FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

U-Bahn Station Pilgramgasse mit einfahrender U-Bahn

APA/GEORG HOCHMUTH

Blumenaus 20er-Journal

Hallo, Pilgramgasse!

Nach einer gefühlten Ewigkeit ist sie wieder da: Die lange gesperrte U-Bahn-Station Pilgramgasse ist die Furt in die Freiheit.

Von Martin Blumenau

Sie wurde in einem ganz anderen, verblassenden Zeitalter gesperrt: es gab eine rechts-rechte Regierung, ich habe mein Kind in den Kindergarten gebracht und FM4 war noch im Funkhaus. Jetzt hat (unter neuen Umständen, die mit Grün, Schule und Bergen zu tun haben) die U-Bahn-Station Pilgramgasse endlich wieder geöffnet und füllt ein lange Zeit schmerzlich spürbares Schlagloch meiner öffentlichen Stadtbenutzung.

Dabei ist die Pilgramgasse nicht mehr - wie früher lange Jahre - meine primäre Aus- und Einstiegstelle, ich bin da lebensmittelpunkttechnisch eine Station weiter stadtauswärts gerückt. Trotzdem ist sie unverzichtbar, als Knotenpunkt für gleich drei Busse, die alle wichtigen Richtungen abdecken und als Ausstiegstelle für ein gutes halbes Dutzend Versorger-Geschäfte.

Das wichtigste davon hat die Zeit der Sperre einfach auch gesperrt und sich zwischenzeitlich runderneuert: das Süßwaren-Outlet einer mittelgroßen Wiener Confiserie, die prallgefüllte Schatztruhe für alle Gelegenheiten, Jahreszeiten und Festlichkeiten. Früher lief der „Abholmarkt“ unter einem anderen Namen, unter dem der Familie meiner Volksschulfreundin Eva. Und die bzw. die entsprechenden Connections, die meine Eltern damals aufgebaut hatten, sind wohl schuld an meiner Abhängigkeit von vor allem Weihnachts-Schokokrokant-Schmuck (Nüsse, Striezel, Eckerl...) mit diesem nussig-bröseligen Geschmack, der sonstwo seinesgleichen sucht. Vielleicht schmeckt’s einfach auch zu gut nach Kindheit.

Im Gegensatz dazu immer offen war die Trafik im lange defuncten U-Bahn-Gebäude, die einzige in der Gegend mit Sonntags-Öffnung, weshalb man auch den ruppiger Charme in Kauf nahm. Die haben ebenso gnadenlns durchgehalten wie der winzige Maci gegenüber oder Rorys Kuchen-Shop oder der gute Bäcker oder die Rosalila Villa und auch das Rave-Up auf der 6.Bezirk-Seite. Die können übrigens tolle Geschichten vom Bau der neuen U-Bahn-Stollen erzählen, von den Schwingungen in und unter dem Haus, von umgeräumten Kellern und abgestützten Räumen, fragt sie bei eurem nächsten Kauf von lässigen musikalischen Tonträgern einfach nach.

Die Station selber wirkt, nein: ist unfertig, atmet Rohbau-Charme; und sieht auch deshalb cool aus, weil sie noch so unbenutzt und unbeschmutzt ist - das wird sich in Bälde ändern. Dass es in Fahrtrichtung stadteinwärts ganz bewusst keinen Lift gibt und man all jenen Verkehrsteilnehmer*innen, die drauf angewiesen sind (Rollstuhl, Kinderwagen, schlecht zu Fuß) den Ausstieg in der jeweils nächsten Station empfiehlt, hat schon etwas vom langsam ausgefahrenem Mittelfinger; und lässt mich jedesmal fluchen, auch wenn ich selber mal nicht betroffen bin.

Jedoch, allein die Tatsache, dass die Pilgramgasse, dieses Tor in die restliche Welt, wieder offen ist, überlagert alle Nachteile und -wehen, und alles, was noch kommen wird an Ungemach, bis die neue U5-Station auch fertiggestellt werden wird. Für mich als gebürtigen Mariahilfer ist die Pilgrambrücke die zentrale Pforte, die Furt über den Fluss, die ich, wenn ich vom Gumpendorfer Südhang kommend in die südlichen Bezirke queren will, ins Falco-Land, bis ins Freihaus-Viertel, die Wieden, das Funkhaus, ganz Margareten und alles, was noch weiter dahinter liegt. Die Pilgramgasse ist die Grenzstelle, hinter der das nächste Dorf liegt, das ein wenig Unbekanntere. Und zwar immer schon. Denn die Station ist älter als die U-Bahn, sie existierte schon zu Stadtbahn-Zeiten, als eine Vorläufer-Tram neben dem Wien-Fluss fuhr, und das bedeutet für mich: seit immer.

Die Pilgrambrücke zu queren und die Pilgramgassen-Station zu nutzen, um entweder rein in die City oder raus in die Außenbezirke, Meidling, Hietzing, Hütteldorf, Lainz oder Westbahnhof, zu fahren, heißt Bewegung und Veränderung, Mobilität und Chance, es ist der Ausgangspunkt für den Surf auf der Welle der freimachenden Stadtluft. Und die weht, seit ich denken kann. Ohne die Pilgramgasse und ein paar andere Knotenpunkte wäre ich auch nicht mehr als in der Enge der Kleingemeinde Gefangener.

Dieses jetzt wieder spürbare Gefühl, das die letzten Monate, als ich bestenfalls durchgefahren bin oder den Punkt bewusst per pedes ansteuern musste, so gefehlt hat, macht mich tatsächlich wieder ein paar Zentimeter größer; erhöht mein Sichtfeld. Danke.

Aktuell: