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Protestsong Halbfinale

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Blumenaus 20er-Journal

Protest gegen den Protest

Das ist eine zügellose Wutrede gegen all jene, die den Protestsong-Contest verstümmeln.

Von Martin Blumenau

Ich hätte es am Samstag (aus durchaus guten Gründen) fast nicht zum Protestsong-Contest-Vorfinale geschafft, zum ersten Mal übrigens im 17. Anlauf wäre das gewesen. Ich war dann doch dort, weil der Fred krank wurde (Besserung!). Und ich habe mir dann am Ende der Veranstaltung gewünscht, es wäre doch so gewesen.

Ich habe mir gewünscht, ich wäre nicht dagewesen. Ich habe mir das an diesem schönen Abend angesammelte Wissen um und die Gefühle für an die 20 mir bis dorthin unbekannten Acts weggewünscht, ich habe mir Ahnungslosigkeit gewünscht, ich habe mir gewünscht ein uninformierter Trottel zu ein, ein Jury-Mitglied, das am 12. Februar völlig blank in die Veranstaltung geht und glaubt, dass das, was es da in den Top Ten vorgesetzt bekommt, tatsächlich das Beste des Jahrgangs ist.

Ich habe mir gewünscht so zu sein, wie eh praktisch alle (und ich selber in einigen Bereichen ja auch gerne): kontext- und ahnungslos, aber im festen Glauben trotzdem mitreden zu können. Keine Sorge, jetzt kommt keine Social-Media-Tirade, weil diese Möglichkeit jeden Gedanken/Gefühlsfurz ordentlich loswerden zu können, das rauskotzen, rauskacken, rausfurzen zu können, hat durch die neuen Medien zwar zugenommen (das ist eben der Nachteil der immer direkteren Demokratie), ist aber nichts Neues. Die menschliche Faulheit, Überheblichkeit, Selbstüberschätzung zieht seit jeher schlechte/unprofessionelle Vorbereitung nach sich; das weiß ich nicht nur aus jahrtausend-übergreifender Jury-Erfahrung, sondern auch mit einem Blick auf die Experten-Schar dieses Landes. Vielleicht ist es der Stolz auf diese Blödheit, auf sein eigenes Unpräpariert-Sein, dieses Sich-Verlassen auf Instinkt und Reflexe, diese Stammhirn-Geilheit, die neu dazugekommen ist, oder zumindest mittlerweile mehrheitsfähig ist.

Trotzdem, und ihr merkt, ich hasse diese Haltung (auch an mir selber, wenn ich mich ertappe), trotzdem wünschte ich sie mir. Weil es mir Ärger ersparen würde, noch schlimmer: ohnmächtige Wut, die sich bis zum 12. Februar, zum Finaltag aufbauen und dann kulminieren wird. Und weil ich kein Reinfresser bin, wird sie dann jemand abbekommen. Und auch das ist nicht fair (dazu später).

Ist das jetzt so wichtig, fragt ihr euch.
Ja, ist es.
Weil der Protestsong-Contest eine der ganz wenigen Veranstaltungen ist, die aus sich selber heraus entstehen. Es braucht keinen Vorlauf, keine Entdeckung, keine Media-Coverage. Niemand muss im Farmteam oder den little leagues gespielt haben, um ins Finale zu kommen. Mehr Freiheit als beim PSC geht nicht.

Gerade deshalb ist die Verantwortung derjenigen, die selektionieren, umso größer. Zumal der PSC in einem gesellschaftlich reflektierten Umfeld stattfindet und auf eine Abbildung der Diversität, die auch und vor allem im weltoffenen Musik-Bereich stattfindet, wichtig ist. Und es geht auch darum, dass der Spaß und die Lust, also der Show-Charakter nicht zu kurz kommen - es gibt nichts Schlimmeres als Protest zu einer Party für wimpy white boys zu machen, denen das leidende Lagerfeuer-Gitarrenspiel letztlich eh wieder nur zum Aufriss von Mädels oder als Karriere-Helfer dient.

All das schafft der Protest-Song-Contest Jahr für Jahr. Trotz heftigster Widerstände; aus den eigenen Reihen, nämlich der Vorfinal-Veranstaltung.

Regelmäßig, und ich habe wie gesagt den jahrzehntelangen Überblick, werden dort Versuche lanciert, die Grundregeln der subkulturellen Sinnhaftigkeit zu unterlaufen, regelmäßig werden dort Bands/Acts ausgeschieden, die Siegesanwärter sein könnten, nie oder bestenfalls fadenscheinig begründet. Ich hadere so gut wie jedes Jahr und teile das den Zuständigen auch immer direkt mit. Weil es in den Vorfinal-Jurys aber keine Kontinuität gibt, es also gar keine Möglichkeit für so etwas wie Erfahrungswerte oder ein Gefühl für Relationen gibt, bessert sich nix.

Und heuer war’s dann besonders schlimm. Und es fällt deshalb ins Gewicht, weil sowohl die Ausfalls-Quote als auch die Zahl der würdigen Finalisten so hoch bzw. tief liegen wie noch nie. Deshalb auch meine durchaus drastische Geste am Schluss der Veranstaltung - spaßohne.

Jetzt kann man sagen: geschmäcklerisch. Ja, vielleicht auch. Aber die Zahlen sprechen auch eine eindeutige Sprache. Etwa die verheerende Frauen-Quote: 7 Jungs-Bands, 2 gemischte Acts und nur eine Solo-Frau. Wenn insgesamt 5 Frauen auf der Finalbühne stehen werden, ist das schon viel. Es ist also wie bei den Oscars, wo nach der vielfach gelobten Besserung jetzt auch heuer wieder Frauen und people of colour nicht/kaum vorkommen. Nur dass es sich beim PSC eben nicht um eine Mainstream-Veranstaltung, sondern um eine Selbstdarstellung der Gegenkultur handelt/handeln sollte.

Die PSC-Vorjury hat dieselbe Verantwortung wie eine Festival-Organisation, sie macht letztlich den Job eines Kurators, einer Kuratorin; es geht auch darum persönlichen Geschmack für das Gesamtwohl hintanzustellen und auf eine repräsentative Ausgewogenheit zu achten. Anders geht es heutzutage nicht mehr. In jeder Hinsicht, auch was den Show-Faktor betrifft: So findet sich eine Truppe von grauhaarigen Sitz-Veteranen (gegen deren Song nichts einzuwenden ist, just saying) im Finale, der klare Wirbelwind-Leader aber, die ungestüm-aufmüpfige Zirkusband, die den Kampf um das Aufmacher-Bild der FM4-Story logischerweise klar gewonnen hat (die anderen gaben optisch zu wenig her), und im Finale durchaus Siegeschancen gehabt hätte (so gut kenne ich die Jury-Kolleg*innen), aber nicht.

Neben der offen Misogynie (es waren genug gute Frauen für eine zumindest halbwegse
Ausgewogenheit im Rennen) und dem Missverständnis, dass Protest nicht theatertauglich sein darf, kam auch noch ein dritter klassischer Kardinalfehler dazu: Finalchancen hatte eher, wer sich in Kraut-und-Rüben-Texten möglichst allgemein als Vertreter des Guten auswies. Acts mit poetischen Verfremdungen (wie Fluse) oder gar der sarkastischen Wendung (wie Anna Mabo) hatten keine Chance, weil viele den Protestsong irrtümlich für einen nahen Verwandten des Flugblatts halten. Ist er nicht: Er ist der vorgehaltene Spiegel, der uns zeigt, in welchen Denk-Fallen wir stecken. Weil guter Protest einen ja nicht beruhigen oder bestärken, sondern aufrütteln oder verunsichern soll. Oder zumindest den entscheidenden Punkt so deutlich ins Zentrum stellen, wie es die FS2 tun, anstatt drei Strophen lang drumherum zu jammern.

Weil nun bei dieser Vorausscheidung (aus sicherlich unglücklichen Umständen, mein Verständnis ist groß, dafür, dass es keine Kontinuität gibt und Juroren nichts dazulernen dürfen, können sie nichts) alles zusammengekommen ist, was geht (keine Achtung für Frauen, kein Sinn für Diversität, kein Sinn für Dramaturgie, kein Sinn für eine gute Mischung, das ewig gleiche Missverstehen des Wesens von Protestkultur) wird sie am 12. Februar verstümmelt daherkommen.

Dass es im Jahr des friedlichen Jugend-Protests dann flache Henning-May-Imitatoren, Geschichts-Revisionisten (Stichwort: 40er-Jahre, ich hoffe sehr, der kapitale Bock ist im Finale ausgebessert...) und Männer, Männer, Männer geschafft haben, wirft ein schlimmes Licht auf, ja, letztlich uns alle, weil wir alle der Protestsong-Contest sind. Weil es (und die paar positiven Ausnahmen, die ich erst am 12.2. benennen darf, das gebietet der Anstand eines Jury-Mitglieds, sind da ausgenommen) unendlich peinlich ist.

Selbst wenn ich mich distanzieren mögen würde (und meine Lust darauf war nie größer)- es geht nicht: Am PSC wird eine ganze Geisteshaltung gemessen.

Was man tatsächlich tun kann, ist die Kriterien für die Finalteilnahme zu schärfen und nicht jedes Jahr neuen Zufälligkeiten zu überlassen. Das wird tatsächlich eine (meine) Bedingung sein.

Meine Wut bleibt aber.
Ich tue, was ich kann: Ich hab eine der erwähnten Bands ins Radio eingeladen, am Mittwoch Mitternacht. Vielleicht folgen weitere; aus den folgenden Acts:

Die Zirkusband - „Dritte Piste“

Sieben Menschen, bunte Gewänder, bunte Gesichter, extreme Energie, voller Spaß, eine (weibliche) Brass Section mit unglaublichen Solo-Qualitäten, pfiffiger Ska, französisches Intro, englischer Übergang, österreichische Strophe und die zentrale Zeile „System Change statt Climate Change“ - die Zirkusband ist nicht nur was fürs Auge und fürs Ohr, sondern auch ein Crowdteaser, in der Tradition des Faustwatschen-Orchesters, nur eben in Jung und bewegt. Ihr Fehlen ist wohl am bittersten.

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Anna Mabo - „Vielleicht ist das Radio einfach hin“

Ich weiß, was passiert ist: Anna Mabo schreibt einen assoziativen und poetischen Text, der um das Mansplaining-Thema herumfährt wie eine lüsterne Kamera, sie plakatiert nicht, sie reißt die Plakate runter und sie bietet ihn mit einer rotzigen Dylan-attitude dar - das ist zumindest eine Provokation zuviel. Und das „Versteh ich nicht!“-Argument geht als schneller Vorwand - die dümmste aller Ausreden, als ob ein Pop-Text sich wie ein Wissenschafts-Text erklären müsste. Diese Debatte kenne ich aus vielen Finals, vor allem Männer haben da (bei Frauen) ein Problem. Anna Mabo hätte den PSC also nicht gewinnen können, ihr das Finale zu verwehren, ist aber eine Frechheit.

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Fluse - „Der halbe Wald ist in den Fluss gerutscht“

Same here: poetischer Text, der in scheinbar keiner Beziehung zum Refrain steht - wenn man ein assoziations- und gefühlsloser Trottel ist. Tolles Stück, es ist die White-Stripes-Besetzung (die Drummerin war bei Kapatult, wir erinnern uns), die etwas wunderbar roughes nach sich zieht; und es ist das Gefühl, dass dieser deutsche Act sich sicher ist, was er erzählen will. Warum sich das gegen einige Finalisten, die sich aus reiner Text-Unsicherheit ins Blabla-Land flüchteten, nicht durchsetzen konnte, bleibt unerklärlich.

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FS2 - „ofonga“.

FS2 gingen mit der Startnummer 7 ins Halbfinale. Und sie waren die ersten, deren Song einen durchs Publikum gehenden Ruck verursachte - und vor ihnen spielten schon drei spätere Finalist*innen ihre stimmungsarmen Sets. Und so oft war das, aus wohlgemerkt inhaltlichen Gründen, weil die Botschaft so klar ankam und flutschte und rockte, auch danach nicht mehr der Fall.

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Lisa Jäger - „Für euch“

Lisa Jäger (wieder mit Band, aber diesmal trotzdem nicht als Lisa Jäger & Band) war im Vorjahr zweite, auch weil ihr Song einen hervorragenden Pop-Appeal hatte und über einen Refrain verfügte, den du nach dem ersten Mal intus hast, ohne dass er wirklich banal wäre. Das war auch heuer wieder so. Und das soll nicht fürs Finale reichen? WTF!

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SCHOdL - „ER (ist so populär)“

Wenn sich ein PSC-Text dann endlich auch einer konkreten Person widmet (bzw. sie als role model hernimmt) dann ist das nach den vielen wir sollten, sie müssten, warum tun wir nicht-Gelamentiere eine echte Wohltat. Vor allem, weil ER gerade wieder so schön präsent ist.

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Isa - „Ungeschminkt“

Ich bin ja traditionell kein Freund davon, dass immer mehr deutsche Acts, vor allem Singer/Songwriterinnen ohne jeglichen Bezug zu Österreich, dem Rabenhof oder dem 12. Febuar (an dem der Bewerb ja nicht zufällig stattfindet) ankommen und mit einer interkulturellen Ignoranz sondergleichen davon ausgehen, dass deutsche Befindlichkeiten mit den österreichischen ident sind. Die Regensburgerin Isa hat das mit ihrem Beitrag schön weggewischt.

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PS: Dazu kommt noch der Baum-Protest im Sinne Peter Wohllebens...

Mela Vie & Pieces of Pai - „Baum(k)ri(e)sen“

... von dem ich bis gerade eben wegen eines Verhörers glaubte, er wäre eh im Finale. Mela Vie spricht da noch einen Punkt an, der in meiner Mängelliste gar nicht angeführt ist: der völlige Fehlen von Feedback, trotz einer offenen/öffentlichen Jury-Runde.

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