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„Brot“ blickt in Europas Backstuben

Einerseits boomen Biobäckereien. Andererseits dominiert billiges Industriebrot die Welt. Der österreichische Dokumentarfilmer Harald Friedl erzählt von der Gegenwart und Zukunft des wichtigsten Grundnahrungsmittel.

Von Christian Fuchs

Entschuldigung, aber ich muss zum Einstieg ganz persönlich werden. Gehörte doch zu den schönsten Aspekten meiner Kindheit der morgendliche Geruch von frischem Brot und Gebäck. Wenn ich mit verschlafenem Blick aus meinem Zimmer spazierte, war der ganze Gang in unserem Haus von diesem traumhaften Aroma erfüllt. Schließlich herrschte um 7h früh längst Hochbetrieb in der elterlichen Bäckerei.

Viel später wurde mir klar, dass es dringliche Lebensumstände waren, die meinen Vater quasi zu dieser Art von Arbeit gezwungen hatten. Im Körper des steirischen Provinz-Bäckermeisters steckte ein verkappter Künstler. Lieber wäre er Fotograf oder Maler geworden, als einen bodenständigen Handwerksbetrieb zu leiten.

Die kreative Leidenschaft meines Vaters äußerte sich aber durchaus auch in seinem Brotberuf. Nicht nur die originellen Auslagedekorationen hoben unser Geschäft von der Kleinstadt-Konkurrenz ab. Auch manche Backwaren selbst steckten voller Ambition. Es gab auch Vollkorn-Schrotbrote, bevor der allgemeine Trend einsetzte. Gegen Ende hin, als der kleine Familienbetrieb dann zusperrte, würdigten aber zuwenige Kunden den Mehraufwand, klagte mein Vater. Die Mehrheit stürzte sich auf das billigere Brot und die Maschinensemmeln in den Supermärkten.

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Bäckerei-Biotope aller Größenordnungen

Es ist dieser autobiografische Bezug, der mich die Doku „Brot“ mit einem speziellen Blick ansehen lässt. Die wirtschaftliche Auseinandersetzung, von der Regisseur Harald Friedl erzählt, zwischen engagierten Kleinbäckereien und der Fließbandproduktion, kenne ich eben aus erster Hand. Und ich erinnere mich, dass auch mein Vater nicht auf industrielle Backmischungen ganz verzichten wollte, ein Thema, dass der Film aufgreift.

In erster Linie mag ich aber schon einmal den simplen Titel des Films. Weil für mich, sorry an alle Low-Carb-Fanatiker, Brot mehr als ein Grundnahrungsmittel ist. Vielleicht ist es dieser Bäckereigeruch, mit dem ich aufgewachsen bin, aber schmackhaftes, gehaltvolles und dunkles Brot zähle ich zu den alleressentiellsten Dingen. Es ist die relativ hohe Brotqualität und Vielfalt, die zu den besten Facetten Österreichs gehört, neben der Landschaft, den Gebäuden und dem funktionierenden Sozialsystem.

Für Harald Friedl ist seine Liebe zum guten Brot der Ausgangspunkt für eine Reise durch Europa, die ihn in verschiedenste Bäckerei-Biotope aller Größenordnungen führt. „Ein komplexes Gemenge an Fragestellungen und sinnlichen Erfahrungen zog mich tief in das Thema hinein“, sagt der Regisseur. „Dieser Film über Brot musste an mehrere Konfliktlinien unserer Kultur stoßen. Denn häufig gestellten Fragen nach der Gesundheit von Brot im Dickicht der Verharmlosung von Zusatzstoffen und reißerischen Ansagen zu beantworten, war packend und nicht immer einfach.“

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Old-School-Brotkultur vs. Lebensmittelkonzerne

Harald Friedl spricht mit Bäckerinnen und Bäckern aus verschiedenen Ländern, zeigt ihre Arbeitsumfelder, nimmt ihr konträren Back-Philosophien ernst. Dabei könnten die Gegensätze wirklich nicht größer sein. Der Sprecher eines belgischen Lebensmittelkonzerns schwärmt für seine chemischen Zusätze, für Enzyme, die qualitative Steigerungen punkto Konsistenz, Aussehen und Haltbarkeit ermöglichen. Und er hält, gar nicht so unschlüssig, ein Plädoyer für die Demokratisierung sämtlicher Teigerzeugnisse.

Auf der anderen Seite stehen Biobäckereien in Frankreich und Österreich, die der Film porträtiert. Eine junge Pariserin, die den Betrieb von ihren verstorbenen Eltern übernommen hat, beschwört die Old-School-Brotkultur. Ein Familienbetrieb in heimischen Weinviertel wehrt sich sympathisch gegen den Billigdruck der Handelsketten. Und zwar erfolgreich, auch wenn sich das hochwertige Brot eher Mitglieder der bürgerlichen Mittelschicht leisten.

Harald Friedl: „Recherchen und Dreharbeiten haben mir die Augen für die Zusammenhänge von Arbeit und Ökologie, Geschmack und Gesundheit, Konsum und Politik geöffnet. Ich habe erfahren, wie sehr es auf die Bauern und ihr Getreide ankommt, auf die persönliche Einstellung der Bäcker*innen zu Arbeit, auf ihr Zeitgefühl, auf ihre Haltung dem Geschäft und der Natur gegenüber.“

Bedächtige Machart, politische Botschaft

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Der Film „Brot“, das muss man an dieser Stelle auch sagen, ist keine knallige Doku, die ständig den warnenden Zeigefinger schwingt. Bedächtig inszeniert, schön gefilmt und ganz ohne Statements des Regisseurs wirkt die Machart fast angenehm altmodisch.

Aber die Zurückhaltung des Films bewegt einen als Zuseher nicht nur zu eigenen Urteilen und Schlussfolgerungen. Sie passt auch zur Slow-Food-Bewegung, die sich gegen das artifiziell angehauchte Industriebrot stellt. Damit der liebevoll gebackene, hochwertige und gesunde Laib auch für die Mehrheit leistbar wird, müssen etwa auf EU-Ebene Entscheidungen getroffen werden. In diesem Sinne ist „Brot“ auch dezitiert politisch. Mein Vater, bin ich mir sicher, hätte den Film von Harald Friedl gemocht - und danach sofort in ein Butterbrot gebissen.

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