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The Strokes 2020

RCA/Sony

The Strokes live in Berlin

Mit neuen Stärken und neuen Schwächen. Nach über einem Jahrzehnt gastierten The Strokes erstmals wieder live in Berlin.

Von Christian Lehner

Intro

Im Jahr 1974 veröffentlichte der Manager des King of Rock’n’Roll das Album „Having Fun With Elvis“. Tom „Colonel“ Parker schob den Longplayer vorbei an RCA. Die Plattenfirma hatte zwar einen exklusiven Deal für die Musik seines Schützlings, der Clou war aber, dass auf „Having Fun With Elvis“ kein einziger Song zu finden war. Der Inhalt bestand aus Bühnenansagen und den berühmt-berüchtigten Jokes von Elvis.

Was ergebene Fans wohlmeinend als Humor betrachteten, war in Wahrheit ein weiterer Beleg für die Selbstzerstörung des einstigen Hüftschwungmeisters. Elvis wankte die letzten Jahre seiner Karriere als tablettensüchtiger Schatten seiner selbst über die mittelgroßen Bühnen der USA. Die Gürtelschnallen wurden immer größer, die Jumpsuits glichen zunehmend edelsteinbesetzen Alterswindeln.

In benebelten Bühnenansagen machte sich der Gefallene über seinen Untergang lustig. „Having Fun With Elvis“ gilt als das schlechteste Album des Rock’n’Roll. Es war trotzdem ein Verkaufsschlager. Elvis hasste es. Drei Jahre später war er tot.

Strokes 2020

RCA/Sony

The Strokes 2020

„Haste noch ne Karte?“ Bereits in der U6-Station „Platz der Luftbrücke“ bedrängen mich die ersten Unglücklichen. Das kurzfristig angekündigte Berlin-Konzert der Strokes war binnen Minuten ausverkauft. Es ist drei Stunden vor Beginn der Show und bereits jetzt bildet sich eine große Menschentraube vor der Columbiahalle.

Neues Album „The New Abnormal“ im April

Ich bin zu einer Pre-Listening-Session der Plattenfirma RCA eingeladen, die in einem kleinen Club gegenüber stattfindet. Diese Art des Journalistenköders erreichte ihren Höhepunkt in der Zeit der Album-Leaks und der Netzpiraterie Anfang bis Mitte der Nullerjahre. Niemand traute niemandem. Schon gar nicht Musikjournalist*innen. Die Drohungen, mit den Wasserzeichen auf den Files der verschickten Promo-CDs, die unerlaubte Weitergabe automatisch anzuzeigen, zog nicht wirklich. Also versammelten die Plattenfirmen in geheimbündlerischer Manier einen Haufen Journalist*innen und spielte ihnen ein neues Album vor. Wir Journos durften uns dann auch ein bisschen wichtiger fühlen, als wir tatsächlich waren.

Warum ich das erzähle? Weil die Nostalgie ein Bestandteil von The Strokes war, ist und immer bleiben wird. Und weil ihre Hochphase sich mit jener der Listening-Sessions deckt. Es war an diesem Abend ein passender Auftakt für das Konzert.

Wie das neue Album „The New Abnormal“ klingt, darf ich euch natürlich nicht verraten. Es liegt ein sogenanntes „Embargo“ darauf. Man verpflichtet sich, nichts Genaueres zu erzählen. Nur so viel: „The New Abnormal“ klingt unerwartet ambitioniert und das nicht nur, weil Starproduzent Rick Rubin die Aufnahmen überwachte. Sollten es The Strokes nach den eher verunglückten Versuchen der letzten zehn Jahre tatsächlich wieder ernst meinen?

Ausverkaufte Show in Berlin

Nach der Listening-Session ist vor dem Konzert. In all meinen Berlin-Jahren habe ich noch nie so viele Menschen vor der Columbiahalle gesehen. Noch am Montag vor der Show waren The Strokes Zaungäste der großen Politik. Sie traten in New Hampshire bei einer Rally des demokratischen US-Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders auf. Dort präsentierten sie das Video zu ihrem neuen Song und Albumvorboten „At The Door“. Auch am Abend des Berlin-Konzertes strecken einige wartende Besucher ein „Bernie“-Schild in den Nachthimmel.

„At The Door“ schraubt sich entlang eines leiernden Synthesizers in luftige Höhen um am Ende zu erschlaffen. Schlagzeuger Fabrizio Moretti bleibt das gesamte Stück über arbeitslos und dennoch stellt sich aufgrund des nachdrücklich mäandernden Verlierer-Croonens von Casablancas und der sich umkreisenden Melodieläufe nach und nach wieder etwas von dem alten, euphorisch durchhängendem The-Strokes-Feeling ein.

The Strokes bei einem Konzert für Bernie Sanders an der Universität von New Hampshire am 10. Februar

APA/AFP/Joseph Prezioso

The Strokes bei einem Wahlkampfauftritt von Bernie Sanders

“Hallo, wir sind Gurr aus Berlin! Wir haben gestern erfahren, dass wir heute The Strokes unterstützen sollen. Wir haben sogar einen Stroke beim Essen gesehen. Ich glaube, es war Albert.” Gurr reißen einen großartigen Opening-Act herunter. Pippi Langstrumpf im Punk-Rock-Modus. Dabei bleibt der Sound glasklar, schneidend und souverän. Die Fans der Strokes sind beeindruckt. Gurr-Sängerin Laura Lee lässt sich abschließend von ihnen auf Händen tragen. Noch wird artig geklatscht. Noch fliegt kein Becher.

Der Totentanz des Rock’n’Roll

Im Anschluss an das Konzert seiner Band wird Julian Casablancas im Backstage bei einem der „handverlesenen Interviews“ (Sony-Promoterin) in sehr wenigen Sätzen sagen, dass er sich zunehmend für Politik interessiere und dass er schon eine Weile die Hand von Drogen und Alkohol lasse.

Es ist völlig egal, ob er das nun ernst meinte oder nicht. Denn vom ersten Ton der Show an ist klar, dass der Frontmann der Strokes „drauf“ ist. Ob die besoffenen und kaum verständlichen Bühnenansagen, das Herumgespucke (häufig in Richtung Drummer, auch schon mal in Richtung Publikum) und der Dauerzoff mit dem Mikrofon, das bei jedem zweiten Stück donnernd auf den Boden krachte, ob all diese Bühnenkapriolen tatsächlich toxischen Ursprungs sind oder bloß inszenierte Flirts mit dem zerstörerischen Mythos des Rock’n’Roll oder live zu therapierende Psychosen, das alles ist egal, denn es läuft auf ein und dieselbe Haltung hinaus.

Julian Casablancas teilt der Welt an diesem Abend mit, dass er fertig ist mit ihr, dass er – trotz der guten Absichten und möglicherweise auch der guten Verträge – gar keine Lust mehr auf den ganzen Rock’n’Roll-Zirkus hat. Und vielleicht weiß er auch, dass diese Welt mittlerweile eine andere geworden ist und auch ganz gut ohne The Strokes auskommt.

Mit dem charmanten Ennui und den scheinbar lustlosen Shows der frühen Tage hat das nichts mehr zu tun. Damals, Anfang der Nullerjahre, waren The Strokes die Rich Kids on the Block. Sie befreiten einerseits mit ihrem Rückgriff auf den Garagen-Rock der 60er- und 70er-Jahre die Popwelt vom Grauen des Limp-Bizkit-Crossovers und der Nu-Metal-Esoterik und leiteten die Retromanie im Pop ein. Und sie taten andererseits den alten Punk-Veteranen nicht den Gefallen, sich live auf der Bühne in Glasscherben zu wälzen. Das war sympathisch bis mitreißend und ein Signal, dass Rockmusik trotz alter Sounds und Lederjacken nicht zwingend im Gestern feststecken muss.

Christoph Sepin über „At The Door“, dem ersten Song des neuen Albums von The Strokes, das im April erscheint.

Was Julian Casablancas 2020 auf einer Bühne aufführt, ist so ziemlich das Gegenteil von diesem Ansatz. Er erzählt sehr schlechte Witze, schlimmer, er gibt auf der Bühne den sterbenden Rockgott wie einst Jim Morrison in seiner Whisky-Phase. Nur fehlen heute für diese Grenzüberschreitungen die gesellschaftlichen Echoräume. Die ausgehöhlten Boomer-Posen stehen Casablancas gar nicht gut. Das zeigt sich auch im Verhalten des Publikums. Das ignoriert an diesem Abend hartnäckig die Sabotage-Versuche auf der Bühne und feiert seine eigene The-Strokes-Party.

The Strokes - Cover - The New Abnormal

RCA/Sony

„The New Abnormal“, das neue Album von The Strokes, erscheint am 10. April auf RCA/Sony. Das Cover-Bild stammt von Jean-Michel Basquiat.

Während also Casablancas im Laufe des Abends immer erratischer agiert, immer wieder hinter der Bühne verschwindet, den Sound seiner Band durch seine Mikrofon-Attacken nach und nach zu Brei schlägt und über die Bühne wankt, moshen die Fans völlig unbeindruckt zu den alten Hits.

Auch der lallenden Bitte, jemand im Publikum möge ihm doch bitte ordentlich die Fresse polieren, kommt niemand nach. Die Securitys haben trotzdem alle Hände voll zu tun. Sie müssen immer mehr Crowdsurfer und Eingequetschte aus der schwitzenden Masse ziehen. In Richtung Bühne setzt ein Plastikbecherregen ein.

Der Rest der Strokes zieht das Set (viele Hits, entgegen der Ankündigung wenig Neues) beherzt, aber zurückhaltend durch. Kaum einer der vier bewegt sich. Immer wieder bange Blicke in Richtung Sänger. Als es Albert Hammond Jr. zu bunt wird, flüchtet er für einige Songs hoch zum Schlagzeug von Fabrizio Moretti. Nick Valensi (zweite Gitarre) und Nikolai Fraiture (Bass) stehen gut abgesichert am anderen Ende der Bühne. Als Casablancas einmal doch Fraiture erwischt, muss der zur Strafe irgendetwas auf Deutsch sagen. Von Julian erfahren wir dann noch, dass sein deutsches Lieblingswort „Sitzfleisch“ ist. Er selbst gönnt sich kleine Pausen am Rande der Bühne. Dort hockt er dann herum oder klettert auf die Verstärkertürme.

Einmal steigt Casablancas hinab zu den Fans, verteilt dort Schweißperlen wie einst Elvis und lässt sich zu einem halbgelungenen Bad in der Menge einladen.

Zum Klassiker verurteilt

Ähnlich wie Nirvana werden The Strokes von der Rockgeschichte längst als Klassiker gehandelt. Bei den Strokes hat dieser Prozess allerdings viel zu früh eingesetzt. Dass die fünf aus New York mittlerweile jenseits der Gegenwart agieren, spiegelt sich bei der Show im Publikum wider.

Dort ringen sich zwar auch einige leicht angegraute Indie-Rock-Veteranen um Luft, aber der Großteil dieses immer gefährlicher brodelnden Hexenkessels setzt sich aus jungen Fans zusammen, die beim Erscheinen des Strokes-Debüts „Is This It“ (2001) noch im Ramones-Strampler herumgekrabbelt sein dürften. Es ist schwer zu sagen, ob diese Generation überhaupt an einer frischen Regung dieser Band interessiert ist.

Vielleicht ist genau das das Problem. Vielleicht hat Casablancas erkannt, dass nach all den lustlosen Jahren die Ambition zu spät kommt, doch noch einmal aus dem eigenen Schatten zu treten und endlich die frühen Versprechen einzulösen. An diesem Abend wirkt er jedenfalls viel älter als sein politisches Idol Bernie Sanders. Vielleicht ist er es auch längst.

War das The-Strokes-Konzert in Berlin also ein Reinfall? Ich kann euch das leider nicht eindeutig beantworten, denn es war so ziemlich das verrückteste, intensivste, lächerlichste, genialste, peinlichste, schlechteste und beste Konzert, das ich seit Ewigkeiten gesehen habe. Ich hoffe nur, dass es alle Beteiligten halbwegs gut überstanden haben und dass niemals ein Album namens „Having Fun With Casablancas“ erscheinen wird.

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