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Temptation Of Christ

Netflix

Blumenau 20er-Journal

Jesus ist nicht schwul - vor allem in Brasilien.

Netflix muss die montypythoneske Bibel-Persiflage „The First Temptation of Christ“ aus seinem Angebot nehmen - zumindest im Entstehungsland. Obwohl der dort getemptete Jesus ohnehin nicht schwul dargestellt wird - die Macht der Fundamentalisten ist zu groß geworden.

Von Martin Blumenau

Als „The Life of Brian“ in die Kinos kam, verfielen viele Gruppen fundamentalistischer Christen weltweit in Schnappatmung - die Darstellung ihres Religions-Begründers ging (Kunstfreiheit hin, Satire her) zu weit, und der schnelle Ruf nach Zensur wurde mancherort (in sehr katholischen, aber auch im laizistischen Norwegen) erhört. Niemand legt sich gern mit Fundamentalisten an.

Das war damals, 1979, in künstlerisch vergleichsweise liberalen Zeiten.
Vierzig Jahre später, nach der globalen Renaissance des religiösen Fundamentalismus, nach dem Islamischen Staat, dem Charlie Hebdo-Attentat, prophylaktischen Bilderverboten und dem Erstarken einer politisch-klerikalen Bewegung, hat sich genau nichts gebessert.

Netflix muss einen seiner Weihnachtshits, „A Primeira Tentação de Cristo“, die Jesus/Bibel-Satire der brasilianischen Komikertruppe Porta dos Fundos aus dem Programm nehmen. Es gab neben einer hysterisch-unsachlichen, öffentlichen Debatte auch (auch durch die mediale Wucht des Twitter-Präsidenten Bolsonaro befeuerte) einen Anschlag auf die Macher, was The First Temptation of Christ zum ersten prominenten Zensurfall des neuen Jahrzehnts macht.

Hierzulande ist der 45-Minüter wohl noch zu sehen und wird wegen der Aufregung einige zusätzliche Zugriffe generieren. Ich hab den Film rund um die Feiertage zu seinem Geburtstag schon gesehen; und es war - empörungstechnisch wie journalistisch - wohl eine schlechte Idee. In beiden Fällen ist es scheinbar wesentlich wichtiger einfach keine Ahnung zu haben um jeden Blödsinn nachplappern zu können. Wissen ist da nur störend. Aber ich störe gern.

Die Empörung samt Blasphemie-Vorwurf fußt auf der in der Inhaltsangabe kursierenden Annahme des Settings der „Versuchung“: Jesus wird als schwul dargestellt. Die Meldungen über den Vorfall übernehmen die Darstellung. Bloß: sie stimmt gar nicht.

In der „First Temptation“ passiert Folgendes: Maria und Josef richten Jesus eine Überraschungs-Party (mit Gästen wie den Hl. 3 Königen) zum 30er aus, Maria hat auch Gott eingeladen, den Jesus nur als Onkel Vittorio kennt, um ihm zu eröffnen, das er und nicht Josef sein Vater ist. Jesus war gerade in der Wüste und bringt jemanden mit, den er dort kennengelernt hat, einen aufdringlichen Labersack namens Orlando, der wie ein Neffe von Donald Trump daherkommt. Die Party eskaliert, weil Josef mit Gott streitet, Gott Maria zum Durchbrennen bewegen will, und Jesus nicht weiß wie er den Oldies beibringt, dass er mit Orlando zusammenziehen will. Außerdem ist er kreuzunglücklich über die Tatsache, dass er als Gottes Sohn und Heiland jetzt jede Menge Erwartungsdruck hat, er hätte lieber ein ganz normales Leben als Jongleur geführt. Schließlich enttarnt sich Orlando, für alle Bibelkundigen nicht unerwartet, Stichwort: Versuchung und Wüste, als Luzifer und es kommt zu einem superheldenmäßigen Showdown zwischen ihm und dem seine neuen Superkräfte erst nach und nach kontrollierenden Jesus, das der Gottessohn schlussendlich für sich entscheidet. Onkel Vittorio bzw. Herr Gott mach Jesus einige Zugeständnisse dafür, dass er seine neue Rolle doch annimmt (er darf etwa seine Apostel selber aussuchen und er hat 3 Jahre Probezeit) und Ende.

Das alles in schnell-schrillem brasilianischem Portugiesisch mit englischen Subtitles, hoher Dialog-Komik, witzigen Wendungen und einer durchaus gelungenen Optik, vor allem das Blitze-Werf-Duell ist sauber und unpeinlich inszeniert. Nichts davon ist absichtlich beleidigend, bekannte Klischees (der tumbe Hahnrei Josef) werden dezent überhöht, Vittorio/Gott kommt als eitler, aber schicker Alt-Hipster mit lässigem Bart daher, Maria ist die, die alles zusammenhalten muss und die drei Könige sorgen für shakespear’sche Tölpel-Szenen. Ob Orlando und Jesus mehr verbindet als die nur flüchtig angesprochenen gemeinsamen Tage in der lebensfeindlichen Wüste, ist nicht klar - die Jesus-Figur hat jedenfalls nichts tuntenhaftes und der arg eitle Orlando ist auch nicht schwuler als eben Trump oder Putin oder so gut wie jeder geschniegelte Typ weltweit.

Dazu kommt, dass spätestens nach der Selbstentlarvung als Teufel jedem auch nur ansatzweise bibelfesten Christenmenschen klar sein müsste, dass man auf dem Holzweg war: der Teufel hat (ebenso wie die Engel, und Luzifer ist ja ein gefallener Engel) kein Geschlecht. Und selbst die hier getroffene Annahme, dass sich Jesus irgendwie mit Luzifer eingelassen habe (eine letztlich zulässige Variante der in der Bibel beschriebenen Versuchung) hat mit herkömmlicher Sexualität nichts zu tun.

Wie in solchen Fällen fast immer hat niemand, der sich für die fundamentalistischen Proteste Instrumentalisieren lässt das inkriminierte Stück gesehen; und wie ebenso fast immer vernachlässigen die Medien ihre Pflicht der Überprüfung und übernehmen die Erzählung einer Partei anstatt sich kundig zu machen. Es gibt keinen schwulen Luzifer, also kann es auch keinen schwulen Jesus geben. Es sei denn man setzt schwul mit eitel gleich. Aber auch in diesem Fall käme der Jesus aus der „First Temptation“ prima weg: uneitler kann sich ein Gottessohn künftigen Aufgaben gar nicht stellen.

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