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Billie Eilish mit ihren Grammy Awards

APA/AFP/FREDERIC J. BROWN

Was man von den Grammys 2020 mitnehmen kann

Billie Eilish und eine neue Generation Popstars dominieren die Award-Show.

Von Christoph Sepin

Preisverleihungen als Maßstab für die Qualität von Kunst herzunehmen, ist natürlich ein Irrtum - egal ob das jetzt Film-, Games-, Literatur- oder Musik-Awards sind. Künstlerische Arbeit, deren Wertigkeit oft rein subjektiv messbar ist, lässt sich nicht einfach einordnen. Und noch weniger kann objektiv gesagt werden, was denn nun das beste Lied, das beste Buch oder der beste Film des Jahres ist.

Das gilt auch für die gestern Nacht stattgefundene Grammy-Preisverleihung, bei der im Vorfeld weniger die Musik im Fokus stand. Vielmehr wurde die Award-Show durch die Beurlaubung der erst kürzlich einberufenen Chefin der Recording Academy und im Weiteren durch ihre Vorwürfe an die Akademie überschattet. „Can the Grammys be trusted?“, fragte auch die New York Times zuletzt.

Aber wozu dienen die Grammys dann überhaupt, möchte man fragen, wenn nicht als Qualitätssiegel für Musik? Doch für ein paar Dinge. Einerseits natürlich sind sie ein Ort des niederschwelligen Entertainments und ein Fabrikator von Memes und Clickbait-Headlines für emsige Menschen in Social-Media-Jobs. Andererseits können anhand der Grammys aber doch einige Entwicklungen abgeleitet werden - und die Zukunft der Musikwelt zu einem gewissen Grad vorhergesagt werden. Eine simplifizierte Version der sehr komplexen Musikindustrie also, destilliert auf einen Abend voller Kleider, Anzüge, grinsender und weinender Gesichter, Hommagen und kurzweiligen Showeinlagen.

Billie Eilish gewinnt fünf Grammys

Es war natürlich die große Nacht von Billie Eilish und ihrem Bruder Finneas, die gemeinsam fünf Grammys mit nach Hause nehmen durften - und das auch in den „wichtigsten“ Kategorien: Album des Jahres, Song des Jahres, Record des Jahres. Das zeichnete sich natürlich im Vorfeld ab, bleibt aber immer noch erstaunlich: die Karriere von Billie Eilish bewegt sich weiter in unglaublicher Geschwindigkeit voran.

Billie Eilish

APA/AFP/Robyn Beck

Gerade letztes Jahr mit Debütalbum und großer Tour so richtig im Mainstream durchgestartet, soll heuer gleich noch ein Album erscheinen. Die Welttour für 2020 ist auch schon zu großen Teilen ausverkauft. Und dann natürlich auch gleich, wie kürzlich bekannt wurde, das Titellied zum neuesten James Bond-Abenteuer. Das erweckt den Anschein, als würden so viele Teile der Entertainmentindustrie wie möglich, so schnell wie möglich von Eilishs Ausnahmeerfolg profitieren wollen.

Man möchte zurück denken, wann denn das letzte Mal ein Popstar in solcher Geschwindigkeit von Release zu Release und Tour zu Tour marschierte - und fühlt sich höchstens noch an die damals riesige Karriere von Britney Spears erinnert. Und tatsächlich, zwischen den ersten Erfolgen von Eilish und Spears liegen auch genau zwanzig Jahre: Das erste große Album "...Baby One More Time" erschien 1999, gefolgt von „Oops!... I Did It Again“ im Jahr darauf. Nur dass Spears eben damals bei den Grammys leer ausging - Eilish teilte sich zumindest zwanzig Jahre später die Nominierungen in den Kategorien „Best New Artist“ und „Best Pop Performance“ mit ihr. (Und Fun Fact: Wenigstens einen Amadeus Austrian Music Award hat Britney Spears damals im Jahr 2000 gewonnen).

Eine neue Generation Popstars

Historisch waren die Grammys letzte Nacht trotzdem, geht es nach den ausgezeichneten Musiker*innen. Sie waren die Awardshow, in der sich eine neue Generation an Popstars endgültig und unumstritten etabliert hat: Billie Eilish mit fünf, Lizzo mit drei, Lil Nas X und sein „Old Town Road“ mit zwei und natürlich „Queen“ Rosalia mit einem Award gehören zu den großen, neuen Persönlichkeiten der Popwelt, bewegen sich mühelos durch Genres und vermischen ihre Einflüsse von Nine Inch Nails-Samples zu minimaler Elektronik.

Lizzo

APA/AFP/Robyn Beck

Was diese neue Generation in Bezug auf die Grammys mit sich bringt, ist wieder zu demonstrieren, wie altbacken und aus der Zeit gefallen die Kategorien der Preisverleihung sind: zurecht hier ein gestern für bestes Rap-Album ausgezeichneter Tyler the Creator, der sich über die Bezeichnung „Urban“ beschwert oder seltsame Genre-Unterscheidungen, wie die Kategorien „Best Latin Pop Album“ und „Best Latin Rock, Urban or Alternative Album“.

Und dann natürlich die Rubrik „Alternative“, die über die Jahre immer obsoleter wirkt: Gestern haben dort Vampire Weekend mit „Father of the Bride“ gewonnen, gemeinsam mit Nominierten wie Big Thief, Thom Yorke, Bon Iver oder James Blake hätte sie aber durchaus auch einfach in anderen Kategorien stehen können. Bon Iver war das ja schließlich auch.

Was bleibt also übrig von den Grammys 2020? Eine neue Generation, die mal kurz in der alten Welt der Awardshow vorbeigeschaut hat und ein Zeichen, dass der Popbegriff fluid ist und auch bleiben wird. Das ist eine gute Entwicklung, denn wo weniger Einengungen durch Genrezwänge existieren, entsteht mehr kreative Freiheit.

Was denn nun das beste Album oder Lied des Jahres ist, bestimmt man aber trotzdem am besten weiterhin einfach für sich selbst.

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