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Blumenaus 20er-Journal

Die Macht der Magd

Margaret Atwoods Magd, Misogynie, die Dystopie an sich und die Schweiz. Auch weil heute Nacht die Golden Globes stattfinden.

Von Martin Blumenau

Zu den Feiertagen lese ich auch Zeitschriften, die ich sonst meide, wie die silbrig glänzende Jahreswechsel-Nummer der ins rechtsradikale Lager abgedrifteten Schweizer „Weltwoche“, einst liberales Aushängeschild einer stolzen Demokratie. Unterschwelliger Schwerpunkt dieser Ausgabe: Misogynie. Greta Thunberg ist ein undankbarer Fratz, weil sie protestiert, Natalie Portman eine scharfe Jüdin, weil sie Israels Politik kritisiert, und Margaret Atwood hat versagt, weil ihre Prophezeiung nicht eingetroffen ist.

Atwoods Name prangte am Cover, und weil ich/wir gerade (spät, eh) die erste Staffel von „The Handmaid’s Tale“ fertiggeschaut haben (und noch daran kauen) und das Christkind die Buch-Fortsetzung „The Testaments“ unter den Baum gelegt hat, hat mich das getriggert. Für alle, die noch später dran sind: „Der Bericht der Magd“ ist eine düster-realistische Dystopie eines Gottesstaats auf US-Boden, einer Art Islamischer Staat in christlich, Steinigungen inclusive. Wie immer bei Science Fiction geht es um nur wenige historische Minuten in die Zukunft gedachte Gegenwartsströmungen, und die hat Atwood, genau zum Zeitpunkt des globalen Erstarken des religiösen Fundamentalismus brillant und schonungslos in Szene gesetzt. Vor zwei Jahren gab es für die Serien-Umsetzung (an der Atwood mitwirkt) die Hauptpreise beim Golden Globe, vor einem Jahr für Staffel 2 immerhin noch Nominierungen, jetzt ist ein neues Buch da, das die Basis für Staffel 3 legen wird.

Die Weltwoche nun beißt sich nicht wie ihre boulevardige Kollegenschaft ganz oberflächlich an der scheinbaren Männerfeindlichkeit selbstbewusster Frauen fest, sondern setzt ihre Kritik am neuen Buch dort an, wo vielleicht Viertklässler-Aufsätze noch straffrei fuhrwerken dürften: an der Unwahrscheinlichkeit einer westlichen Theokratie. Als ob es bei SF darum gehen müsste.
Es ist das Kennzeichen der neuen bewusst rechtspopulistisch agierenden, mit einer radikalen Agenda versehenen Medien (wie ich das zumindest im deutschsprachigen Raum klar erkennen kann), dass ihre Texte wie in Social Media aus dem Stammhirn schießen dürfen, strikt reflexionsvermeidend, je anarchischer desto besser, ganz wie es die mediale Linke bis in die 70er betrieben hatte. Ablenken vom Wesentlichen, indem man Unwichtiges grell ausleuchtet und ausstellt und die Debatte in die Ränder verschiebt.

Dazu kommt, dass sich die Schweizer durch die fast komplett ausgebliebene Aufarbeitung ihrer Kriegsgewinnler-Position während des 3. Reichs auch noch von jeder Verantwortung des Mitläufertums freispielen. Kein Wunder, basiert doch ein Gutteil des Geschäftsmodells der Eidgenossen auf ihrem Angebot als halblegaler Umschlagplatz für Geld, Waffen oder heiße Ware und dem fehlenden Unrechtsbewusstsein für diese Handlangerdienste, wie es sich etwa im kürzlichen Sager des FIS-Präsidenten Kaspar ungeschönt äußert.

Eine strukturell entlang von Riten organisierte, scheinautarke (aber natürlich global dependente), Hyper-Demokratie wie die der Schweiz (samt ihrer Amish-Anmutung) muss diesen Glauben an so etwas wie eine ideologie- und moral-freien Raum vor sich her tragen, sonst könnte sie nicht existieren. Wer solche Themen differenziert durchdenkt und in populäre (also sachlich wie emotionale nachvollziehbare) Kunst gießt wie Atwood, ist der natürliche Feind von Nicht-Aufarbeitern eigener blinder Flecken.

Dass Margaret Atwoods kanadische Heimat in ihrer Maid-Reihe eine opferschützende, politisch wache Rolle einnimmt, wie man sie sich von der Schweiz in der NS-Zeit gewünscht hätte und auch aktuell wünschen würde, ist eine weitere Facette im feindseligen Abwehrkampf der Schweizer Rechtsausleger gegen die womöglich nur unterbewusste Angst von einem Science-Fiction-Roman samt TV-Reihe entlarvt zu werden.

Sage also, apropos Golden Globes heute Nacht, samt Abfeierung von grandiosen Serien-Produktionem, niemand, dass die neue Leitkunst nur Selbstzweck ist.

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