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"Flutgebiet" Roman Cover

müry salzmann Verlag

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Der Roman „Flutgebiet“: Ein beinharter Blick auf das Hamburger Hafenmilieu

Malte Borsdorf verwebt in seinem Roman „Flutgebiet“ eindrucksvoll die Geschehnisse der katastrophalen Hamburger Flut 1962 mit der Geschichte des 15-jährigen Karl, angesiedelt im Hamburger Hafenmilieu.

Von Philipp Emberger

Überflutete Häuser, weggerissene Autos und herumfliegende Dachschindeln. Menschen, die nicht im Schlaf von der Flut überrascht wurden, harren in der Hoffnung auf Rettung frierend auf Häuserdächern aus. Es sind Bilder, die sich tief in das kollektive Hamburger Gedächtnis eingebrannt haben. Traurige Realität waren diese Szenen in Hamburg im Februar 1962. Ausgelöst vom Orkantief „Vincinette“ wurde die Hansestadt von einer der größten Naturkatastrophen der deutschen Nachkriegsgeschichte getroffen. Vor allem der Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg, der wie eine Insel zwischen zwei Elbarmen liegt, wurde von der Flutkatastrophe verwüstet. Hier stirbt ein Großteil der insgesamt 315 Flutopfer.

„Eine Welle. In die Straße eingebrochen. Dem Hintersten riss sie die Beine unter dem Körper weg.“

In diesem Stadtteil Wilhelmsburg ist der Roman „Flutgebiet“ des deutschen Autors Malte Borsdorf angesiedelt. Dort lebt der 15-jährige zierliche Karl Blomstedt, der sich seine Zeit am liebsten mit dem Lesen von ausgeliehenen Büchern aus der Bibliothek vertreibt. Bei den Probearbeiten auf den Frachtschiffen im Hamburger Hafen hinterlässt Karl nicht den besten Eindruck, sehr zum Missfallen seines Vaters. Dieser arbeitet als Schauer, zuständig für das Be- und Entladen von Frachtschiffen. Seine Mutter ist Köchin in Novotnys Hafenkneipe, der „Kogge“. Das Hamburger Hafenmilieu bildet den erzählerischen Rahmen für die lebendige Geschichte von Malte Borsdorf. In der „Kogge“ verbringt Karl auch einen großen Teil seines bisherigen Lebens. Jeden Tag nach der Schule kommt er mit den Ausgestoßenen der Gesellschaft in Berührung: Trinker*innen, Sexarbeiter*innen, arbeitssuchende Schiffsarbeiter.

Malte Borsdorf

Johannes Brodowski

Der Autor Malte Borsdorf

Ihre Gemeinsamkeit: Das Tempo, in dem der Korn weggekippt wird. Für sie ist die „Kogge“ das, was der namensgebende Schiffstyp (eine Kogge war ein Segelschiffstyp) verspricht: Die Hoffnung über Wasser gehalten zu werden, um nicht im Sog des Lebens noch tiefer nach unten gezogen zu werden. Während die Flut eine Spur der Verwüstung zurücklässt, bleibt die Kogge aufgrund der erhöhten Lage verschont und somit wird die Hafenkneipe kurzerhand zur Unterkunft für die Gestrandeten. Sie wird einmal mehr zum Zufluchtsort. Die Geschichte der „Kogge“ als Rettungsanker ist auch eine der mitreißendsten im Buch. Ihre Besucher*innen erzählen starke Geschichten, die fesselnd erzählt sind.

„Die Luft in der Kogge war stickig und angefüllt mit den Stimmen der Helfer und Evakuierten, die sich dies und das erzählten. Was sie gesehen, was sie gehört hatten, sie stellten Vermutungen über das wahre Ausmaß der Katastrophe an. Jemand sprach von mehreren tausend Toten, allein in Wilhelmsburg. Es könne nicht anders sein, eine solche Flut habe man noch nie erlebt.“

Reportage über das Hamburger Hafenmilieu

"Flutgebiet" Roman Cover

müry salzmann Verlag

„Flutgebiet“ von Malte Borsdorf ist im müry salzmann Verlag erschienen und hat 240 Seiten

Malte Borsdorf liefert mit dem Roman einen Einblick in die ärmlichen Verhältnisse des Hamburger Arbeiter- und Hafenmilieus, ohne dabei von oben herab zu blicken und die Handelnden zu entblößen. Es ist ein beinharter Blick auf die schwer schuftenden Hafenarbeiter, die dennoch zu wenig zum Leben haben. Er schenkt auch der Familiensituation innerhalb der Familie Blomstedt Beachtung und beschreibt Karls schwieriges Verhältnis zu seinem Vater. Borsdorf ist selbst 19 Jahre nach der großen Flutwelle in Reutlingen geboren und in Tirol aufgewachsen. Sein Studium verschlug ihn nach Innsbruck, bevor er in Wien landete. Heute lebt er in Kiel.

Mit „Flutgebiet“ liefert er eine lebendige Geschichte, angesiedelt in einem oftmals verdrängten Teil der Gesellschaft. Bedrückend verknüpft Borsdorf die realen Ereignisse im norddeutschen Hamburg 1962 mit der fiktiven Geschichte des Karl Blomstedts. Die Beschreibung des Hamburger Hafenmilieus ist berührend und beklemmend zugleich und lässt einen oft fassungslos zurück. Nebenbei wird auch noch das eigene Schifffahrts-Vokabular aufgebessert.

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