Zu Weihnachten Fertignudelsuppe und Fischkonserven?
Eine Kolumne von Todor Ovtcharov
Wolken schwammen am Himmel. Eine Wolke sah aus wie ein Boxhandschuh. Die zweite Wolke hatte die Form von einem Stück Käse, von dem etwas abgebissen war. Man sah klar die Spuren der Zähne.
Radio FM4
Ich fing an, tief die Luft der Nacht einzuatmen. Es roch nach unterschiedlichen Speisen. Der erste Atemzug roch nach Zimt. Irgendwer hat gerade einen Weihnachtskuchen gebacken. Beim nächsten Mal Luftholen fing ich den Geruch einer Ente oder vielleicht einer Gans ein, so fein kann ich sie nicht voneinander unterscheiden. Ich kann sie nicht mal unterscheiden, wenn ich sie vor mir sehe. Mein dritter Atemzug roch nach Fisch und Schokolade. Danach hörte ich auf, die Luft zu kosten, da ich riskierte, dass es mir schwindelig würde. Ich stellte mir Tausende Menschen vor, die gerade am gut gedeckten Weihnachtstisch saßen. Sie hatten vorher gekocht, gebacken und gebraten. Schöne Weingläser wurden gefüllt.
Ich sah wieder in den Himmel. Die Wolke, gerade noch wie ein Stück Käse, hatte sich in ein riesiges Auge verwandelt. Der Himmel weinte.
Ich musste zurück in die Arbeit. Die Obdachlosen in der Notschlafstelle, wo ich arbeite, bekommen zu Weihnachten Fertignudelsuppe und Fischkonserven. Sie sind dafür dankbar. Jesus hat einmal die Menge mit fünf Broten und zwei Fischen gefüttert, und es blieb viel übrig. Was habt ihr heuer von eurem Weihnachtsessen den wirklich Hungrigen gegeben?
Ich dachte, ich sähe tatsächlich einen neuen Stern am Weihnachtshimmel. Es war aber ein Flugzeug, das außergewöhnlich leise über Wien flog.
Publiziert am 25.12.2019