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Dietmar Hopp und Karl-Heinz Rummenigge applaudieren im Regen

APA/AFP/Daniel ROLAND

Blumenaus 20er-Journal

Schutzzone für Silberrücken

Warum die deutschen Verantwortlichen nicht etwa bei Rassismus, Homophobie oder Neonazi-Sprüchen auf dem Fußball-Platz mit Strafen reagieren, sondern erst dann, wenn ein mächtiger alter weißer Mann beleidigt wurde.

Von Martin Blumenau

Ich war einmal, ist schon Jahre her, mit einer sehr fußballfernen Freundin aus der Theater-Branche bei einem Match im Stadion. Sie hat kein einziges Mal auf das Spiel geachtet, sondern ununterbrochen die Interaktion der Fans beobachtet und kommentiert; und nachher gemeint, dass sie schon lange kein besseres Stück mehr gesehen hat.

Spätestens da wusste ich: Live-Fußball ist Theater, und zwar Partizipations-Theater im klassischen und auch modernen Sinn. Auf den Rängen und an den Seitenlinien geht es in diesem Meta-Diskurs rund um ein sportliches Spiel auf dem Rasen um Überhöhungen, Zuspitzungen, Übertreibung und andere kathartische Rituale. Wie im Theater geht man die informelle Vereinbarung ein, dass niemandes Leib und Leben gefährdet ist und dass niemand das gemeinsame Hochamt für niedere populistische Zwecke missbraucht oder die Menschenrechte außer Kraft gesetzt werden - nassgespritzt, eingenebelt oder beleidigt zu werden ist aber Teil dieser Übereinkunft.
Und genauso wie im Theater bleibt es an den Ort des Geschehens gebunden. In einem funktionierenden Miteinander enden Beleidigungen, Fanatismus und andere Entrücktheiten am Ausgang - von Verlagerungen in Außenstellen wie dem Fan-Beisl oder der Hooligan-Blutwiese abgesehen.

Das funktioniert manchmal besser und manchmal schlechter, vor allem wenn die Grenzen verwischt werden und die Raserei sich auch nach draußen fortsetzt und in Ultras-Bedrohungen von Andersmeinenden münden; oder wenn einzelne Spieler von den Fan-Blocks rassistisch beleidigt werden, wie es in Deutschland zuletzt mehrfach passierte, oder eine Gedenkminute (für die Opfer des rechtsextremen Terrors in Hanau) in Frankfurt (einem als antifaschistisch bekannten Terrain) von Salzburger Fans (dass der Haussender von Red Bull eine offen FPÖ/AfD-freundliche Linie fährt, ist sicher nur Zufall) mit einem doppeldeutigen „Gebt’s Gas“ (der Refrain aus Landbauers Liederbuch lässt grüßen) gestört wurde.

All diese Auswüchse werden im Rahmen der Möglichkeiten bekämpft - alle angesprochenen Beispiele zusammen zogen allerdings nicht den öffentlichen uproar vom Wochenende, beim Spiel von Bayern München bei der TSG Hoffenheim nach sich: Auf zwei Transparenten des Auswärtsteams (also der Bayern-Ultras) wurden dort der DFB sowie der Hoffenheim-Mäzen Dietmar Hopp als Lügner bzw. Hurensohn beschimpft. Später tauchte noch ein weiterer Hurensohn-Schriftzug auf, außerdem war Hopps Portrait in einem Fadenkreuz zu sehen.

Das Match wurde zweimal unterbrochen, die letzten Minuten spielten die beiden Teams einander (Solidarität demonstrierend) die Bälle nur noch zu, um so ihre Unzufriedenheit mit den Äußerungen dieses Zuschauer-Teils zu manifestieren. Der Bayern-Boss solidarisierte sich in Wort und Tat mit Hopp; die Empörung allenthalben ist riesengroß, viele fordern nachträglich einen Abbruch, eine Strafverifizierung, in jedem Fall drakonische Maßnahmen gegen die Verantwortlichen. Das alles nicht nur im emotionalen Umfeld des Matches, sondern auch mit ein wenig Abstand und im Wissen um die Hintergründe dieser Proteste. Und natürlich auch im Wissen um die informelle Freiheit, die die Theater-Bühne Fußball-Stadion seit jeher (ich hätte fast ‚seit Shakespeares Zeiten‘ gesagt) bietet.

Was zuvor, bei den rassistischen Schmähungen oder bei den Nazi-Umtrieben, allenfalls betroffene Sonntags-Reden und besorgte Medien-Berichte zeitigte, wird im aktuellen Fall Hopp wohl zu einer Verschärfung der Spielabbruchs-Regel und zu einer Eiszeit zwischen Liga und Fans, also Kommerz und Ultra-Kultur führen.

Warum wird hier mit zweierlei Maß gemessen? Warum ist die Befindlichkeit eines Milliardärs mehr wert als die von Jonathan Torunarigha? Weil weder ethische noch moralische noch politische Maßstäbe zählen, sondern ausschließlich ökonomische. Weil es sich niemand, auch nicht der DFB oder die Bayern, die reichsten Sport-Pfeffersäcke im Nachbarland mit den Mächtigen verscherzen will. Und so bekommt der Silberrücken seine Schutzzone.

Um mich nicht falsch zu verstehen: Dietmar Hopp ist letztlich der falsche Adressat für den Protest, der ihn persönlich schmäht. Hopp ist milliardenschwerer Software-Unternehmer, Philanthrop, gilt als Positiv-Beispiel eines Mäzens, der nachhaltige Strukturen schafft, und ist vor allem kein Disruptor wie andere drängelnde Geldgeber/Investoren hinter Traditionsvereinen, die durchaus zurecht ein Feindbild von Ultras und anderen Fans sind, weil sie die noch geltende 50+1-Regel, dass solche Financiers nicht die Mehrheit an einem Verein halten dürfen, untergraben. Weil Hopp aber mehr Gesicht und auch mehr Empathie zeigt als etwa Dietrich Mateschitz, der Pate von RB Leipzig, weil also klar ist, dass er leichter aus der Reserve zu locken ist als der Fuschler, ist er viel eher Zielscheibe.

Das ist mies, aber - um einen österreichischen Kanzler zu zitieren - das muss man aushalten, wenn man so in der Öffentlichkeit steht. Renate Künast etwa muss den Begriff „Drecksvotze“ aushalten, also wird sich Hopp dem „Hurensohn“ stellen müssen; und genauso ins Fadenkreuz zu kommen wie der zu Beginn jedes Tatorts gejagte Verbrecher, muss genauso drin sein. Keine Frage: All diese Beschimpfungen sind eigentlich überflüssig und grauslich - sie sind aber Teil eines Kulturkampfes, den der Verband verursacht hat: Nach einer mit Fan-Vertretern hart verhandelten Übereinkunft hatte der DFB garantiert keine Kollektiv-Strafen mehr zu verhängen (weil diese immer Unschuldige treffen) und die konkrete Ausforschung von Übeltätern zu forcieren. Und da passierte kürzlich ein Wortbruch, wurden alle Dortmund-Fans und nicht nur die an den auch da erfolgten Hopp-Schmähungen Schuldigen mitbestraft.

Auf diesen Wortbruch, diesen medial untergegangenen Untergriff der Fußball-Bestimmer den Fußball-Stimmungsmachern gegenüber, wollte die neuerliche Aktion hinweisen. Zitat der Ultras: „Man muss den Wortlaut nicht gutheißen, aber es gab für uns hierzu keine Alternative, da nur so das Thema die nötige Aufmerksamkeit erhält.“

Genau das passiert aber nun nicht. Und zwar durchaus bewusst unter Ausnutzung eines leidenden, älteren Herrn, der opamäßig räselt, was die Fans denn von ihm wollen. Das und die üblichen Rufe nach Konsequenzen gegen Chaoten, in aller Härte etc.

Den Gesamtüberblick wahren nur einzelne wie die 11freunde und der in ihrem Text zitierte Max Eberl. Wohl auch, weil es nicht um echte Lösungen, sondern um ein Los von organisierten Fan-Gruppen mit zu viel Macht, unkontrollierbaren Choreografien und Stimmungslagen hin zum corporate design der großen Vereine und Ligen nach dem Vorbild von England oder Spanien geht. Der bewusst überinterpretierte Hopp-Eklat ist da Mittel zum Zweck.

Das ist so billig inszeniert, dass es innerhalb von wenigen Stunden auch den Rapid-Fans klar war, die eine deutliche Botschaft an ÖFB und Liga richteten. Und interessanterweise wurde auch hierzulande nur über das drastische wording des Textes, nicht aber über seine Hintergründe gesprochen.

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