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Blumenaus 20er-Journal

Wie der Skikurs den Klassen-Unterschied vergrößert

Die neue Regierung will den Schul-Skikurs, eine zentrale Kraft gesellschaftlicher Trennung, stärken.

Von Martin Blumenau

„Gutes Thema, Schi-Apartheid, hab’s selber gespürt“, schreibt gestern die Kollegin zu dem Link, den sie mir schickt. Er führt zu einer Geschichte von Olivera Stajic im Standard zum Thema Skikurs, und wie der bei Neo-Österreicher*innen ohne Schnee-Identität ankommt.
Anlass ist ein Satz im Regierungs-Programm, der sonstwo keine Beachtung fand, da war die Rede von der „Einführung von Sporttagen in der <Volksschule> von mindestens vier Tagen und in der <Unter- und Oberstufe> von mindestens je zwei Wochen, wobei eine davon dem Wintersport gewidmet werden muss“.

Fast Off Topic: Olivera war (leider nur) einmal Teil der Jury zum Protestsong-Contest, der bekanntlich heute Abend im Rabenhof stattfinden wird, FM4 überträgt live - mehr dazu morgen an dieser Stelle.

Ich hab ihn wohl gelesen, aber seine distinktionsprägende Macht übersehen, obwohl ich das Thema ja auch sehr gut von innen kenne; nicht wie Olivera als Migranten-Kind, nicht wie meine Kollegin, die „anders“ aussieht und aus einer Kultur kommt, in der Wintersport nicht existiert, sondern „nur“ als trennender Faktor zwischen den Klassen, die in Österreich immer schon existiert haben und dank immer weiter auseinanderklaffender sozialer Scheren künftig verstärkt existieren werden.

Vorher kann man - als betroffenes Kind- die Klassenschranken nämlich noch übersehen, sie spielerisch ausblenden; die Materialschlacht Skikurs und der damit verbundene Eltern-Ehrgeiz herzuzeigen, was man hat, jedoch sind von einschneidender Qualität.

Mittlerweile setzt das schon früher an. Ich sehe schon in der Volksschule eine indirekte Ausgrenzung, die sich über Leistbarkeiten und simple Kosten-Nutzen-Rechnungen ergeben: das Mädchen aus dem Irak, der Bub aus der nigerianischen Familie, das Hausmeister-Kind... wenn ihre Familien die 2 oder 3 oder 5 Euro Unkostenbeitrag, die für den Ausflug, den Kindertheater- oder Museums-Besuch nicht aufbringen können, bleiben die in der Schule. Sowas fräst sich in Hirn und Herz der Kinder, bildet den Nährboden für Ablehnung, Unzufriedenheit oder schlimmere Konsequenzen.

Vor allem dann, wenn selbst die wenigen, die sich über alle Grenzen hinwegsetzen, mies behandelt werden - wie es zuletzt im Fall Dujakovic sichtbar wurde, wo Verantwortliche von Politik und Sport ihr Versagen krass sichtbar gemacht haben.

Ich habe den Skikurs an meinem gehobenen humanistischen Gymnasium deshalb gut überstanden, weil meine Mutter alle Hebel in Bewegung gesetzt hatte, um eine brauchbare Second-Hand-Ausrüstung aufzustellen und weil mein Vater mir vorher den Kontext ganz genau und 12-Jährigen-gerecht erklärt hatte, ohne Selbstmitleid aber auch ohne Beschönigung. Und weil ich als Rodler auf allen Wienerwald-Wiesen weder ein Problem mit Geschwindigkeit noch mit gut in den Schnee fallen können hatte.
Deshalb ist es sich ausgegangen, für eine Bronze-Medaille beim Abschluss-Rennen (und nicht in der letzten Gruppe). Und auch dass der Peter aus Pressbaum, der weitaus beste Skifahrer aller drei Parallel-Klassen mein Freund sein konnte. Denn wenn jemand die allerbeste Ausrüstung (und die hatte er, wahrlich) verdient hatte, dann er.

Bei mir war’s nach zwei Skikursen dann vorbei, auch weil sich in meiner Schule die Distinktions-Windhose gedreht hatte und die kulturlose Ski-Woche gegen Landschul-Schulland-Wochen in Kulturgegenden wie Hallstatt ersetzt wurde. Und deshalb jage ich auf den einschlägigen Wiesen immer noch lieber mit der Rodel oder dem Einhand-Bob runter.

Ich hatte also Glück. Und ich war gut vorbereitet auf die Klassen-Politik der herrschenden Strukturen. Heute, wo unsere Gesellschaft vorgibt, klassenlos zu sein, und die bestehende divide mit Schmäh-Begriffen wie der Leistung (durch die der Aufstieg für alle möglich sei, eine Schimäre, wie alle Untersuchungen bestätigen) geleugnet wird, fahren die Ungerechtigkeiten stärker ein. Auch weil die Menschen durch die postpolitische Ära nicht mehr präpariert sind.

Dass ein Satz wie dieser so im Regierungs-Übereinkommen steht, ist auch nicht weiter verwunderlich: Eine Rechts-Mitte-Regierung von zutiefst bürgerlich geprägten Menschen verfügt nicht über die Erfahrungswelten, die eine solche Wiedereinführung von verbindlichen Skikursen, einer zutiefst elitären Veranstaltung, die eine Unterschicht-Familie nicht bewältigen kann, als Gefahr erkennen können.

Dass sich die Grünen beim Thema verpflichtender Wintersport aber nicht einmal aus recht umweltschützerischen Gründen (Stichwort: Pitztal) mit zumindest einer relativierenden kritischen Fußnote angemeldet haben, verwundert dann doch. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Ich bin mir aber auch nicht sicher, ob das alles nicht auch der SPÖ hätte passieren können. Zwar vereint das Thema „Ausgrenzung durch Materialkosten“ die beiden potenziell stärksten Wählergruppen jenseits der Pensionisten, nämlich Neo-Österreicher mit Migrations-Vordergrund sowie Arbeitende, die sich ihr Überleben wegen zu schlechter Bezahlung nur schwer/knapp leisten können. Beide Gruppen haben aktuell niemanden, der ernsthaft für sie lobbyiert, sie werden ausschließlich populistisch instrumentalisiert bzw. sich selbst überlassen. Und die Sozialdemokratie unternimmt - zu meiner Überraschung - auch weiterhin keinerlei Anstrengung sich hier zur Schutzmacht der gesellschaftlich Ohnmächtigen zu erklären.

Nicht dass der Skikurs-Passus sich hier als Aufhänger für eine große Kampagne eignen würde - es ist nur einer von vielen Anlässen, wo sich die politische Wurschtigkeit im Umgang mit den Machtlosen manifestiert.

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