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Kreuz im Klassenzimmer

dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Blumenaus 20er-Journal

Das Kreuz mit dem Fundamentalismus

Wie das Kopftuch-Verbot den politischen Islam stärken kann. Und was das mit der kreationistischen „Schöpfung“ zu tun haben könnte.

Von Martin Blumenau

Die hier zu Jahresbeginn angestoßene These, dass sich die Grünen innerhalb der neuen (Rechts-Mitte-)Koalition opfern, um ihre Themen zu setzen und so (via Deutschland und die EU) die Welt retten wollen, verdichtet sich. Zumindest, was die symbolpolitischen Akte betrifft, die der große türkis-schwarze Regierungs-Partner setzt, um die eigene, alte sowie die von der FP dazugewonnene, vom Rechtspopulismus mit hohem Fettgehalt abgefütterte Klientel satt zu machen, die sogenannten „Grauslichkeiten“ (Zitat Michel Reimon).

Diejenige dieser symbolpolitischen Aktionen, die am tiefsten in die VP-Seele blicken lässt, ist das derzeit breit diskutierte Kopftuchverbot.

Es ist, egal, ob es für Kinder, Mädchen oder Lehrerinnen gelten soll/wird, ein Signal an besorgte Wütbürger*innen und Kreuzritter-Fans in allen Lagern, ein löwenherziges „No pasarán!“. Seine Folgen bei den Betroffenen sind absehbar: Ärger, selbst bei jenen, die kein Tuch aufsetzen, daraus resultierende Verhärtung und Radikalisierung.

Das wiederum entspricht genau dem Muster, das im Handbuch für Rechtspopulismus als Zielvorgabe drinsteht: Sorge mit deinen Aktionen dafür, dass dir deine Anhänger applaudieren und deine Gegner sich radikalisieren, damit du ihre Gefährlichkeit weiterhin als zentrales Narrativ ausstellen kannst, sie weiterhin durch die Arena des Dann-immer-neu-Sagbaren treiben und so immer neue Fan-Gruppen gewinnen kannst.

Das Kopftuchverbot löst (für sich allein genommen jedenfalls, da sind sich fast alle Expert*innen einig) kein einziges Problem, sondern schafft sie erst: Konflikte in den Familien, zwischen Gemäßigten und Radikalen. So bekämpft es den politischen Islam nicht, es befördert ihn viel eher. Um ihn damit ein Stück sichtbarer und verärgerter zu machen, um ihn dann noch glaubhafter ausstellen und bekämpfen zu können; ein strategisches Perpetuum mobile, eine Dauerschraube. Es ist also das bewusste Gegenteil dessen, was es vorgibt zu sein.

Weil ich schon das Frankreich-Argument höre, wo das Kopftuchverbot Realität ist: Abgesehen davon, dass es auch nicht mehr Frieden und Sicherheit gebracht hat - in einem so strikt laizistischen Land sind die Voraussetzungen gänzlich andere als im hochkatholischen Österreich. Denn in Frankreich gibt’s auch keine Kreuze im Klassenzimmer, in Österreich ist derlei, sagt auch die laizistische Justizministerin, nicht mehrheitsfähig.

Österreich fährt eine scheinheilige Doppelstrategie: Während anderswo gezielt (Teil-Verbot von Verhüllungen, wie im UK) oder umfassend (wie eben in Frankreich) gehandelt wird, um die Lebenspraxis zu regeln (also zu tun, wofür eine Regierung da ist), geht es hierzulande ausschließlich um/gegen Muslimas; mit der Gleichsetzung von Kopftuch und politischem Islam. Jede andere religiöse Symbolik bleibt in der aktuellen Debatte außen vor - für eine diesbezüglich zu Kaisers Zeiten noch sehr liberale Nation verwunderlich.

Hier weht der Wind der Zwischenkriegszeit, als die Christlich-Sozialen (CS) immer mehr an religiös-fundamentalistischen Inhalten in die Politik einbrachten, was schließlich im Ständestaat, der klerikal-faschistischen Diktatur von 1934-1938 mündete. Die Nachfolge-Partei ÖVP hat sich diesbezüglich zurückgehalten, im sicheren Bewusstsein, die Stimmen der Religiösen und Kirchgänger sowieso zu bekommen.
Jetzt aber, im Zeitalter der segmentierten Zielgruppen-Botschaften, sind Zweifel angebracht: Die Caritas-Fraktion der Christen etwa unterliegt diesem Automatismus nicht mehr.

Und so tauchte ein letztlich fundamentalistischer Begriff wieder auf: der der „Schöpfung“, die der Kanzler ganz gezielt an/ausspricht, wenn es um den VP-Zugang zur Klimapolitik geht. Die Schöpfung ist nämlich der zentrale Begriff des Kreationismus, der sich der Evolution, also der Wissenschafts-These entgegenstellt.

Nun sind weder der Kanzler noch sonst arg viele in der neuen ÖVP Kreationisten, auch nicht die zwei „So wahr mir Gott helfe“-Zusatz-Sagerinnen der Angelobung. Es ist eine ganz bewusste Geste für das erzkatholische Core-Publikum und an alle wertkonservativen, die in punkto Nächstenliebe vielleicht weniger begeistert vom harten und wirtschaftsliberalen türkisen Kurs sind. Es ist auch eine Botschaft an das vielbeschworene ländliche Muatterl, die Urli-Oma; die selber immer noch Kopftuch trägt.

Ein Widerspruch? Heute ist das keiner mehr. Ideologie-Vermittlung hat nichts mehr mit einem klar ausgerichteten Werte-Kanon der Parteien des 20. Jahrhunderts zu tun, es geht nur noch um vereinzelte Botschaften, die unterschiedliche Interessengruppen in unterschiedlicher Stärke erreichen sollen. Um Symbol-Politik eben. Und die dient dann nicht unbedingt einem größeren Ganzen, sondern darf, soll oder muss sich sogar widersprechen. Insofern ist der angesprochene Fundamentalismus dann auch wieder nur ein höchst partikulärer. Trotzdem: Ihn zu triggern, bedeutet auch ihn wieder salonfähig zu machen. Ihn im Zusammenhang mit einem anderen, tatsächlich gefährlichen Fundamentalismus, dem islamischen, aus dem Sack zu lassen, ist ein Spiel mit dem Feuer.

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