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Szenenbild "Freud"

ORF/Satel Film/Bavaria Fiction/ Jan Hromadko

Die Serie „Freud“: Hypnose und Neurose

Der junge Feschak Sigmund Freud auf der Suche nach einem Mörder und Anerkennung für seine neuen Methoden. Marvin Kren inszeniert mit der Serie „Freud“ eine herausragende Mischung aus „murder mystery“ und Sittenbild.

Von Pia Reiser

Bevor wir noch etwas sehen können, können wir schon etwas hören. Das gilt nicht nur für Babys im Bauch der Mutter, sondern auch für die Serie „Freud“. Seht ihr, ein Satz nur, und schon ist im Text zu einer Serie über den Vater der Psychoanalyse die Mutter im Spiel. So gut ist diese Serie.

Die ORF- und Netflix-Koproduktion „Freud“ begibt sich in die Dunkelheit, die Düsternis, und so ist es nur konsequent, dass zu Beginn der Bildschirm schwarz ist und nur eine Stimme zu hören ist. Eine Stimme, die warm ist und doch potenzielle Abgründe beherbergt, eine Stimme mit diesem herrlich leicht gerollten R, aber nicht in Juchheirassassa-Manier wie etwa bei „Sissi“, sondern bedächtiger. Irgendwo zwischen Xaver Hutter und Oskar Werner liegt diese Stimme, und so bin ich schon Schriftführerin im „Freud“-Fanclub, bevor ich noch ein Bild davon gesehen hab.

Szenenbild "Freud"

ORF/Satel Film/Bavaria Fiction/ Jan Hromadko

Sie hören meine Stimme, sagt Robert Finster als Sigmund Freud, Sie sehen das Pendel. Nur meine Stimme und das Pendel. Und dann kriegen wir doch was zu sehen: eine Taschenuhr, die wie ein Pendel von einer Hand hin und her bewegt wird und - Brigitte Kren, die Mutter von „Freud“-Showrunner und Regisseur Marvin Kren. Sie spielt Leonore, die Zugehfrau von Freud und in diesem Moment gerade seine Komplizin. Denn Freud, der hier das Pendel schwingt, beherrscht die Hypnose noch gar nicht. Dennoch ist er überzeugt von der Methode als Schlüssel zum Unterbewusstsein, und so übt er mit Leonore. Später auf der Universität will er sie, eine Frau, die vor Jahren ihre Stimme verloren hat und die sie - dank seiner Hypnose und der Benennung ihres Traumas - dann wiederfinden wird, vorstellen. Freud also ein Schwindler?

Am Mittwoch, 19.01 Uhr, gibt es in der FM4 Homebase ein Interview mit „Freud“-Regisseur Marvin Kren zu hören - und Kren war auch zu Gast für eine neue Episode des FM4 Film Podcast, die ab 13. März verfügbar sein wird.

Murder mystery und Zeitgeistporträt

Exzellenter könnte man das Einstiegsszenario in die Serie kaum gestalten. Eine Figur, so allerweltsbekannt wie Freud, nehmen, doch von ihr erzählen, bevor sie diese bekannte und verehrte Figur wurde. „Freud“ nimmt Freud vom Sockel herunter und führt ihn als einen Mann ein, der auch vor einer Showeinlage nicht zurückschreckt, um die Sturköpfe - und Antisemiten - an der Medizinischen Universität von der Methode der Hypnose zu überzeugen. Ein Strauchelnder, ein Suchender ist dieser junge Mann.

Dass „Freud“ kein Biopic in Serienform ist, kein Nachspielen des Werdegangs des einflussreichen Arztes und Denkers, ist allen klar, die die bisherigen Werke von Kren (u. a. „Rammbock“, „Blutgletscher“, „4Blocks“) oder den Trailer zu „Freud“ gesehen haben. Wer ohne Vorwissen in die Serie einsteigt, wird das aber auch schnell merken, spätestens dann, wenn brutale Morde stattfinden oder wir uns - in Begleitung von Freud und Schnitzler - auf einer Seance einfinden.

Szenenbild "Freud"

ORF/Satel Film/Bavaria Fiction/ Jan Hromadko

„Freud“ wird zum opulenten Stadt- und Sittenporträt - ohne jemals die Freuden des Genrekino-Zugangs aus den Augen zu verlieren. Und da hier Träume und Visionen eine erhebliche Rolle spielen, kann Kren sich auch visuell austoben wie bisher noch nie. Ein nackter, blutüberströmter Mann, der wahlweise durch eine Altbauwohnung streift oder sich aus einer Art Kokon befreit ist z. B. ein Motiv, das einen so schnell nicht loslassen wird. Visionen, Träume oder gar die Visualisierung des Unterbewusstseins gibt es oft in Filmen, doch selten sind sie visuell interessant oder gar beklemmend.

Obwohl visuell eine ganz andere Angelegenheit, musste ich während „Freud“ ein paarmal an den Film „The Cell“ denken, in dem sich Jennifer Lopez in das Bewusstsein eines Mörders begibt, und wie Tarsem Singh dessen Unterbewusstsein visualisiert hat, ist beklemmend. Ich hab den Film vor 20 Jahren gesehen, doch ein paar der surrealen Szenarien könnte ich heute noch nachzeichnen. Ähnlich beklemmend sind auch einige Szenen in „Freud“, auch weil die Serie ihre Figuren manchmal isoliert, nur das Gesicht ausleuchtet, und alles, was sie umgibt, liegt in Dunkelheit.

Tod, Trauma und Kokain

Doch zwischen der Freude an Schockmomenten oder der Inszenierung des Mysteriösen zeichnet „Freud“ natürlich auch ein Bild seiner Zeit. Ungarische Separatisten reiten da mal vorbei, ehemalige Soldaten üben sich in der Verdrängung von Erinnerungen, die schnelle Diagnose „Hysterikerin“ für Frauen, die an ganz unterschiedlichen Dingen leiden, und Burschenschaften.

„Freud“ läuft ab 15. März im ORF; ab 23. März ist die Serie via Netflix verfügbar. Am Tag nach der Ausstrahlung im ORF gibt es Episodenrecaps auf fm4.ORF.at.

Apropos Burschenschaften: Getrunken wird in „Freud“ viel. Die grölenden Burschenschafter kippen das Bier in großen Krügen, die Arbeiter*innen sitzen beim Wirt bei einem Glaserl Wein und besingen in Wienerliedern die Tragik und Komik des echten Lebens. Die Hautevollee hingegen betreibt mit großem Aufwand Realitatsflucht und kippt dazu Tollkirschsaft aus edlem Kristall. Bei Graf und Gräfin von Szapary (Philipp Hochmair mit smokey eyes und in vollem, durchtriebenem Tintifax-Modus) werden Ölgemälde nachgestellt - und Kontakt mit dem Reich der Toten aufgenommen. Manchmal schaut auch Kronprinz Rudolph vorbei. Und wer in dessen schwitzendes Antlitz und müden Augen schaut, der sieht das Ende der österreichischen Monarchien schon vor sich.

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ORF/Satel Film/Bavaria Fiction/ Jan Hromadko

Freud selbst kippt sich gern ein Briefchen Kokain ins Wasser, bevor er sich in die Welt nach draußen begibt und nach Anerkennung - und einem Mörder - sucht. „Freud“ ist eine großartige Mischung aus Fiktion und Auseinandersetzung mit Sprengseln aus den Lehren des Sigmund Freud, eine höchst erfreuliche Melange aus Genre, murder mystery und mitreißendem Zeitgeistporträt.

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