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Gesichtserkennungsgitter

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Datenstaubsauger mit Gesichtserkennung

Manche Ideen sind so blöd, dass keiner glaubt, es würde sie wirklich jemand umsetzen - bis es doch wer tut. Heute: Clearview AI.

Von Christoph „Burstup“ Weiss

Du gehst auf der Straße und denkst an nichts Böses. Eine dir unbekannte Person fotografiert dich mit dem Smartphone - und sieht auf auf dem Bildschirm sofort, wie du heißt, wo du wohnst, wann du geboren bist, welchen Beruf du ausübst, wo du deine letzten paar Urlaube verbracht und was du letztes Wochenende so gemacht hast.

Wird diese Dystopie gerade wahr? Recherchen der New York Times zufolge verfügen die Mitarbeiter*innen von rund 600 Behörden und Firmen bereits über eine App, die genau das kann. Gerüchte über die Existenz von „Clearview AI“ gibt es schon seit 2017. Seit dem Vorjahr werden immer mehr Details bekannt.

Die Software, entwickelt von einer gleichnamigen Firma aus Australien, hat bisher drei Milliarden Fotos von Internetplattformen wie Facebook, Youtube und Instagram abgesaugt, dazu die Informationen über möglichst viele Menschen. Fotografiert der Anwender auf dem Smartphone eine Person, dann gleichen Gesichtserkennungs-Algorithmen das neue Foto mit dem gesammelten Bildmaterial ab und liefern die zugehörigen Informationen.

Unternehmen im Hintergrund

Das Unternehmen bemüht sich, im Hintergrund zu bleiben. Laut Recherchen der New York Times ist sogar die Adresse auf der Website falsch. Der Unternehmensgründer heißt dort „John Good“, obwohl in Wirklichkeit der Australier Hoan Ton-That dahintersteckt. Das ist einigermaßen zwielichtig. Schlichtweg illegal ist es - jedenfalls in der Europäischen Union - drei Milliarden Bilder und zugehörige Informationen aus Social Media abzusaugen. Es verstößt auch gegen die Nutzungsbedingungen von Social-Media-Plattformen wie Facebook. Dem Firmengründer ist das offenbar egal - gegenüber der New York Times hat er in einem seiner seltenen Interviews gesagt: „Viele Menschen machen das. Facebook weiß es.“

Wahrscheinlich ist es ihm auch wurscht, wenn die Polizei in autoritär regierten Ländern Demonstrierende mit der App identifiziert - in Russland wird ähnliche Technologie von der Polizei bereits eingesetzt, ebenso wie in China.

Was passiert mit den Suchanfragen?

Fraglich ist auch, was eigentlich mit den Daten und Suchanfragen passiert, die Clearview sammelt. Wie sicher sind sie auf den Servern der Firma und wofür werden sie möglicherweise noch verwendet? In diesem Zusammenhang ist der Journalistin der New York Times auch gleich etwas Interessantes passiert: Sie hat bei ihrer Recherche nämlich Polizisten gebeten, ein Foto von ihr durch die App analysieren zu lassen. Kurz darauf hat die Firma Clearview bei der Polizei angerufen und sich erkundigt, ob sie gerade mit der Presse spricht.

Privatanwendern ist es bisher nicht möglich, die App zu erwerben. Die Alarmglocken aber schrillen - sowohl in der EU-Kommission, wo über ein drei- bis fünfjähriges Verbot für Gesichtserkennungs-Software nachgedacht wird, als auch in der Zivilgesellschaft. Falls Clearview in Europa bereits operieren sollte, könnten die Behörden hohe Strafen aufgrund der Datenschutz-Grundverordnung verhängen.

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