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U4 1982 Airband-Festival

Conny de Beauclair

Blumenaus 20er-Journal

Dokument, Pose und Erinnerung.

Aus zufälligem Anlass: der Erinnerungs-Trigger der ungeschönten Darstellung, das Elend der Pose und die Schiachen von gestern und morgen.

Von Martin Blumenau

Gestern wurde ich im Social Media-Kanal Facebook per tag mit einem Video aus dem Jahre Schnee konfrontiert, in dem ich ein paar Sekunden zu sehen bin.

Kurioserweise wusste ich trotz dieser Kürze sofort und intensiv wie ich in dieser Zeit und an diesem Abend drauf war, als hätte eine Geruchserinnerung etwas getriggert.

Ich war damals (1982) ein Kind (gefühlter Fakt!) unter Jugendlichen, die Erwachsene spielten; und das U4 war der Mittelpunkt der (alternativen) Szene-Welt, so wichtig wie heute das Flex, das Fluc und die Forelle zusammen. Bei der auf diesem Video abgelichteten Veranstaltung war ich nicht, weil sie so lässig war (das war eher eine allzu ironische Angelegenheit), sondern weil das U4 mein Mitternachts-Wohnzimmer war. Und weil damals ohnehin allzu oft Kameras aus der normalen Welt in die U4-Katakomben eintauchten um die andere, fremde Welt der wilden Jugend zu dokumentieren ist meine abwehrende Handbewegung mehr als nur Augenschutz gegen die allzu grelle Ausleuchtung dieser Abfilmung, sondern überhaupt eine Geste gegen diese Art von Zurschaustellung - auch wenn es in diesem Fall er eine Eigenbedarfs-Doku war.

Trotzdem wusste ich schlagartig noch ganz viel mehr; ich konnte den Abend sofort wieder riechen, die Stimmung, meine Vorbehalte, meine Neugier, meinen Lebenslerneifer dieser Zeit und dieser Nacht. Und ich frage mich, ob ich das auch dann hätte spüren können, wenn ich freundliche Nasenlöcher gemacht hätte, Stichwort: Duckface-Selfiepose. Ich glaube nicht; ich bin sicher: nicht.

Natürlich triggert ein dokumentarischer Mitschnitt, der dich selber featurt, immer mehr als alles andere - ich weiß aber aus anderen Erfahrungen, dass eine verstellte „wir freuen uns jetzt für dieses Foto/Video!“-Pose die Sucht auf das damalige Innenleben ordentlich verstellen kann. Zumindest flasht es nicht so daher, wie meine Instant-Erinnerung dieses Abends durch meine vier Video-Sekunden.

Das ist dann auch der entscheidende Unterschied zwischen damals (dem Beginn des Aufzeichnungs-Zeitalters, das mittlerweile ins Sofort-Zugriffs-Zeitalter übergegangen ist) und jetzt: das durchschnittliche Social-Media-Bewegtbild kommt fast ausschließlich in Posen/Selbstdarstellungs-Form daher; sein Interesse an der Realität dahinter ist enden wollend. Selbst wenn es die eigene Realität ist. Das wiederum entwertet die Mehrzahl dieser Bilder dann auch so.

Andererseits: derlei gab es auch damals schon. Die andere, die brave Jugendbewegung dieser Tage, die höheren Söhne und Töchter der Schnöseltruppe, die sogenannten „Popper“, politisch und inhaltlich desinteressierte Status-Quo-Wellenreiter, die an so etwas Argem wie dem Auftauen der Stadt Wien (unserem Ziel, der kulturellen Bewohnbarkeit einer bis dorthin grauen, toten, hinichen Stadt), war damals schon an nicht mehr als er Kussmund-Foto-Pose interessiert.

Groteskerweise ähnelt die aktuell angesagte Kleidungsmode stark der dieser Popper (zu kurze stark hochgezogene Hosen, weiße Sockerln, quadratische Oberteile etc,) Und das ist insofern lustig, weil eines der Postings unter diesem Video-Post auf die eklatante Hässlichkeit der dort abgefilmten Menschen eingeht. Nun ist zwar jeder, der mit schlechtem Material und in grellem Kunstlicht im dunklen Kelleraufgenommen wird, schiach wie die Nacht. Und natürlich sind die Grauslichkeiten von Haar- und anderen Mode-Torheiten erst für die nächsten Generationen sichtbar - vor allem auch deren Eingeschränktheit auf viel zu wenigen Prototypen; so viele Dominik Heinzl-Wiedergänger, die da vorkommen!

Andererseits ist genau das heute genauso (die minimale Anzahl an Style-Prototypen zum Beispiel ist heute gleich schlimm) und zum anderen ist das Hässliche, das Schiache eben auch eine Frage des Charakters. Schön und richtig waren damals eben all jene, die an der strengsten Tür der Welt (der von Türsteher-Legende Conny de Beauclair) vorbeikamen. Mehr Kriterium gibt’s letztlich auch heute nicht, wo die Schönen und Angesagten jetzt schon die Hässlichen und Schiachperchten von morgen sind.

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