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dunkle seiten

„Was man sät“ ist ein bedrückendes Debüt

Auf einem niederländischen Bauernhof lebt die Protagonistin, ein 10-jähriges Mädchen, mit den Eltern und drei Geschwistern. Soweit so idyllisch, bis ihr ältester Bruder beim Eislaufen am See einbricht und stirbt.

von Lena Raffetseder

Kurz vor Weihnachten stirbt der älteste Sohn Matthies und mit ihm die Lebensfreude am Bauernhof der Familie. Der Weihnachtsbaum wird abgebaut, das Fest abgesagt. Die orthodox-kalvinistische Familie ist sich sicher: Der Tod ist die Strafe Gottes. Auch nach einem Zeitsprung von eineinhalb Jahren ist der Verlust nicht erträglicher geworden.

FM4 Dunkle Seiten
In den ersten zwei Jännerwochen widmen wir uns den „Dunklen Seiten“. Also Büchern, die düster, gruselig, schaurig, beängstigend oder verstörend sind.

„Jeder im Dorf kennt unseren Verlust, doch je länger Matthies weg ist, umso mehr gewöhnen sich die Leute daran, dass wir nur noch zu fünft sind, dass inzwischen sogar Leute im Dorf wohnen, die es nicht besser wissen. Langsam wächst mein Bruder aus verschiedenen Köpfen heraus, während er bei uns immer mehr hineinwächst.“

Alle Familienmitglieder glauben durch ihr Verhalten die Strafe Gottes auf die Familie gezogen zu haben. Eine tiefe Traurigkeit bestimmt das Zusammenleben. Die Eltern distanzieren sich immer mehr von den Kindern.

„Ich vermisse Vater und Mutter oft, obwohl ich sie jeden Tag sehe.“

Die Mutter isst kaum noch, der Vater verbringt seine Zeit nur noch im Stall bei den Kühen. Die drei verbliebenen Kinder gehen mit diesem Entzug der Zuneigung unterschiedlich um. Die namenlose Ich-Erzählerin Jas - zu deutsch ‚Jacke‘ – wird so genannt, weil sie ihre Jacke nicht mehr auszieht. Diese braucht sie als Selbstschutz, eine Art Kokon. Ihr Bruder Obbe entwickelt ein gestörtes Verhältnis zum Tod und bringt die Haustiere um. Der Tod bleibt am Bauernhof präsent: Die Maul- und Klauenseuche (MKS) bricht aus und der Vater muss alle Rinder zwangsschlachten.

„Der Tod kündigt sich in den meisten Fällen an, doch wir wollen ihn oft nicht sehen oder hören. So wussten wir, dass das Eis an vielen Stellen noch zu schwach war, und so wissen wir auch, dass die MKS unser Dorf nicht verschonen wird.“

Buchcover "Was man säht"

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„Was man sät“ (317 S.) ist im September bei Suhrkamp erschienen. Aus dem Niederländischen übersetzt hat den Roman Helga van Beuningen.

Autobiographische Züge

In „Was man sät“ verarbeitet die 1991 geborene Autorin Marieke Lucas Rijneveld ihre Jugend: auch sie ist in einer religiösen Familie am Bauernhof aufgewachsen, auch ihr älterer Bruder ist als Kind gestorben. Lange hätte sie versucht, eine andere Geschichte zu schreiben, sagt Rijneveld, aber diese musste zuerst raus. Durch die vielen Bibelbezüge im Roman kommt die religiöse Erziehung der Autorin zum Vorschein.

„Manchmal muss man Opfer bringen, die weniger schön sind, so wie Gott Abraham auftrug, Isaak zu opfern, und der am Ende ein Tier hergab, so müssen auch wir verschiedene Dinge ausprobieren, bevor Gott sich mit unseren Versuchen, dem Tod zu begegnen, zufrieden zeigt und uns in Ruhe lässt.“

So erklärt sich auch Jas das Verhalten ihrer Familie mit teils unrealistischen und teilweise schwer nachvollziehbaren Gedanken und bizarren Fantasien, die meistens vom Glauben angeleitet sind. Gleichzeitig befinden sich die Geschwister in einer Phase zwischen Kindheit und Erwachsensein und durchleben die Pubertät ein einem Umfeld von Religion und Einsamkeit.

Kein leichtes Lesevergnügen

„Was man sät“ ist ein bedrückender Roman; mit hoffnungsvollen Momenten spart Autorin Rijneveld. Ihr Debüt ist ein Familienporträt, das im Spannungsfeld zwischen Pubertät, Schuld und Gottesfurcht zerbricht. Jetzt, wo Rijneveld diese Erfahrungen verarbeitet hat, wird es spannend, was sie nachlegt.

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