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Kevin Parker, Tame Impala

Neil Krug

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Tame Impala und „The Slow Rush“

Keine Rockband hat in der jüngeren Vergangenheit so konsequent den Sound in Richtung Pop verschoben wie Tame Impala. Ist das nun lahm oder hat das Charme? Eine Begegnung mit Impala-Mastermind Kevin Parker anlässlich der Veröffentlichung des neuen Albums „The Slow Rush“.

Von Christian Lehner

Der Faktor Zeit. Es hat Vorteile, wenn man an einem Interview-Tag der Erste ist. Die Befragten spulen ihre Antworten in der Regel noch nicht im Automodus runter. Es hat aber auch Nachteile. Kevin Parker begrüßt mich in seinem Hotelzimmer in Berlin. Erster Eindruck: freundlicher Dude. „Hallo, wie geht’s?“. „Gut, bin gerade aufgestanden!“. In der Übersetzung heißt das: „Gut, kann sein, dass ich noch etwas langsam bin.“

Das neue Album von Tame Impala trägt den Titel „The Slow Rush“. In diesem Moment ist das ein situativer Witz, der eigentlich nichts zur Sache tut. Das Gesagte (hier im Interview-Podcast nachzuhören) schwankt in den nächsten 20 Minuten zwischen sehr langen Nachdenkpausen, vielen Zungenschnalzern und verblüffend offenen Antworten, die oft nicht so weit in die Tiefe gehen, wie sie andeuten.

Es ist der 6. Dezember 2019. Ich stelle einen Schokonikolo auf den Tisch. Freundlich erkundigt sich Parker danach, ohne wirklich etwas darüber wissen zu wollen. Die Buschfeuer wüten noch nicht in Australien (Tame Impala werden später einige 100.000 Dollar für die Feuerbekämpfung spenden) und doch spielen Flammen keine unwesentliche Rolle in der Entstehung des neuen Tame-Impala-Albums.

Im November 2018 mietete Parker eine Ferienwohnung in Malibu in Kalifornien, um an neuen Songs zu arbeiten. Er hatte eingecheckt, sein Equipment aufgebaut, für Insta ein Foto geschossen und sich dann hingelegt. „Irgendwann am Morgen klingelte jemand an der Tür“, so Parker. „Ich öffnete und der Typ sagte mir, ich müsse sofort raus, der umliegende Wald stünde in Flammen. Erst später dämmerte mir, dass das ein Fire Marshall war.“

Vater-Sohn-Konflikt

Parker schnappte sich den Laptop mit den bereits aufgenommenen Songs und seine alte Höfner-Bassgitarre, auf der er die Stücke schreibt, und machte sich aus dem Staub. Der Rest des Equipments verbrannte.

„Die kalifornischen Waldbrände hatten schon einen Einfluss auf das Album. Ich hätte Songs geschrieben, die es jetzt nicht gibt.“ Da ist er wieder, der Faktor Zeit.

Parker sagt das völlig ungerührt. Der nette Dude mit den langen Haaren und dem Religionslehrerbärtchen bleibt in seinen Ausführungen auf Distanz zu seinen eigenen Emotionen, gibt dafür aber viel preis. Wir sprechen über die Vorab-Single „Posthumous Forgivness“. In dem Song geht es um einen typischen Vater-Sohn-Konflikt.

Parker hatte eine schwierige Beziehung zu seinem Vater, der vor zehn Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung starb. Frühe Scheidung, seltene Besuche, gebrochene Versprechen, gefallenes Idol, Wut im Bauch, schwierige Teenager-Jahre, solche Sachen.

„Der Song möchte Frieden schließen mit der Vergangenheit. So viele Dinge können nicht mehr gesagt oder gerade gerückt werden“. Wieder der Faktor Zeit. Die Songzeilen selbst wechseln zwischen Anklage, Trauer und der Suche nach Gemeinsamkeiten: „Wanna tell you ’bout the time (I know) I was in Abbey Road / Or the time that I had Mick Jagger on the phone I thought of you when we spoke.”

“Vater liebte Popmusik”, erzählt Parker noch immer ungerührt. „Das war der Grund, warum er mir empfahl, es nicht damit zu versuchen. Er fürchtete, dass ich die Leidenschaft verlieren würde, wenn es ein Job wird. "I guess I proved him wrong.“

Tame Impala, Kevin Parker

Neil Krug

Ob die brüchige Vaterbeziehung die Musik beeinflusst hätte, will ich von Parker wissen. „Sicher hat sie das“, erwidert der. „Das Gefühl, nirgendwo richtig dazuzugehören, rührt daher, aber es ist besser geworden mit den Jahren und es ist sicher nicht das bestimmende Element in meiner Musik“, sagt Parker, der ein Tame-Impala Album schon mal „Lonerism“ taufte.

Kevin - Allein zuhaus?

Was viele (auch Fans) bis heute nicht wissen: Tame Impala sind nicht ein paar Stoner-Jungs aus Perth, die im College eine Gruppe ins Leben gerufen haben, um die große australische Rock’n’Roll Tradition von AC/DC, INXS und Co. fortzuführen. Tame Impala sind seit der Gründung vor 13 Jahren das Soloprojekt von Kevin Parker. Er schreibt die Songs, er spielt sie allein ein, er produziert die Alben größtenteils selbst. Die anderen Mitglieder kommen erst bei den Konzerten und Touren ins Spiel und rekrutieren sich – bis auf Dauermitstreiter Dominic Simper – aus der Psych-Pop-Band Pond.

„Ich vergleiche das mit dem Malen eines Bildes“, erklärt Parker. „Da braucht es vielleicht viele Farben, aber nur einen Maler. Klar, es wäre mit anderen vielleicht lustiger und wilder, an der Leinwand zu stehen, aber ich möchte in erster Linie etwas über mich selbst herausfinden.“

Der Australier pinselt mit kräftigen Farben und vielen Schichten. Er entwickelt Effektgeräte und tüftelt „gefühlte Ewigkeiten“ (Parker) an Sounds, Melodien und Arrangements. Ob er denn keinen Schubs von Außen brauche, will ich wissen, damit die Stücke auch irgendwann fertig werden. „Für mich ist es wichtig, mich in der Musik verlieren zu können. Ich brauche das. Es ist ein zentraler Bestandteil von Tame Impala.” Die Zeit, sie muss nicht endlich sein.

Cover "The Slow Rush" - Tame Impala

Caroline (Universal)

„The Slow Rush“ von Tame Impala erscheint am 14. Februar auf Caroline (Universal).

Kevin Parker hat eine Vision und diese Vision heißt Pop. Tame Impala war als staubiger Freak-Bus im Zeichen des Psychedelic Rock gestartet. Das Debüt „Innerspeaker“ (2010) stand noch ganz im Bann der ausfransenden Gitarre und aufgeweichten Hirnrinde. Doch bereits am Nachfolger „Lonerism” (2012) fand eine Hinwendung in Richtung Dream-Pop statt, die mit dem Millionenerfolg „Currents“ (2015) auf die Spitze getrieben wurde. Kevin Parker ist in ein glitzerndes Raumschiff umgestiegen und umkreist seither den Planeten Pop.

Viele Fans der ersten Stunde finden das gar nicht gut. Im Netz kursieren seit einiger Zeit Memes, die aus Tame Impala „Lame Impala“ machen. Champagner statt Bong-Pfeife, so lautet der Vorwurf. Die Fan-Gemüter werden in Wallung bleiben, denn das neue und vierte Tame-Impala-Album „The Slow Rush“ verschiebt die Sound-Koordinaten noch ein Stückchen weiter in Richtung Pop und wagt sich nun auch so richtig auf den Dance-Floor.

Lame Impala?

Der Opener „One More Year„ kickt die Bassdrum im 4/4-Takt. Mit „Glimmer„ haben wir es gar das erste Mal mit einem astreinen Clubtrack ohne Vocals zu tun. Der aktuelle Hit „Lost In Yesterday“ ist Disco galore.

Parker grinst und sagt, dass er DJ geworden wäre, wenn das mit der Band nicht geklappt hätte. Seit dem ersten Tame-Impala-Album habe er auf eine Gelegenheit gewartet, Club-Beats und -Sounds in seine Musik zu integrieren. Parker sieht keine Widersprüche in der Entwicklung seines Projektes. Selbst in den frühen Tagen hätte er mit dem Konzept des „rockens“ nie etwas anfangen können. Für ihn wäre der Charts-Pop von Britney Spears und Michael Jackson genau so prägend gewesen wie Grunge oder der Sound von 60s-Bands wie Cream.

Rock-Puristen gibt es in seiner Welt nicht: „Ich glaube nicht, dass jemand Pop nicht mag. So sind wir doch alle erst auf den Geschmack gekommen. Schon klar, man identifiziert sich in einem bestimmten Lebensabschnitt mit bestimmten Genres, aber zu behaupten, Pop sei albern, ist in etwa so, als würde man behaupten, Kleinkinder mögen keine Wiegenlieder. Ich mag auch nicht alles, aber potenziell gefällt mir jedes Genre.“

Dass Parker mit seiner genreübergreifenden Vision den Zeitgeist trifft, zeigt sich weniger an anderen Rockbands, sondern am Erfolg von meist weiblichen Popstars wie Billie Eilish oder aktuell 070 Shake, die ebenfalls Genregrenzen offensiv negieren.

Und an der großen Liebe, die ihm von der sich ebenfalls öffnenden Welt des Hip Hop und R’n’B entgegenströmt. Kanye West, Kendrick Lamar, Rihanna, Travis Scott und Tyler, The Creator schwören auf die Hooks, Samples und Features von und mit Tame Impala.

Eskapismus galore

Der Faktor Zeit also. „The Slow Rush“ trägt ihn im Titel. Sechs der zwölf Songs ebenso. „It Might Be Time“, „Lost In Yesterday“, „One More Hour”. Woher rührt diese Faszination? Die Antwort ist so einleuchtend wie banal. „Es ist der bestimmende Faktor unseres Lebens und die Quelle für so viele Emotionen“, sagt Kevin Parker. „Und ich sehe mich genau an diesem Punkt: Es ist Zeit, zurückzublicken, sich davon aber nicht bestimmen zu lassen.“

Viel besser als in den Texten funktioniert der thematische Überbau in der Musik von Tame Impala. Der Retro-Sound ist der Motor, der Eskapismus das Benzin. Die selbstgebauten Zwitschermaschinen, die Fuzz-Pedale und Museums-Synths, die Engelsgesänge, die süßen Hooks, die forschen Beats, das alles dient dem Zweck, die Zeit aufzuheben und sich von den Ereignissen freizumachen, die an sie geknüpft sind. Klimawandel, Rechtsruck, soziale Klüfte – artig sagt Kevin Parker auf, dass die reale Welt immer wichtiger wird in seiner Musik – allein seine Musik sagt etwas anderes. Und sie sagt es auf höchstem Niveau. Süßere Zuckerwatte bekommt man derzeit nirgendwo anders.

„That was nice“, sagt der freundliche Dude am Ende des Interviews. Genau, that was nice.

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