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Christian Baron

Hans Scherhaufer

Buch

„Ein Mann seiner Klasse“ war Christian Barons Vater

Der besoffene Vater schlägt Mutter und Kinder. Alltag in Christian Barons Kindheit in der Unterschicht zwischen Zigarettenrauch und Bierdunst. Durch viele Zufälle schaffte er den sozialen Aufstieg. In seinem autobiografischen Werk erinnert er sich.

Von Zita Bereuter

Kommen zwei Männer ausm Kasino. Der eine nackig, der andere in Unterbuxe.
Sagt der Nackte: „Ich bewundere dich. Du weißt immer, wann du aufhören musst.“

Der Witz ist nicht mehr so lustig, wenn der eigene Vater immer der Nackte ist. Immer derjenige, der nicht weiß, wann genug ist. Der meistens völlig betrunken ist und dann gewalttätig wird. Gegen die Kinder. Vor allem gegen die Mutter. Ein Vater, der als ungelernter Arbeiter als Möbelpacker schuftet. Einer, der auf die Sozialhilfeempfänger runterschaut und abschätzig über die Studierten, über die, die sich für was Besseres halten, lacht. Er ist ein Mann der Unterklasse, ein Mann seiner Klasse. So auch der Titel des Buches, das Christian Baron über seinen Vater und seine Kindheit geschrieben hat. Harter, eindringlicher, nachwirkender Stoff.

Christian Baron studierte Politikwissenschaft, Soziologie und Germanistik. Er arbeitet seit 2018 für die Wochenzeitung „Der Freitag“.

Im Vorjahr gab es dort zum internationalen Frauentag eine Schwerpunktausgabe mit dem Arbeitstitel „Männer schreiben kritisch über Männlichkeit“ – ein Redakteur sollte über das Verhältnis zu seinem Vater schreiben. Christian Baron wurde von zwei Kollegen darauf angesprochen, er habe doch mal erzählt, dass er in Armut aufwuchs und es nicht immer leicht war mit seinem Vater. Das tat er in dem Artikel „Ein Mann seiner Klasse“. Der kam sehr gut an – jetzt hat er das Buch dazu geschrieben.

Christian Baron wird 1985 in Kaiserslautern geboren. Ein Frühchen. Bereits im Mutterbauch wird er vom Vater geschlagen. Mit seinem älteren Bruder teilt er sich das Etagenbett. Die Kissen sind häufig von Tränen durchnässt. Etwa, wenn sie hören, wie der Vater den Kopf der Mutter gegen die Wand schlägt.

Der Vater arbeitet hart, das Geld langt dennoch nie für die sechsköpfige Familie – zwei Schwestern werden noch geboren. An Urlaub ist nicht zu denken, manchmal können sie sich nicht mal Essen leisten. Das ist eine Kindheit in Armut. Mitten in Deutschland. Eine Art Parallelwelt.

Nach außen allerdings dringt fast nichts. Denn Sozialhilfe beanspruchen sie nie – zu den Sozialfällen will man nicht gehören. Zu groß die Schande. Zu groß der Stolz. „Verlier niemals deinen Stolz“, lässt der Vater den Sohn versprechen. Echte körperliche Arbeit ist das, was zählt. Auf keinen Fall will man ein fauler „Schaffschuhversteckler“ werden. „Arbeit sei wichtig. Sie verhindere, dass aus uns Asoziale würden.“

Der Vater arbeitet als Möbelpacker hauptsächlich in dem US-Militär-Stützpunkt. Immer wieder bringt er Kleidungsstücke – seine typischen weißen Turnschuhe – oder diverse Dinge wie ein Kinderakkordeon, Glasfiguren oder einen Lerncomputer mit, die auf dubiose Weise „vom Laster gefallen“ sind.

Hinzu kommt Rassismus. Christian soll sich von Murat, einem seiner wenigen Freunde, fernhalten: „Solche Kameltreiber bringen dir nur Zores“, sagte mein Vater. „Die kommen her, kassieren Begrüßungsgeld, kaufen sich Markenklamotten oder was weiß ich was, das sich unsereins trotz Arbeit nicht erlauben kann. Und dann sind sie auch noch kriminell.“

Wirklich groß ist der Vater in dem Beisl „Schnorres“. So wie der Vater hier gegrüßt, geachtet und behandelt wird, ist er das klare Vorbild für den Erzähler.

Buch Cover

Claasen Verlag

Christian Baron: „Ein Mann seiner Klasse“ ist 2020 bei Claassen erschienen.

Die Mutter, die heimlich Gedichte schrieb, wird depressiv und stirbt mit nur Anfang 30. Nach ihrem Tod kommen die vier Kinder zu einer Schwester der Mutter, Tante Juli, eine leicht ruppige, aber durchaus patente und mutige Frau. In die Welt der bürgerlichen Kultur führt Christian schließlich eine andere Schwester der Mutter: Tante Ella. Diesen beiden Frauen hat es Christian Baron zu verdanken, dass er schließlich maturieren, also Abitur machen, und studieren konnte. Und so in die Schicht wechselte, die sein Vater nie leiden konnte.

„Es geht darum, wie es sich anfühlt, in einem so reichen Land in Armut aufzuwachsen. Von wie vielen Zufällen es abhängt, wenn man aus der Armut heraus in Deutschland Abitur machen oder sogar studieren will. Wie weh es tut, die eigene Herkunft verraten zu müssen und auch, was das Gefühl der Scham aus einem machen kann, wie sehr sie einen lähmen kann“, erklärt Christian Baron.

Es ist der Aufstieg des Sohnes, wie das ähnlich auch Didier Eribon oder Edouard Louis oder vielmehr noch deren Vorbild Annie Ernaux beschrieben haben. Es ist ein Einblick in eine Welt, die sich viele Privilegierte nicht mal vorstellen können. Ein dringend notwendiger Einblick allerdings.

„Ein Mann seiner Klasse“ ist weder ein Roman noch ein Sachbuch. Für Christian Baron ist es ein literarisches Werk, das die Erinnerungen einer ganzen Familie zusammenführt. So erzählt er nicht nur von seiner Kindheit, sondern springt auch immer wieder in die Gegenwart, in der er verschiedene Orte besucht und Familienmitglieder trifft.

Mehrmals sollen Songtexte einen Gegenpol zur Gewalt oder dem Elend darstellen. Etwa mit Queen, Cinderella oder der Kelly Family. Das sind die schwächeren Stellen im Buch.

Außerdem von Christian Baron erschienen: Proleten, Pöbel, Parasiten: Warum die Linken die Arbeiter verachten. Das Neue Berlin, 2016

„Unser Vater war ein Mann seiner Klasse. Ein Mann, der kaum eine Wahl hatte, weil er wegen seines gewalttätigen Vaters und einer ihn nicht auffangenden Gesellschaft zu dem werden musste, der er nun einmal war“, schreibt der studierte Soziologe Christian Baron. Dass es so sein „musste“, ist wohl ein vereinfachtes Denken des Sohnes, denn extreme Gewalt lässt sich nicht einfach so begründen.

„Mochte er auch gesoffen und geprügelt haben, ich wollte immer, dass er bleibt.“ Christian Baron versucht, auch die guten Seiten des Vaters zu zeigen. Viel Platz nehmen diese Stellen nicht ein. Ihm ist das aber wichtig. Denn letztlich ist dieses Buch auch eine Liebeserklärung an seinen Vater. Trotz allem.

Beide Eltern sind mittlerweile gestorben. Die Mutter wäre wohl vom Buch beeindruckt gewesen. Ob der Vater ihn gelobt hätte, bleibt fraglich. Stellvertretend kann man ihn zitieren: Christian Baron ist ein „Gutster“.

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