FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Bowler Hat

AFP

ROBERT ROTIFER

Friday on my mind

Was es zum für Freitag bevorstehenden Weltuntergang in Großbritannien wirklich zu sagen gibt. Und was ich uns an Weiterem erspart habe, das ihr nicht wissen musstet.

Eine Kolumne von Robert Rotifer

Ist wahr, ich hab hier lang nichts geschrieben, denn erstens war ich eine Weile weg und zweitens nachher krank, wie eh fast alle. In der Zwischenzeit jedenfalls kamen reichlich Emails und Anrufe aus österreichischen und deutschen Redaktionen, um mich darauf hinzuweisen, dass Großbritannien Ende der Woche die EU verlässt.

Robert Rotifer moderiert jeden zweiten Montag FM4 Heartbeat und lebt seit 1997 in Großbritannien, erst in London, dann in Canterbury, jetzt beides.

Ihr wisst schon: „Wie ist die Stimmung auf der Straße/in der Szene?“

Gut, dass man mich das fragt, denn ich wollte ja eh schon berichten, dass an allen Ecken des Königinnenreichs Männer in Bowler-Hüten und Frauen in Mary Quant-Kleidern in Grüppchen herumstehen und einander entweder zur neu gewonnenen Freiheit ihres Landes gratulieren oder sich bitter darüber beschweren, dass das britische Mehrheitswahlrecht aus einer tatsächlichen Stimm-Mehrheit für Parteien, die ein zweites Referendum anboten, eine klare absolute Parlamentsmehrheit für Boris Johnsons Brexit-Kurs gemacht hat.

So sind sie eben, die Brit*innen, immer bereit zu schonungslosen, offenen Dialogen über die Themen des Tages, und deswegen sind wir heute, wo wir sind.

In meiner Abwesenheit hätte ich ja so viel Gelegenheit gehabt, hier Beispiele dieser einzigartigen Debattenkultur zu liefern. Zum Beispiel die Debatte darüber, ob am 31.1. um 23 Uhr der Big Ben läuten soll, um den Brexit zu markieren, selbst wenn das eine halbe Million Pfund kosten würde, weil der Bimmelschlegel gerade bei der Reparatur ist und eigens provisorisch temporär wieder angebracht werden müsste. Da habt ihr aber was versäumt.

Am Ende hat Nigel Farage angekündigt, dass er den Glockenschlag per Lautsprecheranlage zum Erschallen bringen wolle. Genau das hatte ich, vom Thema inklusive dem wohlmeinenden Sub-Genre „Was man um eine halbe Million sonst noch alles bezahlen könnte“ genervt, schon Tage zuvor per Twitter vorgeschlagen. Gut zu sehen, dass ich so einflussreich bin!

Andererseits gab es dann auch die ungute Harry & Meg-Geschichte, die ganz ohne meinen Senf auskam. Nämlich dass jetzt wenigstens die zu Zeiten von H&Ms Hochzeit popularisierte Mär der Möglichkeit einer „progressiven“, geschweige denn „feministischen“ Neudefinition eines auf vererbte Macht aufbauenden Systems unwiederbringlich widerlegt sein sollte.

Ebenso unterschlagen hab ich euch den Fall eines Fernsehdetektivs, der einer auf das Thema spezialisierten Akademikerin und dem britischen Fernsehpublikum in der Flaggschiff-Diskussionsrunde der BBC namens Question Time erklärte, was sicher nicht Rassismus bzw. dass Großbritannien das „toleranteste und netteste Land in Europa“ sei.

Alle unterhalten sich dann tagelang darüber, an welche Wand der Fernsehdetektiv wohl gelaufen sei.
Statt der näher liegenden Frage, was eigentlich die BBC anficht, immer wieder minderqualifizierte Leute wie diesen Fernsehdetektiv in ihre Flaggschiff-Diskussionsrunde der BBC namens Question Time einzuladen (historisch häufigster Gast der letzten schicksalshaften Jahre war nicht zufällig Nigel Farage).

Aber ich ließ auch diese unausgesprochen, ebenso wie meinen Beitrag zur Auseinandersetzung um die 50 Pence-Münze, die am Freitag zum freudigen Anlass erscheinen wird. Das Design hat für Kritik gesorgt, ja der Schriftsteller Philip Pullman ruft gar zum Boykott des Zahlungsmittels auf, weil der Inschrift „Peace, Prosperity and Friendship with all nations“ jenes „Oxford Comma“ vor „and friendship“ abgeht, das im Britischen Englisch zur Vermeidung von Missverständnissen in Aufzählungen verwendet wird.

Abgesehen vom schockierenden Ausbleiben jeder Erörterung der arbiträren Großschreibung auf der Münze hätte ich dazu ja anzumerken gehabt, dass eine Sprache, die etwa beliebt auf Beistriche vor Relativsätzen zu verzichten, die mit „that“ beginnen, ja grundsätzlich von der Kooperation des/der Lesenden ausgehen muss. Aber das, fiel mir ein, interessiert wahrscheinlich niemand, also hab ich’s mir für diesen Blog hier aufgehoben.

Was wiederum den Freitag und seine Folgen anlangt, muss ich mir nun dringend verschiedene Formulierungen einfallen lassen für das Einzige, was sich wirklich mit Sicherheit sagen lässt. Und zwar: Mit dem formellen EU-Austritt am 31. Jänner beginnt nur die bis zum Ende des Jahres anberaumte Übergangsfrist. Boris Johnson wird also sagen können, dass das Ziel erreicht, der Wille des Volkes erfüllt und das angekündigte Desaster nicht eingetreten sei.

Welche Form von Desaster tatsächlich auf uns zu kommt, wird freilich erst mit dem Herannahen des Auslaufens der Frist klarer werden, und ich brenne schon darauf, hier alles brühwarm darüber zu berichten.

Kann ich Sie in der Zwischenzeit für diesen wunderschönen, geprägten Gedenk-Barren interessieren?

Aktuell: