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Buch "Pixeltänzer"

Schoeffling Verlag

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In „Pixeltänzer“ trifft hippe Start-up Welt auf revolutionäre Maskentänze der 1920er Jahre

Beta arbeitet in einem hippen Berliner Tec-Startup und lebt ein cooles, aber langweiliges Großstadtleben. Eines Tages eine geheimnisvolle Maske, die sie nicht mehr loslässt. Je mehr Beta darüber erfährt, desto mehr beginnt sich auch in ihr Widerstand zu regen, gegen ständiges Optimieren und Funktionieren. Ein gelungener Debütroman von Berit Glanz.

Von Diana Köhler

Im Roman „Pixeltänzer“ von Berit Glanz beginnt jeder Morgen mit der Todesmelodie aus dem Atari-Spiel Pitfall. Die Ich-Erzählerin Beta spielt es im Pausenraum ihrer Arbeit. Sie hat einen coolen Job als Software-Testerin in einem hippen Berliner Tec-Startup, zu dem sie mit dem Rennrad fährt. Sie lebt ein Großstadtleben zwischen Tinder, Teambuilding-Events und Work-Challenges. Ob in der Arbeit oder für sich selbst. So versucht sie zum Beispiel, in allen Eisgeschäften in Berlin Erdbeereis zu essen. Aber nicht irgendwie. Beta will sich die effizienteste Route ausrechnen, um das Eis systematisch zu schlecken.

In der Firma sind alle Freunde und verbringen auch ihre Freizeit oft miteinander. Aber eigentlich arbeite die meisten sowieso auch am Samstag. Ist Beta nach einem langen Arbeitstag zu Hause, summt dort meistens schon ihr 3D-Drucker vor sich hin. Beta druckt sich Tiere aus, die sie davor auf Ausflügen in den Zoo fotografiert hat. Ihr größter Stolz ist ein weißer Pfau. Das alles klingt aufregend und quirky, aber eigentlich ist das Leben von Beta unglaublich eintönig. Sie funktioniert, hip und gleichgültig. Im Startup ist alles gleich, Arbeit und Freizeit.

Eine App verändert alles

Maskenfigur "Toboggan Frau" - Lavinia Schulz and Walter Holdt designed these in the 1920s From MK&G COLLECTION ONLINE

Lavinia Schulz and Walter Holdt / Wikimedia Commons / CC0

Alles ändert sich, als Beta die App „Dawntastic“ herunterlädt, bei der man am Morgen für drei Minuten mit einer beliebigen Person irgendwo auf der Welt telefoniert, um sich wecken zu lassen. Dort wird sie mit dem User „Toboggan“ aus Kalifornien gematched. Sein Profilbild, ein seltsames Maskenwesen, fasziniert Beta.

„Die Maskenfigur ballt auf allen Bildern die Fäuste und streckt diese oft schräg in die Luft, sie sieht aus wie ein schäbiger Superheld. Die Superheldenhaftigkeit wird durch Drahtstangen gebrochen, die aus einem Gürtel herausstechen wie ein aufgeschnittener Schneebesen. Das Gesicht der Maske ist mit großflächigen Farbfeldern grün-gelb-lila bemalt, der Mund ist kreisrund und schwarz ausgeschnitten, und zusammen mit den aufgemalten schwarzen Augen erzeugt er einen Insektenhaften Eindruck.“

Als sie nachfragt, was es mit der Figur auf sich hat, sagt er nur „Es hat etwas mit Toboggan zu tun“, dann wird die Verbindung von der App gekappt. Man wird nicht zwei Mal mit dem gleichen User verbunden.

Sie wollen etwas schaffen, das keinen Preis hat

Beta wird von einer unglaublichen Neugierde ergriffen und will mehr herausfinden. Detektivisch macht sie sich auf die Suche - und taucht ein in die Welt der Tänzerin Lavinia Schulz. Sie richtet einen Blog ein, über den sie mit dem geheimnisvollen Toboggan kommuniziert. Er versteckt die Hinweise zum Leben von Lavinia auf gefinkelte Weise, zum Beispiel im Quellcode der Website. Lavinia hat tatsächlich vor 100 Jahren in der Weimarer Republik zusammen mit ihrem Mann Walter Holdt in einer feuchten Kellerwohnung gelebt und Maskentänze choreografiert. Sie nahmen für die Aufführungen kein Geld, wollten etwas machen, das keinen Preis hat.

Junge Startup Menschen Symbolbild

Pixabay / CC0

Symbolbild Start-Up-Welt

Beta ist fasziniert von der Kompromisslosigkeit, mit der Lavinia und Walter gegen alle Konventionen angetanzt haben. Sie versucht, auf ihre Weise zu rebellieren und will eine sinnentleerte App programmieren, die niemand kaufen würde. Aber dann kommt alles ganz anders. Gleichzeitig erfährt Beta, dass auch Lavinia und Walter damals an unüberwindbare Grenzen gestoßen sind und es kein gutes Ende für die beiden nahm.

„Wie vermessen, dass ich etwas Unerwartetes tun will. Was sagt das aus über meine Langeweile? Sollte ich mich schämen, weil andere niemals die Chance bekommen, sich so zu langweilen wie ich? Wahrscheinlich hat sich Lavinia nach all den Dingen gesehnt, die wir gestern, ohne es zu wollen, gewonnen haben: Geld und einen angenehmen Platz zum Arbeiten.“

In „Pixeltänzer“ von Berit Glanz begleitet man Beta auf ihrer Suche nach einer Welt, in der nicht alles optimiert und zu Geld gemacht werden muss. Eine Welt, die aber damals wie heute schwer oder unmöglich zu finden ist. Berit Glanz verbindet die historischen Fakten über Lavinia und Walter gekonnt mit der glänzenden Start-Up Welt von Beta, die dadurch noch ein Stück glaubhafter wird. Der gelungene Debütroman schafft es, die gelangweilten Großstädter darzustellen, ohne selbst langweilig zu sein.

Am spannendsten ist es, selbst nachzuforschen

Berit Glanz: „Pixeltänzer“, 256 Seiten, ist im Schöffling Verlag erschienen.

Berit Glanz hat Skandinavistik studiert, lange in Island gelebt und zwei Bücher vom norwegischen ins Deutsche übersetzt. Pixeltänzer ist 2019 erschienen und hat im Internet ein Eigenleben entwickelt. Auf Twitter posten User Referenzen zu „Pixeltänzer“, die Berit Glanz in ihrem Profil sammelt. Manche haben sich sogar schon die Ausstellung der Masken im Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe angeschaut. Die waren lange verschollen und wurden erst in den 1980er Jahren auf einem staubigen Dachboden des Museums wiederentdeckt.

Noch spannender ist das Buch nämlich, wenn man, genau wie Beta, im Internet über Lavinia Schulz und Walter Holdt recherchiert. Es gibt einen Wikipedia-Eintrag und alte Fotos der Masken. Auf Youtube findet man Videos von Künstlergruppen, die die Kostüme nachgebaut und die Choreografien nachgetanzt haben.

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