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Zeithistoriker Oliver Rathkolb (Uni Wien)

APA/HELMUT FOHRINGER

„Themenverfehlung“: Wissenschafter*innen kritisieren FPÖ-Historikerbericht

Einen Tag vor Weihnachten hat die FPÖ den Bericht ihrer Historikerkommission vorgelegt. Darin soll die eigene Parteigeschichte aufgearbeitet werden. Heute ist der Bericht bei einer wissenschaftlichen Beurteilung durchgefallen.

Von Lena Raffetseder

Bei der Präsentation des FPÖ-Historikerberichts im Dezember waren ihre Namen schon gefallen: die Historiker*innen Oliver Rathkolb und Margit Reiter, sowie das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW). Von Rathkolb war die Rede, weil er den Bericht schon im Vorfeld kritisierte, Reiter wurde als Expertin zitiert, das DÖW als Quelle genannt. Dessen Leiter Gerhard Baumgartner hat heute mit Rathkolb und Reiter den Bericht der FPÖ wissenschaftlich evaluiert.

Lücken und Relativierung

Die Partei habe sich ihrer Geschichte nicht gestellt, sagt die Historikerin Margit Reiter von der Universität Salzburg: „Man hat sich mit der Parteigeschichte beschäftigt, aber auf sehr relativierende Art und Weise.“ Reiter spricht von ideologischen und personellen Kontinuitäten des Nationalsozialismus in der FPÖ und ihrem Vorgänger, dem Verband der Unabhängigen, die im Bericht nur unzureichend behandelt werden. Sie kritisiert, dass Themen rund um den Anlassfall für die Bildung der Historikerkommission, die Liederbuchaffäre, gar nicht behandelt worden seien. Darunter fallen etwa die Themengebiete Antisemitismus in der FPÖ nach 1945, die Rolle von Burschenschaften in der Partei oder auch Verbindungen zu den Identitären.

Auf den 667 Seiten lesen die Historiker*innen nichts Neues. Reiter beschreibt den Bericht als ein „wortreiches Ausweichmanöver“, denn die FPÖ sei keine Tabus angegangen, Selbstkritik finde nicht statt. Die Partei hätte bereits bekannte Sachverhalte und auch Legenden reproduziert. Margit Reiter nennt ein Beispiel: „Zwar wird im Bericht eingeräumt, dass sich in der FPÖ - mehr als bei anderen Parteien - ehemalige Nationalsozialisten in Führungspositionen befanden. Aber dieser eigentlich unleugbare Befund wird im Vorwort sofort relativiert mit der Abschwächung ‚wahrscheinlich‘ mehr.“

Keine „methodisch fundierte wissenschaftliche Aufarbeitung“

Inhaltlich hätte die FPÖ auf Quantität statt Qualität gesetzt, sagen die Historiker. „In einem Seminar würde man vielleicht sagen, sorry, Themenverfehlung.“ Aber auch die wissenschaftlichen Kriterien seien nicht durchwegs erfüllt.

FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker und der Koordinator der Historikerkommission Andreas Mölzer (R.) während einer Pressekonferenz.

APA/HERBERT P. OCZERET

Der damalige FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker und Andreas Mölzer, Koordinator der FPÖ-Historikerkommission bei der Präsentation des Berichts im Dezember.

„Einige Kapitel sind zumindest formal sauber“, sagt DÖW-Leiter Gerhard Baumgartner. Andere befänden sich im wissenschaftlichen „Mittelfeld“: „Da würde ich einen Beitrag des Professor Höbelt nennen. Wenn da dauernd aus irgendwelchen biografischen Aufzeichnungen zitiert wird, die von niemand anderem einzusehen sind, dann ist das nur noch halb-seriös.“ Andere Beiträge, etwa „Nationsbegriff und FPÖ“ von Karl Anton Mally, sind für Baumgartner „Dokumente der völligen Ignoranz.“

Auch sei nicht klar, warum manche Autoren eingeladen wurden, ein Kapitel beizusteuern. Neben Repräsentanten der FPÖ finden sich auch zwei isrealische Autoren im Inhaltsverzeichnis. Für die evaluierenden Historiker*innen „fachlich kaum zu argumentieren.“

Historikerbericht als zeithistorisches Dokument

In ihrer Bewertung heben die Historiker*innen auch Positives hervor. Etwa, dass der Bericht online frei zugänglich ist. So kann man den Bericht schnell nach bestimmten Schlagworten durchsuchen.

Für DÖW-Leiter Baumgartner hat der Bericht einen anderen Wert, abseits eines wissenschaftlichen: "Dieser Bericht ist eigentlich ein Psychogramm eines Teils der heutigen Führung der FPÖ. Dieser Bericht dokumentiert, was Andreas Mölzer und seine Gesinnungsgenossen von ihrer kruden Welt- und Geschichtspolitik für öffentlich herzeigbar halten.“ Für Reiter ist der Bericht eine neue historische Quelle, die jetzt herangezogen und analysiert werden kann.

Die FPÖ sieht die Kritik gelassen. „Jedem Menschen recht getan, ist eine Kunst, die keiner kann“, sagt Klubobmann Herbert Kickl heute. Er kritisiert auch, dass sich die Historiker*innen im Dezember nicht auf einen Dialog eingelassen hätten. Das DÖW hätte eine Zusammenarbeit begrüßt, sagt Leiter Baumgartner heute, aber gewisse Kriterien seien vonseiten der FPÖ nicht erfüllt worden.

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