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Film 1917

Universal Pictures

„1917“: Kriegsdrama im Echtzeit-Modus

Der britische Bond-Regisseur Sam Mendes erzählt im FM4-Interview warum sein Erste-Weltkriegs-Drama auf sichtbare Schnitte verzichtet - und warum das Kino herausfordende Bilder braucht, um zu überleben.

Von Christian Fuchs

Ganz haben die Vorab-Gerüchte zu diesem Film nicht gestimmt. Denn das Erste-Weltkriegs-Drama „1917“ ist nicht in einer einzigen Einstellung, ohne jeglichen Schnitt, gedreht. Das wäre unmöglich gewesen, meint Regisseur Sam Mendes beim Interview. Zuviele verschiedene Schauplätze und extreme Situationen müssen die beiden Hauptfiguren auf ihrer grimmigen Odysee durchwandern. Stattdessen seien Filme wie „Birdman“ von Alejandro Iñárritu ein Einfluss gewesen, die nur wie aus einem Fluss wirken, mit unsichtbaren Übergängen zwischen den Szenen.

Wenn man „1917“ unter bestmöglichen Umständen sieht, auf einer ganz großen Leinwand, erlebt man die Schrecken des Ersten Weltkriegs dennoch auf eine bisher ungesehene Weise.

Mendes, der erstmals selbst das Drehbuch geschrieben hat (mit der Autorin Krysty Wilson-Cairns), arbeitet bewusst mit einer minimalistischen Geschichte. Zwei junge britische Soldaten bekommen den Auftrag eine Botschaft zu übermitteln, die tausenden Kameraden das Leben retten könnte. Die schier unmögliche Mission führt sie auf Schlachtfelder, durch Schützengräben, Flüsse, verbrannte Landschaften und zerbombte Dörfer. Alles beinahe in Echtzeit, schlanke 110 Minuten lang, mit einer wackelfreien Kamera, die den Protagonisten mitten ins Geschehen folgt.

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James Bond als unverhoffte Inspiration

Sam Mendes: „Die ursprüngliche Inspiration kam von meinem Großvater, der im Ersten Weltkrieg gekämpft hat, ihm ist der Film gewidmet. Aber die Entscheidung, den Film wirklich zu schreiben und auch zu drehen, verdanke ich seltsamerweise den Bond-Filmen. Da sind nämlich zwei Sachen passiert. Zum einen habe ich unheimlich viel Zeit im Writers Room verbracht und beobachtet, wie ein Skript aus dem Nichts entsteht, das war neu für mich. Ich habe immer fertige Drehbücher geschickt bekommen. Plötzlich erlebte ich den ganzen Schaffensprozess und das war sehr aufregend. Und ich steuerte auch viel zu den Bond-Skripts bei. Danach dachte ich mir: Vielleicht kann ich mal was Eigenes schreiben.“

Genau, die James-Bond-Filme, sie werden natürlich mehrfach im Laufe des Interviews erwähnt. Schließlich hat sich der vormalige Oscarpreisträger Sam Mendes („American Beauty“, „Revolutionary Road“) mit ihnen zum Blockbuster-Actionregisseur gewandelt. „Skyfall“ und „Spectre“ verschafften dem Briten durch ihren Erfolg eine Carte-Blanche-Situation in Hollywood für sein nächstes Projekt.

„Was noch passierte: Für ‚Spectre‘ drehte ich eine 8-minütige Sequenz, die scheinbar ohne Schnitt drei oder vier sehr aufwändige Setups verknüpft. Ich dachte mir, dass es doch spannend wäre, einen ganzen Film so zu machen, wenn ich ein geeignetes Thema finde. Als mir die Story dieses Mannes in den Sinn kam, der im Krieg eine wichtige Nachricht überbringen muss, es war am Anfang nur ein Mann, dachte ich: Warum das Ganze nicht in zweit Stunden quasi Echtzeit erzählen? Das wäre doch ein viel eindringlicherer Zugang, als Zuseher an die Figuren gefesselt zu sein. Es war also zuerst eine emotionale Entscheidung, den Film auf diese Weise zu machen. Erst danach wurde es eine technische Herausforderung.“

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Gespenstische Ruhe und Momente der Action

„Dieser Krieg speziell birgt die Gefahr, zu einer vollkommen verstaubten Geschichtslektion zu werden. Man assoziert sofort Schmutz und braune Farben, Soldaten, die monatelang in Schützengräben hausten. Ich wollte aber gerade mit dieser kleinen Exkursion der beiden Figuren die eigentliche gigantische Größe dieses Kriegs zeigen. Das war mir wichtig, keine politischen oder historischen Statements. Ich wollte einen bestimmten Fluss, Momente der gespenstischen Ruhe und Zurückhaltung und Momente der Action. Es gab keine Möglichkeit, es wirklich in einem Stück zu drehen. Die Landschaften änderten sich dauernd. Aber manchmal kamen wir recht nah an die Idee ran. Wir schickten die beiden Schauspieler auf lange Reisen, bevor ich ‚Cut‘ gesagt habe.“

Apropos Schauspieler: Der Film zehrt zum einen von seiner speziellen Machart, von dem körperlichen Sog den die Bilder von Kameragott Roger Deakins entwickeln, unterstützt von einer virtuosen Tonkulisse. Zum anderen sind es die beiden Hauptdarsteller, die „1917“ souverän auf ihren schwerbepackten Schultern tragen. Dean-Charles Chapman („Game of Thrones“) und vor allem George MacKay überzeugen gänzlich in ihren Rollen als Durchschnittsbuben, die in die Kriegshölle gestoßen werden. Die zahlreichen kurzen Gastauftritte von Stars wie Benedict Cumberbatch oder Colin Firth verblassen dagegen fast.

„Diese zwei Jungs waren ganz was Besonderes. Im Zuge der langen Proben durchlebten sie bereits ihre Rollen. Die Art und Weise, wie wir dann gearbeitet haben, erlaubte uns dann sie loszulassen. Sie konnten einfach losmarschieren. Natürlich übten sie mit gewissen technischen Voraussetzungen umzugehen. Aber im Grunde waren sie da draußen auf sich allein gestellt – und wussten oft gar nicht wo sich die Kamera befunden hat.“

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Filme für die große Leinwand

„1917“ ist auf jeden Fall ein Argument für den Kinosaal als Kathedrale, nur dort lässt sich der Film als immersive Erfahrung erfahren. Würde man die selbe Story, die gegen Ende auf Helden-Pathos á la Steven Spielberg setzt, konventionell verpacken, hätte Sam Mendes damit wohl nicht bei der Golden Globes abgeräumt. Ob sein Epos später dann auch auf Streamingkanälen funktioniert, lässt den Regisseur trotzdem mit den Schulter zucken. Mendes ist überhaupt entspannt, was den vermeintlichen Krieg zwischen Streaming und Kino betrifft.

„Es gibt gerade die große Debatte zwischen Kino und Fernsehen. Dazu muss ich sagen, wir leben als Konsumenten in fantastischen Zeiten. Und ich bin ja selber Konsument. Die Auswahl ist enorm. Der neue Film von Martin Scorsese wartet auf mich zuhause vor dem Fernseher. Ich kann gleichzeitig in ein Kino gehen, die oft zu riesigen Palästen ausgebaut wurden, mit komfortablen Sitzen und unglaublichen Soundsystemen. Es gibt Dolby-Atmos und IMAX und all diese Technik. Die Herausforderung als Regisseur ist: Mach einen Film, der nach der großen Leinwand schreit. Arbeite mit IMAX und Dolby-Atmos. Verwende die verdammten Lautsprecher. Glaub nicht, dass du das Recht auf Kino hast, weil du einfach eine zweistündige Geschichte geschrieben hast. Ich höre das schon: Was, ihr wollt meinen kleinen Film nicht mehr ins Kino bringen? Pech für dich. Burschen, ihr müsst schon einen Film machen, der das Kino braucht.“

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Es gibt kein Richtig oder Falsch

Spricht hier nicht ein etablierter Filmemacher gehässig gegen Kollegen, die ein weniger gutes Standing im Business haben? Sam Mendes lässt solche Vorwürfe nicht gelten. Seine Leidenschaft wird von einem harten Pragmatismus abgefedert, der auch das eigene Schaffen inkludiert.

„Schau mal, ich habe früher einige Filme gedreht, die würde ich heutzutage für Netflix machen. ‚Revolutionary Road‘ wäre ein Netflix-Film. Ich könnte es nicht verantworten, dass da Leinwände auf der ganzen Welt dafür zur Verfügung stehen. Nur weil Filmstars darin vorkommen? Das wäre kein Grund. Auf der anderen Seite machte ich auch zwei Franchise-Filme, ich glaube auch an populistische Unterhaltung. Ich mag ja selber auch ‚Guardians of the Galaxy‘ oder ‚Black Panther‘. Es gibt kein Richtig oder Falsch. Es gibt nur interessant oder weniger interessant. Kreuzzüge in diese Richtung gehen mir so auf die Nerven.“

Die Zukunft der bewegten Bilder, Mendes sieht sie vielfältig und eben alles andere als pessimistisch. Seine Augen leuchten, wenn er über Kamerapositionen, verborgene Schnitte und vor allem intensive Darsteller spricht. Ein finales Statement zum Stand des Gegenwartskinos kann er sich nicht verkneifen.

„Wo ist das Problem? Macht doch einfach richtig spannende Filme, dann will sie jeder sehen. Natürlich ist das nicht leicht. Aber die Welt ist hart und nur weil jemand schon ein etablierter Regisseur ist, schuldet sie dir keinen Gefallen. Du musst dafür kämpfen. Und deswegen sitze ich hier im Interview. Ich glaube an meinen Film und will meine Leidenschaft kommunizieren. Raunzen bringt nichts.“

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