Lachen über das Grauen: „JoJo Rabbit“
Von Christian Fuchs
Was für ein perfekter Film für Zwölfjährige, der in Schulvorführungen gezeigt werden sollte, bin ich mir mit Pia Reiser einig. Trotz einiger wirklich traumatischer Wendungen, wirft meine Kollegin von der FM4 Filmredaktion ein.
Ja, „JoJo Rabbit“ ist nicht nur eine berührende Tragikomödie, die im Deutschland des Zweiten Weltkriegs spielt. Der Film bricht mehrmals mit seinem satirischen Tonfall. Und das Grauen der Nazi-Ära wird beklemmend spürbar. Das muss auch so sein, wenn die Hauptfigur ein begeisterter Hitlerjunge ist und der Holocaust als Drohung über einer anderen Figur schwebt. Gerade durch seine Mischung aus Witz, Rührung und aufflackerndem Schrecken ist „JoJo Rabbit“ aber hervorragendes Bildungskino um Heranwachsende gegen den Naziwahn zu sensibilieren.

Twentieth Century Fox Film Corporation
Auszeit vom Marvel-Universum
Auch für Erwachsene gibt es einige dringliche Gründe, diesen kontroversen Film im Kino zu sehen. Zum einen bietet „JoJo Rabbit“ endlich wieder einmal die Gelegenheit, Scarlett Johansson abseits des Marvel-Universums zu erleben. Bevor sie in „Black Widow“ als Super-Antiheldin zurückkehrt, brilliert die Schauspielerin als widerständige Mutter der Titelfigur.
Zum anderen ist es der Regisseur des Films, der für Unterhaltungskino der ganz anderen, ambitionierten Art bürgt. Der Neuseeländer Taika Waititi, der sich nach „Thor - Ragnarok“ ebenfalls eine Marvel-Auszeit gönnt, knüpft mit „JoJo Rabbit“ an seine unverwechselbaren Erstlingsstreifen an. Ob im Coming-Of-Age-Drama „Boy“ oder der melancholisch-komischen Aussteigerstory „Hunt For The Wilder People“, Waititi balanciert Humor, Hirn und Herz so überzeugend aus, dass es eine Freude ist.
Der Zweite Weltkrieg ist aber dann doch eine andere Sache. Basierend auf einem Buch von Christine Leunens erzählt Taika Waititi von einem Buben in der deutschen Provinz. Der Vater ist an der Front, die Schwester vor kurzem verstorben: Der zehnjährige JoJo Betzler fühlt sich trotz einer liebevollen Mutter einsam und verlassen.

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Bittersüße Pointen gegen den Horror
Während der Krieg bereits ins Finale geht und die Nazi-Diktatur dem Untergang geweiht ist, flüchtet sich JoJo in Siegesparolen. Bestärkt wird er darin von einem Freund, der nur in seiner Fantasie mit ihm abhängt, Adolf Hitler persönlich.
Geht sich das aus, denkt man sich am Anfang dieses Films, ein kindlicher Protagonist voller Nazi-Fanatismus und ein imaginärer Hitler, der als giftiger Kasperl gespielt wird. Schon bald wird aber klar, dass wir uns in einem humanistischen Märchen befinden. JoJo der Hasenfuß passt als sensibles Kind nicht zur Hitlerjugend. Und als der aufgehetzte Junge bemerkt, dass seine Mutter ein jüdisches Mädchen in der Wohnung versteckt, zerfressen ihn innere Konflikte.

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Es gäbe etliche Möglichkeiten, eine solche diffizile Story zu erzählen, vom rührseligen Spielberg-Epos bis hin zu einem eiskalten Haneke-Drama. Taika Waititi orientiert sich dagegen an Vorbildern wie Charlie Chaplin („The Great Dictator“) und Roberto Benigni („La vita è bella“) und kontrastiert den omnipräsenten Horror mit bittersüßen, manchmal auch klamaukigen Pointen.

Radio FM4
Christian Fuchs, Pia Reiser und Fritz Ostermayer unterhalten sich im FM4 Filmtalk Podcast über Hitler-Darstellungen in der Filmgeschichte, Horror und Humor - und den besten Song der Welt.
Knallbunte Farben, rabenschwarzer Inhalt
Dieser Mix gelingt oft auf umwerfende Weise, nur manchmal wirken slapstickhafte Faschisten deplaziert. Man muss diese polarisierende, rabenschwarze und sehr sentimentale Comedy aber inhaltlich auch nicht unbeschränkt feiern. Mitreißend ist in jedem Fall wie Taika Waititi, ein abgründiger Menschenversteher, der selber auch in die groteske Hitler-Rolle schlüpft, die popkulturelle Magie des Kinos beschwört.
Der Regisseur choreografiert in knallbunten Farben und mit Songs von David Bowie und den Beatles eine Anti-Nazi-Fabel für Kinder und Kind-Gebliebene. Der kleine Roman Griffin Davies, Sam Rockwell, Thomasin McKenzie und Scarlett Johansson spielen bravourös. Dass sämtliche Darsteller von Deutschen in der Originalfassung im wildesten angloamerikanischen Slang schwelgen, passt herrlich zu diesem eigenwilligen Film.
Publiziert am 23.01.2020