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RTL-Dschungelcamp: Sonja Zietlow und Daniel Hartwich als Moderatoren

dpa/Oliver Berg

Blumenaus 20er-Journal

Und täglich grüßt das Dschungeltier

Über Hoffnung und Grusel, die Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdsicht, Symbolpolitik und das Doofi als Gewinner: zum aktuellen Dschungelcamp.

Von Martin Blumenau

Wo werden ausgefeilte, tagespolitische, hochsarkastische Satire-Spitzen ausgepackt? Wo läuft ein wenig bekannter, aber lässiger Dylan-Song als gefinkelter musikalischer Kommentar unter/zwischen einer Szene? Wo wird das Zusammenleben der Menschen ausführlich in all seinen Abgründen und Schwächen verhandelt? Nicht in der Anstalt, nicht bei Scobel, nicht bei Tracks, sondern im Trash-Fernsehen, im Dschungelcamp. Das hebt dieses im Kern natürlich ebenso grindige Reality Format über den Rest seiner grässlichen Mitbewerber; und hat mich als Zuschauer.

Ja, und auch weil es lustig ist, Menschen in extremen Situationen zuzuschauen, Slapstick und Wort-Wüsterei bietet. Also nicht immer; heuer eher gar nicht. Weil diesmal die sonst garantierten Rüpel-Szenen, weil keine der sorgfältig gecasteten Figuren das Parsifaleske des reinen Toren ausstrahlt und der geäußerte Unsinn um den Unsinns willen rausdrängt und dann auch stehen bleibt. Das sind dann perfekte Momente, die von Protagonist*innen wie Larissa Marolt, Joey Heindle, Menderes, Gina-Lisa Lohfink, Daniele Negroni aber auch Sarah Dingens oder Thorsten Legat getragen werden. Wo die Verdutztheit über die Unwirtlichkeit des Lebens sich nicht im Privaten, sondern öffentlich äußert.

Archiv: Melanie Müller, Ex-Bachelor-Kandidatin, wird Dschungelkönigin bei "Ich bin ein Star! Holt mich hier raus!". Daneben die Moderatoren Sonja Zietlow und Daniel Hartwich

APA/Stefan Menne/RTL

Dass die geschickt geschnittene und großartig kommentierte Dauerbeobachtung von Proband*innen in einer Isolations-Situation (samt die Gemeinschaft störenden Wettbewerben, etwa die Ekel-Prüfungen, die keinen anderen Sinn haben als zu spalten) diesmal nicht allzu grotesk verläuft, sondern eher vermault und bitchy daherkommt, trägt unabsichtlich derb der Gesamtsituation Rechnung: Das für Reality-Sender rund um den Globus angelegte Areal im nördlichsten Zipfel von New South Wales wurde zwar nicht von den verheerenden Waldbränden betroffen, die Australien derzeit devastieren - das Thema umhüllt den Kontinent aber so stark, dass sich Host-Sender RTL gezwungen sah, eine Spendenaktion zu starten. Angesichts der Tatsache, dass Australien die Nummer 2 der Länder mit dem höchsten Privatvermögen weltweit ist (Nr. 1: eh klar, die Schweiz), absurd. Aber das waren die Spenden für Notre Dame ja auch, da geht es um Symbol-Politik: Man kauft sich damit moralisch frei, die Show trotz der zeitgleichen Feuer-Hölle zu spielen.

Das ist okay, weil der komödiantische und auch der politische Nährwert der seit 2008 regelmäßig laufenden Reihe hoch ist. Das hat viel mit den Textautoren zu tun, dem Mann von Moderatorin Sonja Zietlow und Micky Beisenherz, dem Kumpel von dem da, die mit zielsicherem Gespür aus bösartiger Verarsche, politischen Anspielungen und gehörigem Wortwitz einen Cocktail mischen, der in dieser (auch intellektuellen) Dichte sonst im deutschen Privat-TV nicht vorkommt; Klaas’ Late Night vielleicht ausgenommen.

Aktuell hat sich das Camp, und das ist nach viel Gekuschel und „Alle gegen eine“-Situationen (Hanka, Helena Fürst) der letzten Jahre schon auffällig in seiner Radikalität, in zwei Lager gespalten, die einander immer unverhohlener bekriegen. Auf der einen Seite die Reality-TV-erfahrene Danni, die ihren Witwen/Mutter-Status (hat ihrem verstorbenen Mann, auch ein Reality-Stern, am Totenbett die Teilnahme versprochen, sagt sie) wortreich, redundant, weinerlich und beinhart zugleich ausspielt. Auf der anderen Seite ihre Prüfungs-Dauerkollegin, die streettoughe Elena, auch ein Reality-Starlet, die heftige Unterstützung von Sonja Kirchberger, der Schauspielerin, dem einzigen echten Star aus dem Leben jenseits von Soap/Boulevard (okay, ein echter Ex-Box-Star ist auch dabei), bekommt.
Oder besser: bekam. Nachdem Kirchberger es letztens in ihrer Kritik (formal, nicht inhaltlich) deutlich übertrieben hatte, wurde sie vom Publikum aus der Show rausgewählt. Was die Lage jetzt zu eskalieren droht.

Überhaupt, das Publikum und seine Wahl: fast immer nachvollziehbar, mit einem feinen Gespür für Gemeinheit und Qual, aber auch Grenzen, was Gerechtigkeit und Umgangsformen betrifft. Die Abstimmungen sind regelmäßig ein Indikator für Hoffnung einerseits und Grusel andererseits, was direkte Demokratie und seine popular vote-Zukunft (und dass die kommt, dafür werden Populisten mit Hang zur Telekratie schon noch sorgen) betrifft.

Denn entschieden wird nicht auf Basis von Sinnhaftigkeit, auch nicht aus Emotion heraus, sondern um Emotionen zu enforcen, um Situationen zuzuspitzen. Man kann jetzt sagen: Muss so sein, bei einer Unterhaltungs-Show. Eh. Aber hier lernen wir, wie’s dann auch in der nächstgrößeren Unterhaltungsshow geht: Politik auf lokaler Ebene womöglich. Und das kann dann bis hinauf zu Verfassungs-Entscheidungen reichen, irgendwann.

Aber wie schon gesagt: Es regiert auch das Prinzip Hoffnung. Denn gewinnen tut - zumindest zuletzt mehrheitlich - das liebe Doofi, das Würschtl, das Entwicklung gezeigt hat und Potential erkennen ließ. Mag es auch von einem sehr niedrigen Ausgangs-Level gewesen sein. Die letzten vier Sieger*innen (und einiges davor) entsprechen genau diesem Muster; so gesehen müsste Prince Damien gewinnen.

Das hat auch damit zu tun, dass die Bitcher und Zankerinnen, die zwei Wochen lang für die Show sorgen, zwar aus Unterhaltungsgründen weitergewählt werden, man ihnen aber den Sieg verweigert. Und das passiert auch, weil es die Redaktion unerhört gut versteht, den schlimmsten blinden Fleck des Menschen auszustellen: die Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdsicht. Eine undurchdachte Ansage und schon sehen sich die Kandidat*innen mit einem Zusammenschnitt konfrontiert, der das Gegenteil belegt - die dann natürlich nur wir sehen, nicht die betriebsblinden Insassen. Insofern ist das Dschungelcamp dann echter als das echte Leben, verdichtender, entlarvender, ja sogar wahrhaftiger. Mehr mag ich von einer Unterhaltungs-/Trash-Show nicht erwarten.

PS: Und dann ist da noch der ungeheuer durchdachte Einsatz von (mehrheitlich anspruchsvoller) Musik als Stimmungs-Untermaler. Davon hab ich jetzt einen Ohrwurm für die Tage...

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