FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Panzer in der rumänischen Revolution

CHRISTOPHE SIMON JOEL ROBINE / AFP

„Drei Kilometer“ ist Nadine Schneiders gelungener Debütroman

Nadine Schneider zeichnet in „Drei Kilometer“ ein fesselndes Bild von Rumänien vor der politischen Wende 1989. Im Zentrum stehen ein Spätsommer und drei junge Protagonist*innen.

Von Ambra Schuster

Eine der ersten Revolutionen, die jemals quasi live im Fernsehen übertragen worden ist, war vor rund 30 Jahren die Revolution gegen das Ceaușescu Regime in Rumänien. Im Dezember 1989 hält der Diktator Nicolae Ceaușescu in Bukarest vor 100.000 Menschen eine Rede. Bis die Lage eskaliert. Auf dem Platz fallen Schüsse und die Live-Übertragung wird abgebrochen. Ein paar Tage später werden Ceaușescu und seine Frau vor laufender Kamera erschossen.

Drei Kilometer bist zur Freiheit

Mitten in diesem Setting des politischen Umsturzes spielt der Roman „Drei Kilometer“. Es ist das erste Buch der deutschen Autorin Nadine Schneider. Die 30-Jährige ist als Tochter von rumänischen Auswanderern in Nürnberg geboren. In „Drei Kilometer“ erzählt sie die großen Ereignisse der Zeitgeschichte im Kleinen nach. Und das so fesselnd und gleichzeitig unaufgeregt, als wäre sie damals selbst dabei gewesen.

Buchcover von Nadine Schneiders "Drei Kilometer"

Jung & Jung Verlag

„Drei Kilometer“ ist mit 160 Seiten im Jung und Jung Verlag erschienen.

„‚Es gibt nicht mal mehr Butter!‘ Hans sprach laut, seine Stimme übertönte das Knirschen der Räder auf dem Schotter. ‚Wo sind denn die ganzen Sachen aus dem Fernsehen? Davon könnte man drei Dörfer sattkriegen. Und was ist, wenn es stimmt? Wenn er wirklich alles plattwalzen lässt? Es sind nur drei Kilometer! Drei Kilometer bis zur Freiheit. Warum machen wir es nicht heute Nacht?‘. Weder Misch noch ich gaben ihm Antwort, es wäre sinnlos gewesen.“

Anna ist hin- und hergerissen zwischen ihrem Freund Hans und dem gemeinsamen Freund und Nebenbuhler Misch. Und der großen Frage: Gehen oder bleiben? Das Dreiecksgespann lebt in einem Kaff im rumänischen Banat. Von hier aus sind es nur drei Kilometer bis nach Jugoslawien, man müsste nur durch das Maisfeld laufen um zu fliehen. Immer mehr Menschen aus dem Dorf verschwinden über diese grüne Grenze und lassen Rumänien im Sichtschutz des Maisfeldes zurück. Auch Misch und Hans wollen weg. In der sozialistischen Diktatur Ceaușescu gibt es nichts mehr zu gewinnen. Die Situation zwischen Mangelwirtschaft und Überwachung durch die Geheimpolize Securitate wird unerträglich. Aber Anna kann sich nicht entscheiden. Sie hängt an ihren Eltern, den Hunden, der Großmutter und ihre Heimat. Es ist der Sommer 1989, heiß und trügerisch idyllisch.

„Ich sah Misch und Hans an, die im Gras lagen. Halb schlafend, kein einziges Wünschen mehr im Gesicht. Ein warmer Wind bewegte das Schilf. Insekten sirrten. Die Zweige der Trauerweide malten Formen ins Wasser. Und das war alles. Mehr passierte nicht an den Sonntagen im Sommer. Einfältig wie Kinder waren wir dann. Das, was uns erschütterte, geschah in den Nächten, wenn die Gedanken in große Räume traten, die sie nicht kannten.“

Nadine Schneider ist 1990 in Nürnberg als Tochter von Auswanderern aus dem rumänischen Banat geboren. Sie studierte Musikwissenschaft und Germanistik in Regensburg, Cremona und Berlin. Schneider lebt in Berlin und arbeitet dort im Theaterbereich. Für Auszüge aus ihrem Debütroman wurde sie beim Literaturpreis Prenzlauer Berg ausgezeichnet.

Im September wird der Mais geerntet. Misch ist rechtzeitig geflohen, Hans und Anna sind geblieben. Ihr Alltag ist monoton. Unter der Woche pendeln sie in die Stadt, um dort in der Fabrik zu arbeiten. Am Wochenende sind Dorffeste und das Landleben die einzige Ablenkung. Die Zeit scheint still zu stehen in der rumänischen Pampas, gelähmt von Perspektivenlosigkeit. Noch ahnt niemand, was in ein paar Monaten Geschichte sein wird.

Der Wendepunkt kommt mit der Gewalt

In der nahegelegenen Stadt, brechen im Dezember 1989 Proteste aus. Sie breiten sich über das gesamte Land aus und stürzen schließlich das Ceaușescu Regime.

„Die Unruhen kamen nicht bis in unser Dorf, ins Dorf kam nur die Angst. Wie Hochwasser leckte sie an den Häusern und wir verkrochen uns in den Stuben, am Feuer, in den Betten. Wir hörten von schrecklichen Dingen, die in der Stadt geschehen sein sollten. Davon wie sie die Leute vor den Kirchen und auf den Plätzen erschossen hatten. Dass Panzer in der Straße fuhren und keiner mehr nach Hause kam, dass sie jetzt dort festsaßen.“

In „Drei Kilometer“ geht es um die Gratwanderung zwischen Treue und Verrat - an Freunden, aber auch am eigenen Land. Und es geht um das Schweigen und die Leere, die Menschen hinterlassen, wenn sie aus ihrer Heimat fliehen. „Drei Kilometer“ ist kein gewollt politischer Roman. Trotz der nahenden Revolution bleibt die Erzählung im Ton unaufgeregt und nuanciert. Nadine Schneider erzählt das, was ist. Das Bild und die Atmosphäre Rumäniens vor der politischen Wende entstehen zwischen den Zeilen - und im Kopf des Lesers oder der Leserin. Nadine Schneiders Debütroman ist in seiner stillen, sprachlichen Intensität mehr als gelungen.

mehr Buch:

Aktuell: