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„Bombshell“ macht manche Figuren sympathischer, als sie sind

Mit satirischem Ton und dem Tempo einer Komödie erzählt „Bombshell“ den #MeToo-Fall um Fox-News-CEO Roger Ailes. Die Mischung aus Satire und Dokudrama funktioniert, wäre da nicht der Versuch, die frühere Fox-News-Moderatorin Megyn Kelly als Identifikationsfigur zu inszenieren.

Von Pia Reiser

Willkommen in den Redaktionsräumen von Fox News. Eine Welt, in der es noch keine Nasolabialfalte in das Gesicht einer Frau unter 85 geschafft hat. „Bombshell“ eröffnet mit der ansteckenden Energie von Filmen wie „The Big Short“ oder „Vice“: Archivmaterial, schnelle Montage, eine Stimme aus dem Off und schließlich eine Figur, die direkt in die Kamera spricht.

Die Figur, die uns hier direkt adressiert, ist Megyn Kelly, Fox-News-Aushängeschild. In einem Etuikleid in den Farben der amerikanischen Flagge führt sie durch die schon architektonisch wenig ansprechenden, von der Geisteshaltung her aber greislichen Räumlichkeiten von Fox News, dem Zentrum der amerikanischen, rechtskonservativen Meinungsschmiede und Alarmbrüllerei. Der Beginn von „Bombshell“ zeigt Drehbuchautor Charles Randolph in Bestform, wenn es um die untranige, pathosbefreite Annäherung an die jüngere Geschichte der USA geht.

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In der aktuellen Episode des FM4 Filmpodcast sprechen Christian Fuchs und Pia Reiser über „Bombshell“.

Und jung ist diese Geschichte tatsächlich. 2016 tritt Fox-News-CEO Roger Ailes von allen Tätigkeiten bei Fox zurück, nachdem Moderatorin Gretchen Carlson und zahlreiche weitere Frauen mit Vorwürfen der sexuellen Belästigung an die Öffentlichkeit gegangen sind. „Bombshell“ beschränkt sich - abgesehen von ganz wenigen Flashbacks - auf das Jahr 2016 und wirft einem auch zu Roger Ailes gerade genug Informationsbrocken zu Beginn hin, um ihn einordnen zu können. Ein ehemaliger Berater von Richard Nixon, Ronald Reagan und George W. Bush, der dann mit Fox News ein lautes Medium für das rechtskonservative Amerika geschaffen hat.

Jetzt sind diese Dinge schon für ein - vermutlich irgendwo mitte-links stehendes - Kinopublikum dämonisch genug, da braucht John Lithgow als Ailes eigentlich gar nicht viel zu tun. Diese Version von Ailes ist weitaus geriatrischer, als Russell Crowe den übergewichtigen und cholerischen Mann in der Serie „The Loudest Voice“ spielt. Eine ehemalige Fox-News-Mitarbeiterin findet, dass Ailes fast als zu nett dargestellt wird. Gretchen Carslon und Megyn Kelly haben sich positiv zu „Bombshell“ geäußert und das ist auch nicht verwunderlich, verschafft ihnen dieser Film doch einen ordentlichen Sympathievorsprung, indem er einiges weglässt.

Die Geschichte von „Bombshell“ beginnt nämlich im Grunde gar nicht bei Ailes, sondern bei einem anderen Vertreter der Bully-Kultur: Donald Trump, damals noch Präsidentschaftskandidat. In einem Interview spricht Megyn Kelly ihn auf seine abwertenden Bezeichnungen für Frauen an, woraufhin sich Trump des Nachts in eine Tweet-und-Retweet-Spirale des Zorns begibt. Die Megyn Kelly in „Bombshell“ ist also eine, die gegen Trump aufsteht und sich für Frauen einsetzt. Das macht sie für das Publikum zu einer besseren Identifikationsfigur, als das ohne Zutun ein prominentes Aushängeschild von Fox News sonst wäre.

Was „Bombshell“ nur in einer winzigen Sequenz andeutet, ist die lange Geschichte von rassistischen Äußerungen von Megyn Kelly im Fernsehen. Und auch Gretchen Carlson, die ehemalige Miss America mit einem Stanford-Abschluss, wird in „Bombshell“ bei TV-Auftritten gezeigt, wo sie - vorsichtig, aber doch - Kritik an den Waffengesetzen der USA übt und jungen Frauen zuspricht, dass sie doch sie selbst sein sollen.

szenenbild "bombshell"

constantin

Eventuell wäre „Bombshell“ ein noch interessanterer Film gewesen, wenn das Drehbuch sich nicht so bemüht hätte, diese beiden weiblichen Hauptfiguren dem Zielpublikum des Films sympathischer und näher zu präsentieren, als sie es tatsächlich sind. Ich glaube, man kann einem Publikum einen Film zumuten, in dem man keine Identifikationsfigur hat. Außerdem gibt es da ja auch noch Kate McKinnon in „Bombshell“. Sie spielt eine homosexuelle Hillary-Clinton-Unterstützerin, die quasi als Geisteshaltungs-U-Boot bei Fox News arbeitet. Sie hat damals nur diesen Job bekommen und jetzt kriegt sie keinen anderen mehr, eben weil sie bei Fox News gearbeitet hat. Ihre Figur ist eindeutig als Sauerstoff-Vorrat konzipiert für alle, die an der toxischen Luft bei Fox News schon beim Anschauen des Films zu ersticken drohen.

Eine, für die diese Luft die feinste, reinste Bergluft ist, ist Kayla (Margot Robbie). Im Gegensatz zu Carlson und Kelly geht diese Figur auf keine reale Person zurück, sondern ist eine Komposition aus mehreren Fox-News-Mitarbeiterinnen. Blond, schlank, ehrgeizig - und mit religiösem Hintergrund. Was eine mögliche Karriere hier bedeutet, wird Kayla erst klar, als sie eines Tages im Büro von Roger Ailes landet, er sie bittet aufzustehen und ihr Kleid hochzuziehen. Und noch höher. Und noch höher. Die Szene ist erwartungsgemäß unangenehm, bleibt aber die einzige Szene, in der Roger Ailes eine Frau bedrängt. Und es genügt auch eine Szene, die in pars pro toto zeigt, was im Büro von Ailes an der Tagesordnung gestanden ist.

szenenbild "bombshell"

Constantin

„Bombshell“ dreht sich aber nicht nur um die sexuellen Übergriffe von Ailes und wie schließlich Carlson mit Anwälten gegen ihn vorgeht, sondern der Film fängt die Weltsicht von Fox News ein. Und da sitzt in kleinen Szenen und Beobachtungen der satirische Ton weitaus besser als bei der großen Erzählung, zu der „Bombshell“ ansetzt. Da ist z.B. die Paranoia von Roger Ailes, der annimmt, dass die Obama-Regierung ihn umbringen möchte, die Skepsis seiner Frau gegenüber allem, was ihr nicht geheuer vorkommt, wie Kapuzenpullover - „hoodies are creepy“ - oder Sushi („Sushi is not liberal food“, erklärt die Sushi essende Dame, nachdem Beth Ailes angeekelt auf deren Essen schaut).

Und dann ist da natürlich die Selbstverständlichkeit, mit der Sexismus auch on air verbreitet wird, in ein paar Szenen sieht man Kidman als Carlson sich winden angesichts der Dinge, die ihre beiden Co-Hosts zu ihr und über sie sagen. Die Darstellung des systemimmanenten Sexismus und der Rechtfertigungsversuche für Ailes’ Verhalten („Er hat diese Frauen on air gebracht, ihre Karriere ermöglicht und jetzt beschweren sie sich?“) gelingt „Bombshell“. Gegen Ende rafft sich der Film zu ein, zwei allzu Katharsis suchenden Szenen auf, die eigentlich nicht zum Rest passen und den Film auch konventioneller machen, als er sich zu Beginn gibt, weil einem der Film dann das Gefühl geben will, dass mit dem Rücktritt von Ailes das Problem gelöst wäre.

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