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LKW in Dover

Robert Rotifer

ROBERT ROTIFER

Trockenes zum Jänner-Ende

Es ist alles so, wie Johnson sagt: In Britannien hebt sich der Vorhang - zum letzten Akt der schmutzigen kleinen Posse.

Eine Kolumne von Robert Rotifer

Hinfetzen, einfach hinfetzen. Lern von Boris Johnson, der macht das nur so. Fetzt alles hin. Zum Beispiel die Rede, die er heute (Freitag) Abend im Fernsehen halten wird. Voraufgezeichnet. „This is the morning when the dawn breaks, and the curtain goes up on a new act“, wird er sagen, das haben die Zeitungen auf wundersame Weise schon in den heutigen Ausgaben gewusst.

Robert Rotifer moderiert jeden zweiten Montag FM4 Heartbeat und lebt seit 1997 in Großbritannien, erst in London, dann in Canterbury, jetzt beides.

Und es wird ziemlich unfreiwillig komisch klingen zwischen zehn und elf Uhr abends den Sonnenaufgang auszurufen, aber wie gesagt, völlig wurscht. Einfach hinfetzen, die Leute wollen das so.

Ich war gestern im nebligen Dover für eine österreichische Tageszeitung die Stimme von der Straße einholen, und ich seh sie noch vor mir, die fröhliche Pensionistin, die nach einem Moment der Schweigsamkeit, angefeuert von ihrem Lebensgefährten, ihre Meinung kundtat: „Britain will always be free“, jauchzte sie, „We Brits are free!“

Das brachte mich in seinem Frohsinn selbst zum Mitlachen, wenn schon nicht Jauchzen, aber dann drehte sie sich vergnügt zu mir und fragte: „And how do you feel about it?“

„Well. I’ve been living here for 23 years now“, schoss es aus mir heraus, „And it just makes me very very sad.“

„Aha“, sagten beide. Und ohne einander anzusehen, wendeten wir uns voneinander ab und liefen in entgegengesetzten Richtungen fort von dem augenblicklich peinlich gewordenen Ort.

Ich war in diesem Moment ein passiv-aggressiver Sadist, denn ich hatte natürlich absichtlich die Freude der Dame zerstört, hatte sie zum Auslöser meines Leidens degradiert. Das war berechnend und gemein, aber andererseits auch wieder irgendwie okay, wenn man es als Genugtuung wertet.

Gestern erst hab ich mir ausgerechnet, dass ich nun – den Wahlkampf zum Referendum damals mitgerechnet – ein gutes Sechstel, wenn nicht Fünftel meiner heuer 20 Jahre der Bloggerei für FM4 (ich glaub ich hab im Mai 2000 begonnen) auf dieses Drexit-Thema verschwendet habe, dafür darf man sich – auch in eurem Namen hier – schon einmal milde rächen.

Aber natürlich wird es weitergehen, das wissen wir eh alle. Dass es jetzt erst richtig losgeht. Heute morgen hab ich mir die Zeitungen besorgt für mein Gastspiel im Reality Check, gefolgt von einem der schönsten Lieder der letzten Jahre (Benjamin Clementines „The Ports of Europe“, danke der Musikredaktion, hier alles nachhörbar).

Mehr als sieben Pfund hab ich für die ganzen Käseblätter hingelegt, als Buße für das gebrochene Pensionistinnenherz vom Tag zuvor, und dann schaffte es meine spontane Presseschau nicht einmal in den Endschnitt. Verständlich irgendwie, man sehe sich nur die Überschriften an, das ist nicht einmal originell.

Titelseiten-Potpourri

Robert Rotifer

Mit zwei Ausnahmen: Der Daily Star titelte, zukunftsgewandt einen Tag zu früh, „Tonight is a TRULY HISTORIC moment for our great nation... That’s right, it’s the end of Dry January!“ (der trockene Jänner ist ein jährliches Festival des Selbstbetrugs, in dem Brit*innen zum Leidwesen der Pubs ein Monat lang so tun, als wären sie abstinent, um dann die restlichen 11 Monate alles versäumte umso intensiver nachzuholen – wie symbolisch!)

Noch besser nur der Daily Mirror. Zur Erklärung: Das ist ein Titelseiteninserat einer für ihr billiges Gefrierfutter berüchtigten Supermarktkette, aber die bittere Ironie ist zum Schmecken warm:

Titelseite des Daily Mirror

Robert Rotifer

Den Rest des Vormittags verbrachte ich mit Artikelschreiben, und jetzt, wo’s ans Bloggen geht und ich mich selbst nicht mehr lesen kann, heißt es eben: Hinfetzen wie Johnson.

Nur um das vermerkt zu haben: Wenn jener wollte, dann könnte er es uns allen auch jetzt immer noch leicht machen und mit der EU einen sanften Brino („B*x*t in name only“) verhandeln, mit voller Kooperation, das wäre sogar bis zum Jahresende zu schaffen. Wird er aber nicht, das kündigt sich bereits an. Der „new act“, über dem sich der Vorhang lüftet, er wird eine schmutzige kleine Posse werden. Und wir sind wieder dabei, freu mich schon drauf.

Falls sich jemand fragt (ich selbst zum Beispiel), wie ich selbst den letzten Abend im EU-Land Großbritannien verbringen werde: Dem Vernehmen nach wird The Three Million, die Pressure Group für alle im Vereinigten Königreich Gestrandeten, den trockenen Jänner vorzeitig beenden und einen zünftigen Pub Crawl abhalten. Da bin ich sicher nicht dabei. Eigentlich wollt ich mir ja Julian Cope im Dreamland in Margate ansehen, aber das wird die noch ausständige Drexit-Arbeit nicht zulassen. Ich muss meine Prioritäten ändern, allein der Seele zuliebe, das scheint eindeutig. Spätestens morgen im Morgengrauen.

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