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Bong Joon Ho

AP/Invision/Chris Pizzello

Das war die Oscarverleihung

Vier Oscars für „Parasite“ - u.a. „Best Picture“ und „Best Director“. Eine großartige Oscarnacht, in der Hollywood über den eigenen Tellerrand geblickt hat. Außerdem: Eminem, ein Kristen Wiig-Maya Rudolph gewandorientiertes Pop-Medley, ein Midsommar-Kleid und schöne Reden.

Von Pia Reiser

Oh I believe in yesterday singt Billie Eilish während des „In Memoriam“-Segments bei der Oscar-Verleihung, aber dass die Oscars an das yesterday glauben, das hätten wir auch so gewusst, galt doch „1917“ der gestrigste Film der Nominierten in der Kategorie „Best Picture“ als Favorit. Doch dann ist alles eher ob la di ob la da, denn die Oscarverleihung 2020 endet mit vier Oscars für den südkoranischen Superfilm „Parasite“ - ausgezeichnet in den Kategorien „Best Picture“, „Best Achievement in Directing“, „Best International Picture“ und „Best Original Screenplay“.

Alles andere als yesterday-ig. Ein wundersamer und dann doch unerwarteter Triumphzug dieses wunderbaren, exzellenten klugen und spannenden Films über die Kluft zwischen Arm und Reich. Und Arm und noch Ärmer. Für den mit elf Nominierungen als Favorit ins Rennen gegangenen „Joker“ gab es dann nur zwei Preise - für Joaquin Phoenix als „Best Actor in a leading role“ und für Hildur Guðnadóttirin der Kategorie „Best Score“. Joaquin Phoenix und Renee Zellweger werden in der Kategorie „Best Actor/Actress“ ausgezeichnet und Laura Dern und Brad Pitt als „Best supporting actress/actor“. Drei Auszeichnungen gibt es für „1917“ - „Best Cinematography“, „Best Sound Mixing“, „Best Editing“ und zwei für „Once upon a time in Hollywood“ - neben Brad Pitt wird auch noch das „Production Design“ von Tarantinos Liebeserklärung an eine vergangene Ära ausgezeichnet.

Aber bevor wir an den Anfang gehen, gehen wir wir noch vor den Anfang (kompliziertere Erzählstruktur als „The Irishman“ herrschen hier). Zuerst das Wichtigste vom Red Carpet: Gerard Butler und Til Schweiger sind richtig gute Freunde. Billy Porter weckt bei Frauen und Männern Robenneid, die Mutter von Julia Butters („Once upon a time in Hollywood“) erzählt, wie ihre Tochter zur Schauspielerei gekommen ist - „she was a shy baby, so I put her into modelling“ - und Steven Gätjens Gesicht ist leicht orange. Bester Bart? Oscar Isaac. Bestes Kleid? Natalie Portman hat sich in ihr Cape die Namen der dieses Jahr nicht nominierten Regisseurinnen in Gold einsticken lassen.

Bevor die Oscar-Verleihung losgegangen ist, hat übrigens Questlove aufgelegt, Lars Eidinger hatte wohl keine Zeit. Ansonsten: Asymmetrische Kleider überall und das Angelina-Bein feiert ein Comeback - allerdings nicht an Angelina, sondern an Charlize Theron und Cynthia Erivo. Schönstes Slow-Mo-Video eines Paares vom Red Carpet: Marielle Heller und Jorma Taccone.

Und jetzt beginnen wir am Anfang: Janelle Monae singt - rotbejackt - „It’s a beautiful day in the neighbourhood“ - und dann einen Song über die Oscarnacht umtanzt von Tänzer*innen in Kostümen aus nominierten („Joker“) und nicht nominierten Filmen („Midsommar“!, „Queen and Slim“, „Dolomite is my name“). Quasi ein gesungenes „Wir wissen eh, dass es mehr gibt, als das, was wir nominieren.“ Irgendwann trägt Monae ein „Midsommar“-Climax ähnliches Blumencapeund ich fall vor freude ganz kurz in Ohnmacht. I’m so proud to stand here as a a black queer artist, naja, nicht die schlechteste Art den elephant in the room und das meist Kritisierte an den Oscars von einer singenden Janelle Monae ansprechen zu lassen. Dann kommen Steve Martin und Chris Rock, zwei ehemalige Oscarhosts und machen Witze über Jeff Bezos („He thought marriage story was a comedy“), Martin Scorsese („I loved the first season of ‚The Irishman‘“) über die nominierten Filme, die fehlende Diversität. OscarsSoWoke - wenn schon nicht im Nominierungsprozess, dann zumindest in der Nachbereitung.

Brad Pitt

AP/Chris Pizzello

Die erste Nicht-Überraschung, über die man sich trotzdem freut: Brad Pitt bekommt einen Oscar in der Kategorie „Best Supporting Actor“ für seine Rolle als Ex-Stuntman Cliff Booth in Tarantinos „Once upon a time in Hollywood“. Höhere Dudeness sagt Alexander Horwath im Gespräch mit Lilian Moschen auf ORF 1 und da fällt mir jetzt auch nichts mehr dazu ein. Es folgt dann - nachdem „Toy Story 4“ und der Kurzfilm „Hair Love“ mit einem Oscar ausgezeichnet worden sind, eine Einlage, die wohl ganz gut zeigt, was sich die Academy unter Diversität vorstellt: Zwölf Elsas, also die singenden Synchronstimmen-Elsas aus „Frozen“ und „Frozen 2“ aus der ganzen Welt singen „Into the Unknown“.

Nicht ganz into the unknown aber into an area where surprises are still possible ging es dann mit der Kategorie „Best Original Screenplay“ - und einem Oscar für „Parasite“, juhu! Soviel koreanisch wurde noch nie bei einer Oscarverleihung gesprochen. Bong Joon Ho schaut sich den Oscar ganz genau an. In der Kategorie „Best Adapted Screenplay“ wird dann - wie schon bei den „Writer’s Guild Awards“ Taika Waititi für das Drehbuch zu „Jojo Rabbit“ ausgezeichnet. An der Tonalität der Romanvorlage hat Waititi ordentlich rumgeschraubt, im Original ist die Geschichte um einen Hitlerjungen, der sich mit einem jüdischen Mädchen anfreundet, weitaus düsterer (spielt auch in Ottakring). Hitler als imaginären Freund des kleinen Jojo, den hat Waititi erfunden. Er widmet seinen Oscar „all the indigenous kids in the world who want to do art and dance and write stories. We are the original storytellers and we can make it here, as well."
Wenn achteinhalbtausend Leute etwas auf Zettel schreiben, kommt halt etwas raus, so Alexander Horwath über das Abstimmungsprozedere oder war es doch Konfuzius.

taika waititi

AP/Invision/Chris Pizzello

Die Königinnen Maya Rudolph and Kristen Wiig überreichen den Oscar für "Best Production Design“ - und der Blick zurück ins Los Angeles des Jahres 1969 in „Once upon a time in Hollywood“ wird ausgezeichnet. In der Kategorie „Best Costume Design“ gewinnt oft der kostümigste Film, so auch dieses Jahr - zu Recht. Jacqueline Durran wird für die fantastischen - farbcodierten - Kostüme für „Little Women“ ausgezeichnet. Von Durran stammt auch das grüne Seidenkleid aus „Atonement“, an das ich mindestens einmal in der Woche denke. Maya Rudolph und Kristen Wiig geben ein kleines Pop-Medley zum Besten - eingeleitet von einem alten Am Dam Des Clown Enrico-Schmäh, an das ich wohl nun auch einmal in der Woche denken werde.

Maya Rudolph und Kristen Wiig

AP/Invision/Chris Pizzello

„American Factory“ - produziert von „Higher Ground“, der Produktionsfirma von Barack und Michelle Obama wird - wie erwartet als „Best Documentary“ ausgezeichnet. workers of the world unite... sind auch eher selten Worte, die in Oscar-Dankesreden fallen, doch sie fallen heute. Brad Pitt hat den Mini-Trend „politische Anspielungen“ in Reden heute mit einer Anspielung auf das Impeachment-Verfahren gestartet, jetzt sind wir eine Stunde später schon beim kommunistischen Manifest. That escalated quickly!

Ebenfalls wie in jedem Kaffeesatz und jeder Vorhersage zu lesen war, wird Laura Dern für ihre Rolle als Scheidungsanwältin in „Marriage Story“ ausgezeichnet. Und es fallen die Worte thank you, netflix. Derns Figur ist angelehnt an Laura Wasser, eine tatsächliche Anwältin, die sowohl Dern als auch Baumbach und Johansson bei deren Scheidung vertreten hat. Dern bedankt sich bei ihren Eltern, den Schauspielern Bruce Dern und Diane Ladd.

Es folgt ein Skikursdico-würdiges Medley, das uns die Bedeutung von Songs in Filmen vermitteln soll und ich hab schon bei Song drei Tränen in den Augen. „Breakfast Club“, „Footlose“, „Back to the Future“, „Deliverance“. Und dann kommt Eminemund performt - mit Bart und Orchester - „Lose Yourself“ grad so als wär’s 2002. OscarsSoDiverse, dass eben auch weiße Rapper auftreten dürfen. Für Martin Scorsese heißt das: endlich mal Zeit, die Augen zu schließen.

Dann gibt’s Preise für die Geräusche von Autos und Krieg: „Ford v Ferrari“ kriegt einen Oscar für „Best Sound Editing“ und „1917“ für „Best Sound Mixing“. Der große Roger Deakins - mit einer wunderschön weißen Haarwolke - wird in der Kategorie „Best Cinematography“ für „1917“ ausgezeichnet, sein zweiter Oscar nach „Blade Runner 2049“. Damit wäre jetzt aber auch alles ausgezeichnet, was es an „1917“ auszuzeichnen gibt. Good guy Deakins bedankt sich bei seinen grips, gaffer, focus puller.

James Corden und Rebel Wilson treten in Wuschelkatzen-Kostümen auf, machen Witze über „Cats“ und präsentieren die Nominierten in der Kategorie „Best Visual Effects“ - und es gibt noch einen Oscar für „1917“.

Cats bei den Oscars

AP/Invision/Chris Pizzello

Der Oscar für „Best Hair and Make Up“ geht an „Bombshell“ - völlig zurecht, ich verstehe immer noch nicht, wie Kazu Hiro und sein Team aus Charlize Theron Megyn Kelly gemacht haben. Ein Wahnsinn. Hiro ist bereits mit einem Oscar für seine Verwandlung von Gary Oldman in Winston Churchill in „The Darkest Hour“ ausgezeichnet worden.

Großer Applaus für „Parasite“, als die Nominierungen in der Kategorie „Best International Picture“ vorgelesen werden - und „Parasite“ wird ausgezeichnet! Bong Joon Ho holt eine Runde Applaus für sein Ensemble ein und dann sagt er „I’m ready to drink“. Glaube ich.

Bong Joon Ho

AP/Invision/Chris Pizzello

Elf Nominierungen für „Joker“, die Oscar Show dauert schon zwei Stunden und es gab noch keinen Oscar für den „Taxi Driver“ meets DC Comicvorlage-Film. Das wird sich jetzt ändern, denn es steht „Best Score“ auf dem Programm. Billie Eilish looking confused ist wohl jetzt schon das Meme, das uns eine Weile begleiten wird. Ich hab vergessen, euch zu erzählen, dass Elton John kurz aufgetaucht ist, um an einem roten Klavier zu klimpern. Zurück ins Jetzt: Hildur Guðnadóttir wird für ihren Score für „Joker“ ausgezeichnet, sie hat die Arbeit schon begonnen, als sie nur das Skript von Todd Philipps hatte. to the girls to the women to the mothers to the daughters, please speak up, we need to hear your voices. Guðnadóttirs Rede ist das Gegenteil von allem, was man in „Joker“ reininterpretiert hat.

Sir Elton John, den ich vorher fast zu erwähnen vergessen hätte, kriegt - gemeinsam mit Bernie Taupin - einen Oscar für „Best Original Song“ - „I’m gonna love you again“ aus dem ziemlich fabulösen Elton-John-Biopic „Rocketman“.

Nochmal großer Applaus, als Bong Joon Hos Name in der Kategorie „Best Achievement in Directing“ bei den Nominierten vorgelesen wird - und - wohhoo - Bong Joon Ho ist auch der Name, der auf dem Zettel im Kuvert steht! Zum dritten Mal steht der südkoreanische Regisseur heute schon auf der Bühne und meint, er dachte, er könne sich jetzt endlich entspannen. Er initiiert dann eine standing ovation für Martin Scorsese. Seine Filme habe er studiert, er habe nie damit gerechnet, einmal hier zu stehen. Quentin I love you sagt er dann noch. Und auch Todd und Sam liebe er und er wünscht sich eine Kettensäge, um den Award zu zersägen und mit seinen Mit-Nominierten zu teilen. Was für ein schöner Moment. Und wer „Parasite“, diese exzellente Klassenkluft-Geschichte mit Genrekino (und Hitchcock-)Anleihen, noch nicht gesehen hat: Ins Kino mit euch.

Billie Eilish singt nun also „Yesterday“ als Begleitung für den „In Memoriam“-Teil. Kobe Bryant, Rip Torn, Terry Jones, Agnes Varda, Danny Aiello, Buck Henry, Stanley Donen, Robert Evans, Anna Karina, D.A Pennebaker, Bibi Andersson, Doris Day, Kirk Douglas. Adieu.

Olivia Coleman - mit der Trendfrisur kurz und blond - erfreut mit ihrer Präsenz und ihrem Humor winning an oscar makes you age. Ein „Marriage Story“-Einspieler lässt mich weinen. Ich befürchte Adam Driver kriegt dann irgendwann mit 75 Jahren einen Oscar, weil er durchgehend so super ist, dass man sich immer denkt na, nächstes Mal geben wir ihm den Preis. Jetzt also dann, the man, the legend, der Mann, der Jesus und Johnny Cash gespielt hat und der Freund von Rooney Mara ist - und er gewinnt wie erwartet: Joaquin Phoenix wird als „Best Actor“ für seine Rolle in „Joker“ ausgezeichnet. Die Academy mag Transformationen, Phoenix hat viel abgenommen für die Rolle und er verschwindet tatsächlich in der tragischen Figur des Arthur Fleck. Für seine Art zu gehen alleine, für sein verlorenes Tänzeln, hätte man ihm einen Preis geben können. We share the love of film, sagt er über die fünf Nominierten. Und dann schwenkt er um, um denen eine Stimme zu geben, die keine haben. We’ve become very disconnected from the natural world..., so Phoenix. Hüpft in der wohl ernstesten Oscarrede von Veganismus zu Gender Equality zu generellen Ungerechtigkeit auf Erden, zur fehlenden Empathie. Und kehrt gegen Ende, sichtlich bewegt, zu seinem Bruder River Phoenix zurück, der Schauspieler, der 1993 gestorben ist.

Renee Zellweger wird für ihre Rolle als Judy Garland in „Judy“ ausgezeichnet und so sehr ich Filme schätze, die an das alte Hollywood erinnern, dieser Oscar hätte an Johansson für „Marriage Story“ gehen sollen. Auf Phoenix zwar etwas vage aber nicht uneindrucksolle wirmüssendieweltändern-Rede kommt Zellwegers recht klassische Dankesrede mit Danke an die Produzenten und believe in the american dream. Leicht verblasen, so Horwath.

Mein Laptop-Akku neigt sich dem Ende zu und das Kabel ist in der Redaktion einen Stock drüber, also, hopp, hopp, Oscars!

Wird jetzt der erste nicht-englisch-sprachige Film als „Best Picture“ ausgezeichnet? Jane Fonda - ravishing as always - präsentiert die letzte und Königskategorie: „Best Picture“. Juhu, was für eine schöne Überraschung - „Parasite“ wird ausgezeichnet! „Best Picture“, „Best Original Screenplay“, „Best International Picture“ und „Best Director“ für diesen fantastischen, außergewöhnlichen Film. Bong joon Ho hat bei den Golden Globes eine Empfehlung abgegeben, dass man doch versuche "to get past the one-inch-tall barrier of subtitles”. Offenbar haben das viele gemacht.

Mein Laptop-Screen wird schwarz. Gute Nacht, ihr Prinzen von Maine, ihr Könige von Neuengland, we will always have Paris and so we’re just gonna ignore the bear.

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