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Sebastian Kurz und Werner Kogler vor Österreich- und EU-Flagge

Photo by ALEX HALADA / AFP

Das wissen wir über die Migrationspolitik der türkis-grünen Regierung

Kopftuchverbot, Deutschklassen, Sicherungshaft. Viele Vorhaben der ÖVP-FPÖ Regierung haben es auch in das Programm der neuen türkis-grünen Koalition geschafft. Wieso das so ist und welche Auswirkungen die geplanten Reformen haben könnten, erklärt Kulturwissenschaftlerin Judith Kohlenberger vom Insitut für Sozialpolitik der Wirtschaftsuniversität Wien.

Von Ali Cem Deniz

Die ÖVP und die Grünen haben sich auf eine neue Regierung geeinigt. Zum Abschluss der Verhandlungen treten die Parteichefs Sebastian Kurz (ÖVP) und Werner Kogler (Grüne) vor die Presse.

94 Tage haben die Verhandlungen zwischen ÖVP und Grüne gedauert. Entstanden ist eine auf Bundesebene bisher einzigartige türkis-grüne Koalition. Die ersten durchgesickerten Details aus dem gemeinsamen Regierungsprogramm zeigen neue Ansätze in der Klimapolitik und das Wiederauferstehen von alten Vorhaben der ehemaligen türkis-blauen Regierung. Das Wahlergebnis spiegelt sich nicht nur bei der Vergabe der Ministerien wider, sondern auch in der inhaltlichen Ausrichtung der neuen Regierung.

In einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Werner Kogler sagte Sebastian Kurz, dass es möglich sei „die Grenzen und das Klima“ zu schützen. Für die Kulturwissenschaftlerin Judith Kohlenberger könnte dieser Satz zum Slogan der türkis-grünen Koalition werden.

Radio FM4: „Es ist möglich Grenzen und das Klima zu schützen,“ hat Sebastian Kurz gestern gesagt. Wie kann man das interpretieren?

Judith Kohlenberger: Ich habe diesen Satz gleich als sehr interessanten Slogan für die kommende Regierung empfunden. Insofern, als es eine Fortsetzung einer Gleichsetzung von geflüchteten Menschen und Naturkatastrophen ist. Wir erinnern uns alle an 2015 und die sprachlichen Bilder, die damals auch von der Politik vorangetrieben wurden. Flüchtlinge als Welle, als Flut, als Ansturm. So ein Slogan setzt natürlich diese sprachliche Gleichsetzung fort. Da wird es interessant zu sehen, wie sich das nicht nur auf die rhetorischen, sondern auch auf der inhaltlichen Ebene niederschlägt.

Pressestatement: Einigung auf Bundesregierung

Das neu eingeführte Integrationsministerium geht nicht an die Grünen, sondern an Susanne Raab von der ÖVP. Was sagt diese personelle Entscheidung über die zukünftige Migrationspolitik aus?

Ich finde es begrüßenswert, dass man zum ersten Mal ein eigenes Integrationsministerium geschaffen hat. Ich glaube daraus kann man durchaus auch ablesen, auch wenn es nicht so intendiert wart, dass man sich zu Österreich als Einwanderungsland bekennt. Es ist auch eine interessante Schwerpunktsetzung, dass eine Person ohne Migrationshintergrund dieses Ministerium leitet, dafür aber die erste Ministerin mit Migrationshintergrund, Alma Zadic, ein eigenes Ressort leitet. Es ist durchaus begrüßenswert, dass die Integrationsagenden nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund leiten dürfen, sondern dass wir eine stärkere Durchmischung sehen.

Generell ist es so, dass wir von der Schwerpunktsetzung von Susanne Raab nicht viel wissen. Was durchgedrungen ist, ist dass man auf jeden Fall innerhalb dieses Integrationsministeriums die inhaltliche Linie fortsetzen möchte, die konsequente Linie im Kampf, wie es heißt, gegen Parallelgesellschaften und den politischen Islam. Ich glaube da muss man schon kritisch sagen, dass Integration mehr ist als ein Kampf gegen etwas, sondern auch ein Bemühen um etwas. Um auch etwas Positives anzumerken: Susanne Raab ist in der Vergangenheit damit aufgefallen, dass sie die Zentralität von Frauen als Motoren für die Integration betont hat. Da erhoffe ich mir mehr als nur ein reines Kopftuchverbot, sondern ganz konkrete Maßnahmen, die gerade Frauen mit Migrationshintergrund zugut kommen.

Stichwort Kopftuchverbot für Schülerinnen. Das soll weiter ausgeweitet werden. Wie wirkt sich das auf Integration von muslimischen Mädchen aus?

Judith Kohlenberger

Radio FM4

Judith Kohlenberger ist promovierte Kulturwissenschaftlerin und forscht an der Wirtschaftsuniversität Wien zu den Themen Fluchtmigration, Humankapital, Integration und Krisennarrative.

Das Kopftuchverbot wird gerade auch von der ÖVP-Seite immer wieder als Integrationsmaßnahme verkauft, man muss aber sagen, dass die realpolitischen Effekte eher das Gegenteil andeuten, nämlich, dass es für die Integration von muslimischen Mädchen und Frauen nicht förderlich, sondern eher hinderlich ist. Das liegt vor allem daran, dass sich muslimische Mädchen dadurch stärker als anders und fremd markiert fühlen, weil ein ganz konkretes religiöses Symbol, das muslimische Jungs, aber auch nicht-muslimische Mädchen nicht tragen, verboten wird.

In Frankreich hat sich das niedergeschlagen in einer vergleichsweise schlechteren Bildungs- und Erwerbsquote muslimischer Mädchen und Frauen und das ist genau das Gegenteil von dem, was man mit so einem Verbot bewirken möchte.

Eine Präventivhaft für sogenannte Gefährder soll eingeführt werden. Das könnte vor allem Asylwerber*innen betreffen. Welches Signal wird damit an geflüchtete Menschen in Österreich gesendet?

Um es nicht jetzt aus juristischer, sondern tatsächlich aus integrationspolitischer Sicht zu beurteilen: Hier sehe ich ganz klar die Gefahr eines sogenannten racial profilings, wie es im anglo-amerikanischen Raum genannt wird. Nämlich, dass Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer sozialen oder ethnischen Gruppe verstärkt wegen Erfüllung dieses Tatbestandes in Präventiv- oder Sicherheitshaft kommen. Das heißt, das öffnet schon stärker die Tür zu einer potenziell ethnischen Diskriminierung. Und die Gefahr besteht durchaus, dass marginalisierte Gruppen, wie eben Geflüchtete, Asylwerbende, Menschen mit Migrationshintergrund, ganz generell Nicht-Weiße Menschen in Österreich aufgrund dieses Tatbestandes verurteilt werden.

Die Grünen haben lange Zeit die Sicherungshaft, das Kopftuchverbot, die Deutschklassen kritisiert. Wie ist es jetzt möglich, dass man sich am Ende auf diese Kompromisse geeinigt hat?

Nun, Politik ist die Kunst des Machbaren und natürlich bedarf es vieler Kompromisse. Es gilt abzuwarten, was umgekehrt im Umweltbereich dafür umgesetzt werden kann. Diesen Tauschhandel sehe ich durchaus. Ich glaube dennoch, und hier möchte ich das Regierungsprogramm in aller Länge und Vollständigkeit abwarten, dass man punktuell schon auch sinnvolle Integrationsmaßnahmen setzen können wird. Die Frage ist natürlich, wie sich das in ein Gesamtgefüge eingliedert.

Wird es für die Grünen möglich, auch eigene Akzente zu setzen, wenn es um die Integrationspolitik geht?

Ich denke durchaus, dass man eigene Akzente setzen kann, weil Integration eine Querschnittsmaterie ist. Wir haben zwar ein eigenes Integrationsministerium, aber natürlich spielen viele Themen zum Beispiel auch in das Sozialministerium oder in das Justizministerium hinein, und diese Agenden kann man dort durchaus sinnvoll für alle Beteiligten behandeln und weiterbringen.

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