Dunkle Comic-Seiten: „Antigone“
Von Paul Pant
Manche Bücher aus der Schulzeit bleiben hängen. Zumindest der Titel und eine vage Erinnerung, dass es schon irgendwie ganz gut war. Für Oliva Vieweg war das Antigone von Sophokles. Ein Sequel aus der Ödipus-Saga, aus dem antiken Tragödien-Universum. Ein zeitloser Klassiker, wenig zugänglich für gymnasiale Erregungen, zumindest in der überlieferten Urfassung. Dafür ein dankbarer Stoff für Künstler*innen sich daran abzuarbeiten. Mitunter mit dem einzigen Ergebnis durchaus bravourös an einer zeitgenössischen Umsetzung zu scheitern.
FM4 Dunkle Seiten
In den ersten zwei Jännerwochen widmen wir uns den „Dunklen Seiten“. Also Büchern, die düster, gruselig, schaurig, beängstigend oder verstörend sind.
Olivia Vieweg verirrt sich nicht in dieser Vorstellung. Sie bleibt mit ihrem Comic dicht beim Original. Reduziert das Wort dort, wo die Bilder genug sagen. Eine Blutrote Sonne steht da zu Beginn des Buches über Theben. Der Rest ist in schwarz-weiß. Das Rot der Sonne zieht sich ohne farbliche Abstufungen, wie eine Blutspur über die Panels, durch die Seiten.
Carlsen Verlag
Nahe am Original
Olivia Viewegs Comic beginnt mit dem toten Polyneikes, Antigones Bruder, in der Wüste. Antigone ist geschockt über die Nachricht, dass der neue König Kreon es verbietet Polyneikes zu beerdigen. Antigone muss sich auflehnen gegen den Tyrannen, weil sie unbedingt will, das er beerdigt wird und damit ins Totenreich eintreten kann.
Der zentrale Satz: „Ich will nicht aus Furcht vor irgendeinem Mann vor den Göttern büßen“. Das wirft sie Kreon entgegen. Der sagt, er wäre nicht der Mann, ließe er das durchgehen. Antigone setzt alles aufs Spiel, ihr Wohl, das ihrer Familie und das ihres Landes, sagt Olivia Vieweg. Sie fasziniert der Mut von Antigone sich aufzulehnen gegen Diskriminierung und die Willkür des Tyrannen, dessen Wort zum Gesetz wird.
Carlsen Verlag
Konflikt zwischen Moral und Gesetz
Ziviler Ungehorsam und die Auflehnung gegen Gesetze ist für Olivia Vieweg ein Konflikt, der seit tausenden von Jahren uns Menschen begleitet. „Da es immer Gesetze gibt, die gegen das Gewissen stehen oder zumindest das eigene Gewissen“, sagt sie. Als aktuelles Beispiel führt sie den Konflikt über die Flüchtlingsrettung im Mittelmeer an. „Das Sterben im Mittelmeer“, wie sie es nennt. „Ich glaube jeder, selbst wenn er eine braune Gesinnung hätte, würde, wenn er wirklich mal einem Ertrinkenden zusehen würde, sich anders entscheiden“, sagt Vieweg. Trotzdem gibt es Gesetze, die es uns verbieten, mit dem eigenen Boot loszufahren und Leute aus dem Wasser zu ziehen.
Für Vieweg ist das der echte Horror, den wir dosiert in unseren täglichen News erleben. Wenn moralisches Unrecht in Recht gegossen wird. Fast trotzig stellt die deutsche Zeichnerin ihrem Comic ein Internetposting auf der ersten Seite voran.
Darin steht: „Der Holocaust war rechtmäßig. Die Sklaverei war rechtmäßig. Vergewaltigung in der Ehe war rechtmäßig. Legalität kann nicht immer der Kompass für die Moral sein“.
Real Life
Im Real Life, wie im Comic wird der Konflikt zwischen Moral und Gesetz geführt aber nicht aufgelöst. „Zahlreich ist das Ungeheure, doch nichts ist ungeheurer als der Mensch“. Den Satz verpackt Olivia Vieweg in eine schwarze Sprechblase. Die Angst als leitendes Motiv für die Grausamkeit hat aber gleichzeitig auch eine Faszination für Vieweg.
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„Wir leben in einem sicheren Umfeld. Wir müssen uns gar nicht mehr regelmäßig irgendwelchen Todesängsten stellen. Ich glaube aber, dass der Mensch noch immer darauf eingerichtet ist, ständig Angst zu haben. Weil wir viele zehntausend Jahre in einem Umfeld gelebt haben, wo es auch jede Sekunde wieder vorbei sein konnte, wenn man einen Fehler gemacht hatte. Deswegen ist das Bedürfnis, Angst zu empfinden so groß. Dass man einfach diese Angst noch mal so spürt, aber eben in einer sicheren Umgebung“, erklärt Vieweg.
Das Happy End in unseren satten, friedlichen Demokratien erleben wir und auch Vieweg dann, wenn wir den Fernseher ausschalten und „überlebt haben“. Weil wir das vielleicht noch immer brauchen, sagt Vieweg. Erschreckend und faszinierend zugleich.
Olivia Vieweg ist mit dem Zombie-Comic „Endzeit“ bekannt geworden. Das Comic wurde 2018 verfilmt und in der New York Times und dem britischen Guardian rezensiert. Derzeit ist eine Serie in Planung. Außerdem hat sie ein Bibi Blocksberg Manga gezeichnet, war Mitherausgeberin der Manga-Anthologie „Paper Theatre“, für die sie 2010 den ICOM Independent Preis erhalten hat.
Publiziert am 13.01.2020