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FM4 Im Viertel: Lou Asril in Seitenstetten

Florian Wörgötter

FM4 Im Viertel

Weltberühmt in Seitenstetten

FM4 Im Viertel #12: R&B-Shootingstar Lou Asril führt durch seine Jugendjahre in Seitenstetten im Mostviertel. Der 19-jährige FM4 Award Nominee trifft alte Bekannte im Wirtshaus, spricht erstmals offen über sein Coming-out im Dorfleben und was von seiner katholischen Erziehung im Stift Seitenstetten geblieben ist. 

Von Florian Wörgötter

Lou Asril nimmt den ihn vermummenden Schal vom Mund und zieht ein Goldkettchen aus seinem Kapuzen-Kragen: Die Ziffern 3353 – die Postleitzahl von Seitenstetten – blinken fragil im Wind. Vom großen Ghetto-Gold-Gepose ist der bescheidene Lou Asril nicht nur in Sachen Kettendurchmesser meilenweit entfernt.

Dem gerade einmal 19-jährigen R&B-Gesangstalent wird eine große Karriere vorhergesagt, obwohl erst vier seiner Songs das Licht der Öffentlichkeit erblickt haben. Doch zu Recht ist „Österreichs nächster Pop-Superstar" (The Gap) auch für einen FM4 Award bei den Amadeus Austrian Music Awards nominiert. Sein Sechs-Track-Album „Louasril“ (Ink) erscheint am 13. März. Zeit für einen Besuch.

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FM4 Im Viertel: Eine Reportagereihe

In der Radioreihe FM4 Im Viertel spaziert Florian Wörgötter mit österreichischen Musiker*innen durch ihr Wohnviertel. Beim Flanieren durch spannende Gegenden erfahren wir, wie die Künstler*innen leben, wie ihr Grätzl klingt und wie sich dieser Sound in ihrer Musik wiederfindet.

From Seitenstetten to Hollywood

„Unsere Berühmtheit!“ wird Lou Asril wohlwollend von alten Bekannten auf den Straßen von Seitenstetten begrüßt. Hier im 3.500-Seelen-Dörfchen, zwanzig Zugminuten entfernt von Amstetten, hat er seine Jugendjahre verbracht. Vor dem Gemeindeamt informiert jeder Verein seine Mitglieder im eigenen Fenster – die Schuhplattler, die Briefmarkensammler, die Siedler und der größte Club im Dorfe: die ÖVP.

Die Online-News sind von Headlines bestimmt wie „Der Kirchturm muss renoviert werden“, „Geistheiler heilt durch Geisteskraft“ oder „Wahlplakat des Unabhängigen Bauernbundes umgesägt“. „G’miadlich, aber fad“, bezeichnet Lou Asril das Leben hier in Seitenstetten. Doch die Leute hier seien „open-minded“ und freuen sich, wenn Menschen herziehen. Die Bevölkerungszahl laut Statistik: steigend.

Seitenstetten klingt wie ein Steady-Technobeat mit Bach-Präludium, darüber HipHop-Vocals mit Mostviertler-Jodler.

Wenn Lou Asril an seine Jugend zurückdenkt, erinnert er sich ans Chillen am Bach, ans Saufen beim Feuerwehrfest, ans Kotzen vor der Sparkasse. Doch Lou war nicht dauernd auf Achse in der Dorfdisco „Klausur“. „Ich war viel allein, und das hat mir auch gutgetan, denn so konnte ich mich auf meinen Kopf konzentrieren, was ich am Klavier und beim Singen verarbeitet habe.“ Hier sind auch die meisten Songs entstanden, mit denen er heute arbeitet.

Das Zuhause des Lächelns

Die 200 Kilometer lange „Moststraße“ kurvt durch das Zentrum von Seitenstetten. An ihren Rändern reihen sich ein Fleischhacker, die (Mini-)Shopping City Seitenstetten („SCS“), Lous alter Wohnblock und der „Mostviertlerwirt Ott“, wo er in seiner Schulzeit gekellnert hat. Der Speiseplan verrät, hier werden Legenden schon zu Lebzeiten gewürdigt, indem man ihnen ein Gericht widmet, wie dem Gemeindepfarrer sein „Pater-Franz-Pfandl“. Also dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis auch die „Vegane Lou Asril Açaí Bowl“ aufgetischt wird.

FM4 Im Viertel: Lou Asril in Seitenstetten

Florian Wörgötter

„Wir sind ja so stolz auf dich!“, kreischen zwei Generationen von Wirtinnen, deren Schmäh auch am Aschermittwoch kein Fasten kennt. „Ich hab schon immer gewusst, dass der Luggi mit dieser geilen Stimme berühmt werden wird“, meint die eine. „Er hat einen so besonderen Charme, er könnte einer Dame den Eiskaffee über ihr weißes Kostüm schütten und die würde nur sagen: Alles gut, junger Mann, Hauptsache, Sie sind da“, meint die andere. „Unsere Praktikantinnen waren alle in ihn verliebt. Seine Augen leuchten immer, wenn er junge, hübsche Damen sieht – so wie uns.“ Gelächter. Lou Asril schweigt mit verlegenem Grinser.

Coming-out im Dorfkaff

Lou Asril beantwortet Interviewfragen am liebsten knapp. Doch zehn Minuten später erzählt er überraschend offen von seiner Homosexualität. Wie „der sensible Kleine mit schulterlangem Haar“ seiner besten Freundin erstmals anvertraute, dass er bisexuell sei, nach mehrfachem Herumprobieren die Praktikantinnen aber doch lieber weglässt. Wie erste sexuelle Kontakte ihm zeigten, dass Männlichkeit auch bedeutet, sich nicht vor anderen Männern zu fürchten. Und obwohl er sich in seinem Körper wohlfühlt, verleiht ihm eine starke weibliche Energie das nötige Durchhaltevermögen.

FM4 Im Viertel: Lou Asril in Seitenstetten

Florian Wörgötter

Seine Freunde in Seitenstetten und seine Familie seien immer hinter ihm gestanden, weshalb er auch keine Angst davor hatte, seine Homosexualität im Dorfleben nach außen zu kehren. „Ich habe die Homosexualität zu einem Teil von mir gemacht, weil sie ein Teil von mir ist“, beschreibt Lou eine heute so logische Tatsache, deren Klarheit sich ein Pubertierender am Land allerdings erst erarbeiten muss. In seinen Lyrics schreibt Lou über Empowerment und sexuelle Freiheit, doch als Gleichheits-Botschafter möchte er deswegen nicht öffentlich auftreten. Seine Meinung verbreitet er lieber über die Musik.

Ora et labora (et chill)

Dem Himmel ein Stück näher thront auf einem Hügel das Stift Seitenstetten. Im „Vierkanter Gottes“ leben 28 Benediktinermönche im Kloster, in der Stiftskirche flattern die goldenen Engel über den Altar und im humanistischen Stiftsgymnasium strebern die Schüler Latein. Dass Lou Asril die ersten vier Jahre hier im katholischen Gymnasium verbrachte, hat den pragmatischen Grund, dass es das nächste Gymnasium in der Gegend war. „Wir haben hier zwar gebetet – in Englisch auf Englisch, in Latein auf Latein –, sonst aber war die katholische Erziehung außerhalb des Religionsunterrichtes eher zurückhaltend.“ Sein Fünfer in Latein hat ihm den Aufstieg in die Oberstufe verwehrt, weshalb er im Musik-Borg in Linz maturierte. Dieser Umzug habe auch seinen Horizont erweitert, meint er heute.

FM4 Im Viertel: Lou Asril in Seitenstetten

Florian Wörgötter

Seine Beziehung zur katholischen Kirche beschreibt Lou Asril ähnlich wie jene zur Politik – beides Systeme, von denen er sich nicht vertreten fühlt, weil er sich lieber selbst vertritt. „Den direkten Anschluss zum Glauben solltest du in dir selbst finden und dich nicht auf die Kirche verlassen müssen.“ Woran er glaubt? „Ich glaube an mich selbst, das reicht.“ Katholische Rituale wie Taufe, Erstkommunion und Firmung habe er – wie alle hier im Dorf – einfach mitgemacht, den Glauben aber nie so ernst genommen, dass er sich von ihm lossagen müsste. Obwohl ihm der Gedanke einer posthumen Zugabe im ewigen Himmel doch gefällt.

Represent, represent

Beim Zivildienst im Altersheim hat Lou den Tod aus nächster Nähe erlebt: Er bringt auf seine lockere Art eine alte Dame zum Lachen. Sie sagt ihm darauf, wie gut ihr das getan hat, schließt die Augen und stirbt vor ihm. „Das war oag, aber auch schön, dass ich dabei sein durfte.“ Wie solche Erlebnisse seine Sicht auf sein noch junges Leben verändern? „Der Tod kann jederzeit passieren. Deshalb versuche ich, jede Minute bei mir zu sein und das zu tun, was ich machen will“, sagt er. „Daher verschwende ich auch keine Zeit, zu überlegen, warum die katholische Kirche keine Homosexualität akzeptiert, wenn ich sie selbst mit meiner Musik vertreten kann. Daher ist die Musik, wie ich sie mache, auch so wichtig für mich.“ Die Kirchenglocken läuten zustimmend.

FM4 Im Viertel: Lou Asril in Seitenstetten

Florian Wörgötter

Der Schlussakkord: Wäre Seitenstetten ein Musikstück, wie würde es klingen? „Ein Steady-Technobeat, darüber ein Bach-Präludium, HipHop-Vocals und als Adlibs ein Mostviertler-Jodler.“

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