahres 2019

„Jägers Grenze“ erzählt von den Flüchtlingsströmen die an, bzw. hinter der mexikanischen Grenze auf amerikanische Bürgerwehren stoßen. Murano war mit dem Flüchtlingstross unterwegs und begleitete eine Honduranerin. Relotius nahm Kontakt zu den Bürgerwehren auf und traf auf einige schräge rechte Spinner. Die sind mit Medienkontakten üblicherweise sehr zurückhaltend, Relotius schafft das allerdings in wenigen Tagen. Es gelingt ihm sogar, diese zu fotografieren.

All das ließ die Zweifel bei Juan Moreno wachsen.
Eifersucht und Eitelkeit sind sicher auch im Spiel, als Juan Moreno auf eigene Faust erneut in den USA recherchiert. Und schnell findet er heraus, dass die Dinge, die Claas Relotius so lässig recherchiert und geschrieben hat, nicht so stimmen können. Diese Wahrheitsfindung ist eine komplizierte Sache, noch viel komplizierter ist es allerdings, die Chefitäten beim Spiegel von diesen Fakten zu überzeugen. Ihnen beizubringen, dass Claas Relotius ein Hochstapler und Lügner ist. „Sagen, was ist“, wie es der Slogan vom Spiegel ist, scheint geradezu unmöglich, denn äußerst geschickt versteht es Relotius, Ausreden und Erklärungen für seine Recherchen zu finden. Juan Moreno steht als eifersüchtiger Lügner da und schafft nur mit viel Mut durch den Gegenwind zur Wahrheit zu gelangen.
Am 19. Dezember 2018 platzt die Bombe, der Spiegel veröffentlich den Skandal. Claas Relotius hat Interviews erfunden, abgeschrieben, gefälscht und gelogen.

Buchcover "Tausend Zeilen Lüge"

rowohlt

Juan Moreno: Tausend Zeilen Lüge. Das System Relotius und der deutsche Journalismus. Rowohlt Berlin 2019

oder 8 Stunden und 47 Minuten als Hörbuch - gesprochen von Richard Barenberg beim Argon Verlag

Michael „Bully“ Herbig will „Der Fall Claas Relotius“ verfilmen.

Davon erzählt „Tausend Zeilen Lüge. Das System Relotius und der deutsche Journalismus“. Von dem Fall Relotius. Von dem Fälscher, Lügner und Hochstapler.
Aber auch davon, wie Journalismus gegenwärtig funktioniert, wie LeserInnen funktionieren und warum es populistische Journalisten dabei einfach haben.
„Es scheint aber auch Lesern nicht so wichtig zu sein, dass Texte fehlerfrei sind – wenn sie nur kostenlos sind.“

Juan Moreno erklärt, warum so etwas passieren konnte – gerade oder ausgerechnet beim „Spiegel“, wo man sich eigene Faktenchecker gönnt, die Relotius gefinkelt um den Finger wickelte. Im „Spiegel“ war man über dieses Buch nahliegend alles andere als erfreut.
„Der ‚Spiegel‘ wird es nicht mögen. Das kann ich versprechen.“ prophezeit Moreno.

Der Spiegel hat reagiert und nachrecherchiert. Auf 220 Seiten hat man dort „Die Original-Texte und die Ergebnisse der Überprüfung“ aufgelistet und man findet auch leicht alle Beiträge zum Fall Claas Relotius im Spiegel.

Nicht alle Reportagen von Claas Relotius waren gefälscht. „Die wenigen schlechten Texte des Claas Relotius sind höchstwahrscheinlich echt.“ schreibt Joan Moreno wohl mit einer gewissen Genugtuung.

„Tausend Zeilen Lüge“ liest sich wie ein Krimi, aber auch wie eine lange Spiegelreportage: spannend, informativ und aufschlussreich. Es geht hier nicht nur um einen Journalisten, der in seinen Reportagen übertreibt oder lügt. Es geht um ein System. Ein System, das es zu erkennen gilt.
Ach ja, Claas Relotius hatte nie eine Schwester.

Claas: Forderung auf Unterlassung

Am 22. Oktober stellt der Anwalt von Claas Relotius eine Forderung auf Unterlassung. An mehreren Stellen komme es zu „erheblichen Unwahrheiten und Falschdarstellungen“, behauptet er. Der Verlag schreibt in einer Stellungnahme, dass weder die Beweise noch die Darstellung der Ereignisse in Frage gestellt werden. „Zu den behaupteten ‚erheblichen Unwahrheiten und Falschdarstellungen‘ zählt etwa der Umstand, ob die Bürotür von Claas Relotius stets geschlossen war oder nicht.“
Es sind also wohl Kleinigkeiten, dennoch gibt Juan Moreno in Folge auch wenig Interviews.

Moreno: Journalist des Jahres

Am 18. Dezember 2019 wird Juan Moreno von der Fachzeitschrift „Medium Magazin als „Journalist des Jahres“ ausgezeichnet. In der Jurybegründung heißt es: „Moreno zeigte als Reporter die Hartnäckigkeit des gründlichen Rechercheurs und ehrlichen journalistischen Handwerkers. Zudem bewies er den Mut, für die Wahrheit persönlich viel aufs Spiel zu setzen, da ihm zunächst niemand glauben wollte.“ Und weiter „Letztlich hat Morenos Enthüllungsgeschichte die journalistischen Standards für Authentizität, Transparenz und Belegbarkeit von Recherchen im ganzen Land umgekrempelt.“
Bleibt zu hoffen, dass dem noch lange so ist.

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