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Vorschaubild für die Doku "Miss Americana"

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Doku „Miss Americana”: Taylor Swift vs. Taylor Swift

In der Musikdokumentation „Miss Americana“ wird die Karriere des 30-jährigen Popstars Taylor Swifts beleuchtet. Die Doku zeigt neben Swifts Karriereverlauf auch das Bild einer jungen Frau, die gegen sich selbst kämpft und ihre politische Stimme entdeckt.

Von Philipp Emberger

Mit 14 Jahren einen großen Musikvertrag, jüngste Grammy-Gewinnerin in der Kategorie „Album des Jahres“, das meist verkaufte Album in den USA im Jahr 2009. Bei Taylor Swift sind die Superlative schier grenzenlos. Es ist daher wenig überraschend, dass sie sich nach Lady Gaga und Beyoncé in die Liste der Netflix-Musikdokumentation einreiht. Beim Sundance Film Festival 2020 feiert die Doku “Miss Americana” in der Eröffnungsvorstellung Premiere, nun ist sie auf Netflix zu sehen. Thematisiert wird Taylor Swifts künstlerisches Schaffen, ihre Entwicklung von der Country singenden Schülerin zu einer der bestbezahlten Musikerinnen der Welt. Die Dokumentation gibt einen emotionalen und gleichzeitig inszenierten Einblick in das Innenleben eines Popstars, der in den vergangenen Jahren oft Gegenstand medialer Debatten war.

„My life, my career, my dream, my reality“

Zu Beginn der Musikdokumentation sehen wir Taylor Swift am Klavier sitzend, ihre Katze tapst über die Klaviertasten und es folgt der erste Monolog. Swift hält ihr Tagebuch mit der Aufschrift „My life, my career, my dream, my reality“ in die Kamera. Es ist der erste intime Einblick von vielen, die im Laufe der 85-minütigen Doku noch folgen werden. Chronologisch erzählt Regisseurin und Emmy-Gewinnerin Lana Wilson die Geschichte der erfolgreichen Musikerin und verwebt aktuelle Interviews mit Videoaufnahmen aus Swifts Jugendzeit. Einschneidende Erlebnisse wie etwa der Gerichtsprozess rund um die sexuelle Belästigung, den sie gegen einen früheren Moderator geführt hat, werden nicht ausgespart. Zum ersten Mal erzählt Taylor Swift von ihrer Essstörung und offenbart dabei viel über ihre innerlichen Denkmuster. Der Drehbeginn der Doku überschneidet sich mit jener Zeit, in der sich Taylor Swift vorübergehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat.

Doku "Miss Americana"

Netflix

Taylor Swift vs. Kanye West

Die Zuseher*innen lernen Taylor Swift als eine Person kennen, die sich stark nach dem Applaus der Massen sehnt. Ihre Karriere ist darauf ausgelegt, gemocht zu werden. Sie will möglichst wenig anecken. Umso schwerwiegender wiegt daher der Umstand, dass sie bei einem großen Karrierehighlight, den MTV Video Music Awards im Jahr 2009, eine Kränkung erleben musste:

Taylor Swift gewinnt den Preis in der Kategorie „Best Female Video“ und es ein Moment, auf den sie ihre ganze Karriere hingearbeitet hat. Sie gewinnt Preise mit ihrer Musik. Bei der anschließenden Dankesrede entreißt ihr Rapper Kanye West das Mikrofon und poltert, dass Beyoncé mit „Single Ladies (Put a ring on it)“ eines der besten Musikvideos aller Zeiten abgeliefert hat. Es ist der Beginn einer Auseinandersetzung, die in den kommenden Jahren noch für viele Schlagzeilen sorgen wird. Zwar wird Kanye West bei den Video Music Awards vom Publikum ausgebuht und doch bleibt Taylor Swift mit einem gedemütigten Gefühl zurück. Für eine verletzliche Künstlerin, die auf der Suche nach Anerkennung ist, eine schwere Demütigung und wir sehen eine sichtlich verletzte Taylor Swift: „Wenn du für die Anerkennung von Fremden lebst und das deine einzige Quelle für Freude und Zufriedenheit ist, kann eine einzelne schlechte Erfahrung alles zum Einsturz bringen.“

Taylor Swift vs. Dixie Chicks

Schritt für Schritt fügt die Dokumentation neue Ebenen zur Person Taylor Swift hinzu. Eine der wohl spannendsten ist jene, wie Taylor Swift ihre politische Stimme entdeckt. Die Geschichte der Band „Dixie Chicks“, die Taylor Swift als Schuldmädchen noch gecovert hat, wird für Taylor Swift zum mahnenden Beispiel, sich nicht zu politischen Aussagen hinreißen zu lassen. Natalie Maines, Sängerin und Gitarristin der Dixie Chicks, äußerte sich im Jahr 2003 bei einem Konzert in London zum damaligen US-Präsidenten George W. Bush. Sie sei „beschämt“, dass der Präsident – wie sie – aus Texas stamme. Es folgten Boykottaufrufe von konservativen Countryfans, maßregelnde Wortmeldungen von Politiker*innen und öffentliche Demonstrationen inklusive Bulldozer von enttäuschten Fans, die CDs platt walzten.

Mehrfach musste die Sängerin in den folgenden Tagen ihre geäußerte Meinung abschwächen. Geprägt von diesen Vorfällen, ihren musikalischen Wurzeln als Countrysängerin und dem Druck ihres Teams zögerte Taylor Swift lange, sich politisch zu äußern. In diesen Szenen ist „Miss Americana“ ein weiteres Belegexemplar wie die Unterhaltungsindustrie versucht, junge Menschen zu formen, möglichst glatt zu schleifen - immer mit dem Hintergedanken mehr Umsatz zu generieren. Das Wohl der Künstler*innen steht dabei selten im Vordergrund.

Regisseurin Lana Wilson zeigt eine Taylor Swift, die sich diesem Schicksal nicht mehr länger hingeben will und gegen die ihr auferlegte Regeln zu rebellieren beginnt. Taylor Swift selbst formuliert das in der Dokumentation so: „Ich war so besessen davon, keinen Ärger zu kriegen, dass ich mir konstant vornahm: Ich werde nichts tun, womit ich bei irgendwem anecken könnte. Aber jetzt bin ich an einem Punkt, an dem ich nicht mehr darauf hören kann, wenn mir Leute raten, ich soll mich aus allem raushalten.“

„I need to be on the right side of history.”

Im August 2017 zieht Taylor Swift gegen einen früheren Moderator eines Radiosenders vor Gericht. Sie wirft ihm sexuelle Belästigung vor und gewinnt den Fall. „Ich war wütend, weil ich dort sein musste. Ich war wütend, dass Frauen so etwas passiert. Ich war wütend, dass Menschen dafür bezahlt werden, Opfer als Feinde darzustellen,“ erzählt Taylor Swift rückblickend. Ausgelöst durch diesen Fall findet sie bei den Midterm Elections in den USA im November 2018 ihre politische Stimme.

In einem Instagram-Posting unterstützte Swift zum ersten Mal öffentlich Kandidat*innen für ein politisches Amt und spricht sich für die demokratischen Kandidaten bei der kommenden Wahl aus. Beim Verfassen des Postings ist die Kamera sehr dran an Taylor Swift und als Zuseher*in spürt man in diesem Moment die Aufregung, die Taylor Swift in diesem Moment verspürt hat. Sie trat auch entschieden gegen die republikanische Senats-Kandidatin Marsha Blackburn mit ihren konservativen Ansichten auf. An dieser Stelle wird in der Dokumentation Taylor Swifts Rolle als LGBTIQ-Fürsprecherin sichtbar. Sie ist entsetzt über die Vorhaben der republikanischen Abgeordneten und fordert mehr Rechte für LGBTIQ-Personen. Als Resultat ihres Aufrufes registrierten sich nach ihrem Posting innerhalb von 24 Stunden knapp 65.000 Menschen zur Wahl, überwiegend junge Amerikaner*innen. Ein beispielloser Anstieg, selbst wenn man die höhere Registrierungszahl je näher eine Wahl rückt miteinbezieht. In ihrer Rede bei den American Music Awards 2018 ermutigte sie ihre Fans weiter an den Zwischenwahlen teilzunehmen. Obwohl die republikanische Kandidatin gewinnt, markierte diese öffentliche Äußerung einen Wendepunkt im Auftreten von Taylor Swift.

Taylor Swift vs. Taylor Swift

Taylor Swift wird in „Miss Americana“ als eine Person gezeigt, die sich mit ihren Maßstäben häufig selbst geißelt. Ein Anruf, dass ihr Album „Reputation“ für keinen Preis in einer großen Grammy-Kategorie nominiert worden ist, entlockt ihr, dass sie künftig eben „eine bessere Platte“ machen muss. Es ist eine sehr reflektierte Person, die gezeigt wird. Eine Person, die darüber nachdenkt, welche Konsequenzen ihre Handlungen haben. Die darüber nachdenkt, auf welchen Werten und Glaubenssätzen ihre Handlungen und Meinungen fußen. Dabei wird auch der Kampf, den Taylor Swift oft gegen sich selbst führt, nicht ausgelassen. In mehreren Interviews erzählt sie in der Dokumentation wie sie gegen ihre eigenen Ansprüche kämpft, die sie seit Kindheitstagen aufoktroyiert bekommen und irgendwann übernommen hat.

„Miss Americana“ ist aber auch ein sehr einseitiger Blick auf Taylor Swift und ihren Karriereverlauf. Das ist für Musiker*innendokumentationen nichts Ungewöhnliches, darf jedoch nicht vergessen werden. Der Tatsache, dass sie zu Beginn ihrer Karriere sich nicht nur nicht zu Politik geäußert hat, sondern auch noch beschwichtigend verhalten hat, wird nur am Rande Beachtung geschenkt.

Vorschaubild für die Doku "Miss Americana"

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Die Musikdoku, benannt nach dem Song „Miss Americana & the Heartbreak Prince“ (erschienen auf dem siebten Album „Lover“), zeigt in Studioaufnahmen auch den kreativen Schaffensprozess von Taylor Swift (in der Dokumentation wirkt es überraschend einfach einen Hit zu schreiben), setzt jedoch noch mehr den Fokus auf die persönliche und gesellschaftliche Dimension des Phänomens Taylor Swift. Sie wird als nachdenkliche und nahbare Person, mit der man befreundet sein will, porträtiert. Im Vergleich mit anderen Musikdokumentationen wie etwa „Five Foot Two“ über Lady Gaga wirkt „Miss Americana“ durchchoreografiert und an manchen Stellen berechnend. Es ist wohl kein Zufall, dass der kreative Prozess rund um den Song „Only the young“ in der Dokumentation gezeigt wird und dieser Song zeitgleich mit der Dokumentation veröffentlicht worden ist.

Die Entwicklung von der Countrysängerin zum popkulturellen Massenphänomen zeigt die Dokumentation aber eindrucksvoll und positioniert Taylor Swift zurecht als Identifikationsfigur für viele Communities. In den letzten Jahren hat sich Taylor Swift als große Fürsprecherin für beispielsweise LGBTIQ-Rechte bewiesen. Unabhängig wie man zur Musik von Taylor Swift steht, ihr den Einfluss auf die Popkultur abzusprechen, wäre Unfug.

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