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Blumenaus 20er-Journal

Österreich als Versuchsstation der Weltrettung

Die neue Regierung könnte einen alten Fluch brechen.

Von Martin Blumenau

Neues Jahr, neue Regierung. Und was für eine: mehrheitlich Frauen, und mit einer ganz neuen Farbe.

Obwohl: Die Schlüssel-Ressorts bleiben in Männer-Hand und das Regierungs-Programm ist überwiegend konservativ-vorsichtig.

Das sind allerdings nachrangige Details, die nur Kleinkrämer, also Österreicher*innen, interessieren. Viel wichtiger ist die internationale Perspektive, das erstaunte „Öha!“, das in den liberalen Demokratien der Welt erklingt, wo händeringend nach zukunftstauglichen Modellen jenseits zehrender Maximal-Kompromisse zwischen unsicheren Konservativen und abstrudelnden Sozialdemokraten sowie dem erstarkenden Scheuklappen-Nationalismus populistischer Ausprägung gesucht wird.

Die Initiative geht von Deutschland aus. „Am deutschen Wesen“, hieß es früher (belastet), „mag die Welt genesen“ - die CDU Merkels und der Springer-Verlag haben sich unter Federführung der Europa-Chefin Von der Leyen auf die Idee des schwarz-grünen Projekts geeinigt und dem befreundeten Kollegen Kurz den Auftrag des Versuchsballons schmackhaft gemacht. Schwarz-Grün wird 2020 auch in Deutschland kommen (nach schnellen Neuwahlen) und soll den Weg für eine Koalition zwischen Wirtschafts-Freundlichkeit und ökologischer Notwendigkeit bereiten.

Kurz, der bereits einmal als messianischer Vorreiter die Titelseiten stürmte, könnte sich damit unsterblich machen, als Pionier und Wunderwuzzi, und die nächste EU-Kommission leiten. Und für Österreich wäre (die Kleinigkeit eines halbwegs reibungslosen Funktionierens dieser neuen Koalition vorausgesetzt) seinen wenig charmanten Ruf als Versuchsstation des Weltuntergangs, wie es Karl Kraus bezeichnet hatte, und da ist die von Österreichern schon recht dicht mitgetragene Nazi-Barbarei noch gar nicht inkludiert (die im Übrigen nicht so schlimm war, wenn man der FPÖ-Historiker-Kommission folgt, weil - wie der ehemalige Strache-Kabinetts-Mann Schibany ausführt - nur Ausländer, Juden, echte Marxisten oder gläubige Christen verfolgt wurden und alle anderen, also die totale Mehrheit irgendwie, nichts zu befürchten hatten).

Einer der Nachfahren von Kraus, der befreundete Denker Hosea Ratschiller, dessen Fackel täglich auf Facebook leuchtet, sprach zuletzt davon, dass die grüne Bewegung ihre historische Aufgabe gefunden hat: „Es ist nicht der Klimaschutz, es ist die Demokratisierung des Bürgerlichen.“

Und es ist der von vielen verlachte August Wöginger, dessen lebensnahes Theorem von „schwarzen“ - seltener türkisen - Eltern und „grünen“ Kindern nun in eine logische Koalition mündet. Die Konservativen, die sich neu sortierten (in Österreich weiter nach rechts, in Deutschland mehr nach links) und ihre Idee, ihr Narrativ und somit ihre Bodenhaftung, ja ihre Vernunft verloren hatten, werden durch die ihre eigenen, vielleicht früher einmal destruktiv-anarchistischen, mittlerweile aber kreuzvernünftig wissenschaftlich handelnden Kinder neu geerdet.

Das ÖVP-Team mit (v.l.) Gernot Blümel, Margarethe Schramböck, ÖVP-Chef Sebastian Kurz, Elisabeth Köstinger, August Wöginger und Stefan Steiner

APA/ROLAND SCHLAGER

Das ÖVP-Verhandlungsteam mit (v.l.) Gernot Blümel, Margarethe Schramböck, ÖVP-Chef Sebastian Kurz, Elisabeth Köstinger, August Wöginger und Stefan Steiner

Das ist insgesamt alles sehr bürgerlich, und damit eigentlich nicht mehrheitsfähig, weil aber der Begriff der Klasse (ganz bewusst, mehr dazu hier) ausgemerzt wurde und selbst jene, die es nicht sind und nie werden können, sich für bürgerlich halten oder ihre Sehnsucht mit ihrer Wirklichkeit verwechseln, kann sich das auf Jahre hinaus ausgehen. Mit Aussicht auf zivilisatorische Errungenschaften wie das Gespräch anstelle des Einander-Anschreiens. „Vielleicht findet man sogar zurück vom Duell zur Diskussion. Das wäre schön“, schreibt Hosea.

Die tatsächliche Politik von Türkis-Grün ist dabei recht zweitrangig - sie wird sich nicht über Österreich hinweg auswirken: Wichtig ist der Anschein, der Umgangston, die Präsentation. Und so gesehen ist es von besonderer Bedeutung, dass die neue ÖVP die letzten Monate derart intensiv an genau diesen Mechanismen, nämlich der Message Control gearbeitet hat. Und dass die grünen Vordenker sich in der außerparlamentarischen Opposition die Demut zugelegt haben, mit wenig, wie eben dem aktuellen Viertel- bis Drittel-Tellerchen, zufrieden zu sein. Man wusste bis dato nicht, wofür diese schrecklichen Prüfungen gut waren - jetzt ergibt es Sinn.

Den Kraus’schen Ballast von der Versuchsstation des Weltuntergangs ist man damit jetzt schon fast los: Selbst wenn die Weltrettung von Österreich aus nicht klappen sollte - im heimischen, gern zwergenhaften Selbstverständnis genügt es meist schon, es probiert zu haben. Und die Option, dass für Österreich wenig weitergeht, ist als Preis für die Weltrettung schon okay. Man muss seine Schulden irgendwann begleichen.

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