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Roland Matthes 1972 bei den Olympischen Spielen in München

APA/AFP/EPU

Blumenaus 20er-Journal

Rücken

Über meinen Schwimmer. Wie wir am liebsten schwimmen, erzählt viel über uns selber.

Von Martin Blumenau

Knapp vor Jahresende ist Roland Matthes gestorben, mein Kindheits-Lieblingsschwimmer. Im DDR-TV, also dem mdr-Fernsehen war ein Nachruf, den ich zufällig erwischt habe, hierzulande wäre es keine Meldung wert gewesen. Dabei war Matthes der Beste seiner Zunft; aller Zeiten. Zwischen ’68 und ’74 gefühlt (oder gar in echt) unbesiegt auf seinen Strecken.

Ich hab als Bub in Wien bei einer Europameisterschaft im Stadionbad gesehen wie er die Bahnen pflügte, Start-Ziel-Siege, unaufgeregt, lässig. Wie schon zuvor bei Olympia. Im Gegensatz zu den schrillen Typen, die diesen Sport sonst dominierten, war Matthes der Leisetreter: wortkarg, Typus lonesome rider, nicht aufgepumpt, sondern technisch klasse und wohl mit den idealen Hebeln für diesen Sport ausgestattet.

Matthes war DDR-Schwimmer, das Ländermatch ging damals gegen die USA, mit leichter Beteiligung von Australien, dem UK und Ungarn. Natürlich wusste ich, auch als Bub, dass die DDR eine Diktatur war, die sich über Sport-Erfolge Legitimation holte, jedes Fantum also auch politisch war. Nur war Matthes einfach zu cool, um ihn wegen seiner Herkunft doof zu finden. Später, als die Staatsführung ihn, den besten Schwimmer, mit der besten Schwimmerin dieser Tage, Cornelia Ender, quasi kreuzte, um Super-Babys zu züchten, ertrug er das mit der Miene eines Italowestern-Helden. Resultat: Scheidung ein paar Jahre später.

Roland Matthes war Rückenschwimmer, obwohl er auch in anderen Lagen Medaillen holte. Ich denke nicht, dass ich auch am liebsten am Rücken schwamm, weil ich Matthes sein wollte, sondern ihn mir deshalb wohl so ausgesucht hatte. Wie wir am liebsten schwimmen, erzählt nämlich viel über uns.

Der Delphin/Schmetterling-Schwimmer will die Welt pflügen, sie sich untertan machen. Die Kraulerin versucht, so schnell wie möglich vorwärts oder davon zu kommen, ohne ihre Umgebung wahrzunehmen. Die Brustschwimmer wiederholen ihren allerersten schöpferischen Akt, das Sich-Erheben aus der Bauchlage, immer wieder, das Ziel immer fix vor Augen. Wir Rückenschwimmer und Rückenschwimmerinnen wollen beim Schwimmen mehr sehen, wir holen uns den Himmel dazu. Wir Rücken-Leute sind die einzigen, die nicht blind oder mit fixem Ziel losstarten, sondern die Wirklichkeit reinlassen, nach den Sternen navigieren. Wir sammeln Eindrücke, wo die anderen hasten und husteln. Und wir haben auch keine Angst vor dem, was unter uns passiert, in See und Meer.

Das ist nichts, was ich immer schon gewusst habe, ist mir alles erst zu Matthes’ Tod ein-/aufgefallen, man hat ja ein wenig Denkzeit zu den Feiertagen. Und wenn ich ans Schwimmen denke, egal ob in echt oder auf der Meta-Ebene, da kommt sofort mein diesbezüglicher Themensong ins Ohr: der „Swimming Song“ von Loudon Wainwright, dem Singer/Songwriter-Vater des Rufus, diese melancholische Zusammenfassung eines Sommers voller Geschwimme in Meer, See oder Pool. Wainwright gibt da ordentlich an, mit seinen Sprung-Qualitäten und seiner Stil-Vielfalt, und das konnte er - zu dieser Zeit war er ein Bär von einem Mann, der kraftstrotzende nächste Bob Dylan. Aber die diesbezügliche Strophe beginn mit der Zeile: „This summer I did the backstroke“. Wainwright ist also vor allem einmal Rückenschwimmer und war wahrscheinlich John-Naber-Fan; Naber hat Matthes als Rücken-Bester beerbt.

Wainwright erzählt in seinem Text aber nicht nur von Schönheit und Vielfalt, er spiegelt auch die Anmaßung wieder, die der Mensch mit seinem Gang ins Wasser, das eben nicht sein Element ist, begeht, und er erzählt von den Strafen: Chlor in den Augen, Salz in den Wunden. Und davon, dass man strampeln muss, um nicht unterzugehen. Und hier trifft sich die Demut der Rückenschwimmer mit ihrer Gier aufs Leben.

Davon war bei Roland Matthes damals, in der Zeit, als sich die Sportübertragungsbilder langsam färbten, nichts zu bemerken - wohl auch, weil man derlei Individualismus in einer Diktatur sehr privat halten musste. Aber in meiner Vorstellung von ihm, meiner Projektion, hatte er sie.

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