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Little Big Women

Sagen Sie bloß nicht Frauenfilm dazu! Greta Gerwig hat den Roman „Little Women“ verfilmt und großartig das Korsett der Kostümfilmkonventionen gelockert. Ein fantastischer Film über Ambition, Kompromisse, Vernunft und Gefühl.

Von Pia Reiser

Bloß das „T“ an eine andere Stelle rücken im Vornamen von Frau Gerwig und schon hat man das Adjektiv, das man dringend braucht, um über ihre Arbeiten zu sprechen. Aus Greta wird great. Nicht nur an Buchstaben, sondern an ganzen Worten, Sätzen, Absätzen hat Gerwig für ihre Drehbuch-Adaption des Romans „Little Women“ herumgeschoben, umarrangiert - und Dinge hinzugefügt.

„Little Women“ erzählt die Geschichte der vier Schwestern March in Massachussetts zur Zeit des Amerikanischen Bürgerkrieges, ein Stoff, der gerne als Mädchenliteratur oder halt Frauenfilm klassifiziert wird. Denn während hauptsächlich Actionfilme als Filme für Männer vermarktet werden, so ist bizzarerweise das Genre fast egal, für die Klassifizierung „Frauenfilm“: Wenn hauptsächlich Frauen mitspielen, ist es ein Film hauptsächlich für Frauen. Von „Thelma und Louise“ über „Hustlers“ bis eben zu „Little Women“ - Filme, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

szenenbild aus "Little Women"

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Männer können sich - so oft die Logik der Filmvermarkter und -finanzierer - zwar mit außerirdischen Lebensformen, Psychopathen und Serienkillern identifizieren, aber halt nicht mit einer Frau. Auch die große Empathiemaschine Kino hat so ihre Grenzen. Offenbar ist einer der Gründe, warum Greta Gerwig dieses Jahr keine Oscar-Nominierung in der Kategorie „Beste Regie" erhalten hat, dass sich viele männliche Mitglieder der Academy den Film gleich gar nicht angeschaut haben. Als wäre der Filmtitel quasi eine Zusammenfassung des Zielpublikums. Ich habe noch nicht gelesen, dass sich die weiblichen Mitglieder aus dem gleichen Grund - "...kommen ja nur Männer vor...“ - Sam Mendes „1917“ nicht angeschaut haben.

Diskussionstiftende Relevanz

In der ersten Szene von Gerwigs „Little Women“ verkauft Jo March (Saoirse Ronan) in den 1860er Jahren eine ihrer Geschichten an einen Verlag. Üblicherweise bezahlt er für solche Geschichten zwischen 25 und 30 Dollar. Jo würde 20 kriegen. Aber wie formuliert es schon Louisa May Alcott in "Little Women: The world is hard on ambitious girls.

Es ist faszinierend zuzusehen, wie Greta Gerwig ihrem Herzensprojekt „Little Women“ eine Modernität, eine popkulturelle oder diskussionstiftende Relevanz verschafft, die bisher keine der zahlreichen Adaptionen ihr eigen nennen konnte. Den Kniff des Anachronismus braucht Gerwig dafür nicht, sie lockert einfach das Korsett der Konventionen, in das Kostümfilme üblicherweise gerne eingeschnürt werden. Die Sprache hat sie nicht verändert, so Gerwig in Interviews, nur die Geschwindigkeit, in der die jungen Frauen reden. Jo March, die rebellische, burschikose March-Schwester mit schriftstellerischen Ambitionen, läuft durch die Straßen New Yorks wie die von Gerwig gespielte Figur in „Frances Ha“ und Jo ist auch gar nicht so weit weg von Christine in Gerwigs Regiedebüt „Lady Bird“ und das nicht nur, weil beide von der großartigen Saoirse Ronan gespielt werden.

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Kostümfilme ohne Kostümfilm-Anmutung

Jo geht nach New York, um zu schreiben und zu unterrichten und ignoriert den Pfad, der ihr gesellschaftlich zugedacht wird. Blicke der Bewunderung werden ihr in New York von Friedrich Bhaer (Louis Garrel), einem Professor zugeworfen. An einer Heirat hat sie kein Interesse, ebenso wenig an Reifröcken, Stoppellocken und Hütchen. Jo March ist eine klassische Protagonistin eines Indie-Films, eine junge Frau in New York, strauchelnd mit künstlerischen Ambitionen und den Gefühlen der Männer, die sie umgeben. (Und später auch mit ihren eigenen). Und diesen „junge Frau in New York“-Archetyp, klug, wortgewandt, ständig in Bewegung, der findet sich nicht nur in „Lady Bird“ oder verkörpert von Gerwig selbst ua in „Frances Ha“, sondern den verkörpert auch Gerwig selbst. Jo ist eine von Gerwigs Lieblingsromanfiguren und das sieht man in jedem Moment von „Little Women“.

Es ist eine gute Zeit für Kostümfilme ohne Kostümfilm-Anmutung („Porträt einer jungen Frau in Flammen“, „The Favourite“, „Lady Macbeth“). Schon lange sind diese Filme nicht mehr von einer gewissen Trägheit durchzogen. Gerwig hat nicht nur das Sprechtempo der Figuren im angekurbelt, sondern vor allem die Art, wie sich die Figuren bewegen von der Kostümfilm-Konvention befreit. Die March-Schwestern fallen einander nicht nur ins Wort, sondern manchmal auch übereinander her. Sie hüpfen, taumeln, laufen, lungern herum. Jo sinkt mal auf einer Wiese zusammen und setzt sich hin. Üblicherweise ist „in Ohnmacht fallen“, die einzige Form von größerer Bewegung, die Frauen in Kostümdramen zugestanden wird.

Aus Liebeskummer der Ohnmacht nur scheint aber nur einer ab und zu zu sein: Der reiche Nachbarsjunge Laurie (Timothee Chalamet). Der junge Dandy, der sich nicht nur in Jo verliebt, sondern im Grunde in diesen turbulenten, warmen Haushalt der March-Familie. Und auch er fällt zwar dann doch nie in Ohnmacht, aber er fällt auf: Durch seine Körperhaltung und seine oft unkonventionelle Nutzung von Möbeln. Er steht aufrecht auf Samthockern, lümmelt bei Bällen auf einer Chaiselounge. Sein Hemd ist manchmal nicht ganz ordentlich in die Hose gestopft, der Schal schief gewickelt, die Haare zerzaust. Ihren großartigen Kostümen - und der Tatsache, dass den SchauspielerInnen beim Styling und Aussuchen von Accessoires eine gewisse Freiheit gegeben wurde, ist es wohl zugute zuschreiben, dass „Little Women“ nicht die Starre mancher Kostümfilme hat.

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Kleine Brüche

Es gibt ein Szenenbild von Jo und Laurie auf einer Wiese, da sehen sie aus wie ein gefeiertes Folk-Duo aus Portland. Es sind nur kleine Brüche, doch die Summe der kleinen Brüche macht „Little Women“ nahbarer und genau das Gegenteil von dem, was sich vielleicht viele unter einer Literaturadaption eines Romans aus dem Jahr 1868 vorstellen. Sogar einen ganz klassischen rom com-Moment (das überhastete Nachrennen zu, Flughafen - hier: Bahnhof) bringt Gerwig mit Leichtigkeit und Witz hier unter.

Gerwig macht nicht den Fehler aus Liebe zur oder Respekt zur Vorlage, nichts zu ändern. Sie bricht die Erzählweise komplett auf und springt auf zwei Zeitebenen hin und her - und sie tanzt zum Schluss elegant auf der Meta-Ebene, in dem sie Jo zur Autorin von „Little Women“ macht, die mit dem Verleger über Bezahlung und Urheberrechte verhandelt - und darüber, wie es mit ihrer Hauptfigur (also ihr selbst!) weitergeht.

„Little Women“ wird nicht nur zu einer Geschichte über junge Frauen, die versuchen sich nicht zwischen dem, was sie wollen und dem, was von ihnen erwartet wird, entscheiden zu müssen, er erzählt vor allem auch von der Rolle der Kunst - und des Geldes - im Leben dieser Frauen. Einen Monolog, den Amy (Florence Pugh) Laurie hält, hat Greta Gerwig erst ein paar Minuten vor dem Dreh der Szenen geschrieben. If I had any money, which I don’t, it would belong to my husband the moment we got married. If we had children, they would be his, not mine...so don’t sit there and tell me that marriage is not an economic proposition, because it is..

Amy ist hier - im Gegensatz zu anderen Verfilmungen - mehr als nur die kleine, leicht oberflächliche Schwester. Es ist auch Amy, die später zu Jo meint, es gehe nicht darum über Dinge zu schreiben, die die Welt für relevant hält, es geht darum etwas durch das Thematisieren relevant zu machen. Auch hier spricht wohl Gerwig aus Amy.

Band zwischen Schwestern

Florence Pugh hat ein paar Tage nach Drehschluss bei „Midsommar“ mit den Dreharbeiten zu „Little Women“ begonnen (übrigens trägt sie in beiden Filmen einen Blumenkranz, tanzt im Kreis und verbrennt was) und Pughs Bandbreite, Leinwandpräsenz und Energie sind erstaunlich. In früheren Film-Adaptionen von „Little Women“ gab es oft verschiedene Darsteller für Amy (in der 1994er Version wird die junge Amy von Kristen Dunst und die ältere Amy von Samantha Mathis gespielt), Pugh aber - ohne, dass man je genau erfährt, wie alt die Schwestern sind - meistert mit Leichtigkeit Amy in den beiden Zeitabschnitten auf die Leinwand zu bringen.

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Gerwig inszeniert die Liebe und das Band zwischen den Schwestern sowie die bodenlose Nächstenliebe derer Mutter Marmee (Laura Dern) ohne die süßliche Sentimentalität, die mit dem Stoff gerne einhergeht. Ich hab trotzdem fast durchgeweint. Weil in „Little Women“ traurige und rührende und bewegende Dinge passieren. Aber ein bisschen auch einfach wegen dem rebellischen Geist von Jo, der pragmatischen Klugheit von Amy, und der Schönheit und Klugheit des Films. Und dem Antlitz von Louis Garrel.

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