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Sascha Lobo mit rotem Iro

Radio FM4 | Christoph Weiss

Ein diffuses Störgefühl

Wir müssten aufpassen, dass die Kommunikation rund um COVID-19 nicht gefährlicher werde als die Krankheit selbst, sagt der Autor und Journalist Sascha Lobo anlässlich eines Besuchs in Wien. Über Verschwörungstheorien, das Ausbrechen aus gewohnten Mustern und die Erkenntnis, die das Schreiben von Büchern bringt.

Von Christoph „Burstup“ Weiss

In Gesprächen mit Freunden und Verwandten bemerke ich eine Tendenz. Sie drehen sich zunehmend um düstere Szenarien und Vorhersagen: drohende Klimakatastrophe, eine entstehende Pandemie, die nächste Finanzkrise, Brexit, Trump, hunderttausende Menschen, die vor Gewalt und Krieg fliehen. Vielleicht habt ihr ähnliches bemerkt.

Sascha Lobo bezeichnet es als ein „diffuses Störgefühl“, das man kaum so umfassend beschreiben könne, wie man es spürt. Dass wir einen "Realitätsschock“ erleben würden, sagt der deutsche Autor, Blogger und Podcaster schon seit einigen Monaten - diese Woche hat er das im Rahmen eines Vortrags und einer Diskussion im Bruno-Kreisky-Forum getan. Im Herbst hat Lobo sein ebenfalls „Realitätsschock“ betiteltes Buch veröffentlicht. Es solle helfen, diese neuen, oft verstörenden Entwicklungen zu sortieren, einzuordnen und verstehen zu lernen, sagt Lobo. Er habe das Buch geschrieben, um all das für sich selbst zu tun.

Globalisierung und Digitalisierung

Die meisten aktuellen Krisen haben für Lobo mit Globalisierung und Digitalisierung zu tun: Sie hätten zuvor Unverbundenes vernetzt, Übersehenes sichtbar gemacht und uns die Illusion einer Kontrolle geraubt. Wir seien benommen von der Komplexität, die durch die Vernetzung sichtbar werde und aufgrund derer viele Gewissheiten und Selbstverständlichkeiten verpufft wären.

In zehn Kapiteln wie „Klima“, „Migration“ und „Rechtsruck“ beschäftigt sich der Autor mit Problemen, die zunächst gar keinen digitalen Hintergrund zu haben scheinen. Trotzdem zieht sich die Digitalisierung wie ein roter Faden durch das Buch. Etwa auch beim - aufgrund des Coronavirus gerade brandaktuellen - Thema Gesundheit.

Krisen als Spiegel der Gesellschaft

Im Gespräch mit dem Autor weist dieser darauf hin, dass große Ereignisse wie die Coronavirus-Krise immer auch als Spiegel der Gesellschaft taugen: „Die Menschen lesen in solche Ereignisse oft das hinein, was sie da sehen wollen“, sagt Lobo - gerade was Verschwörungsmythen angehe.

Derzeit falle ihm auf, dass im Internet die Theorie verbreitet werde, das Virus SARS-CoV-2 wäre in Labors absichtlich gebaut worden. Eine andere Theorie holt Microsoft-Gründer Bill Gates ins Boot und strickt eine Verschwörung der Impfindustrie. „Und es kommt viel antisemitischer Verschwörungsmüll mit dazu. Es spiegelt sich also das, was diese Menschen ohnehin denken. Gleichzeitig betonen Wissenschaftler, dass wir noch nicht alle Facetten dieses Ereignisses kennen.“

„Wir müssen gut aufpassen, dass die Kommunikation rund um das Ereignis nicht ein Eigenleben entwickelt, das am Ende gefährlicher wird als die Krankheit selbst.“

Wir wüssten also noch nicht, welche tiefgreifenden Veränderungen mit COVID-19 einhergehen, sagt Lobo, aber: „Wir müssen gut aufpassen, dass die Kommunikation rund um das Ereignis nicht ein Eigenleben entwickelt, das am Ende gefährlicher wird als die Krankheit selbst.“ Diese Möglichkeit bestehe, weil wir die sozialen Medien - obwohl sie gar nicht mehr so neu sind - in ihrer gesellschaftlichen Wirkungsweise noch gar nicht so gut verstünden, wie wird uns das gerne einreden.

Buchcover "Realitätsschock" von Sascha Lobo

kiwi-Verlag

„Realitätsschock“ von Sascha Lobo ist im kiwi-Verlag erschienen.

Realitätsschock

Sascha Lobo spricht mit Leidenschaft über diese Themen - in Vorträgen, in Diskussionsrunden, in seinem Podcast. Das Buch „Realitätsschock“ habe ich erst anlässlich seines Besuchs in Wien vollständig gelesen. Der Versuch, Digitalisierung und Netzkultur im Kontext aktueller Krisen und komplexer Probleme zu ergründen, gelingt - schon im ersten der zehn Kapitel: In „Klima“ kritisiert der Autor, dass wir derzeit noch mit dem Blick und den Instrumenten des 20. Jahrhunderts versuchen würden, die Probleme des 21. Jahrhunderts zu lösen.

Im Interview erklärt es Lobo am Beispiel der Klima-Protestbewegung: „Greta Thunberg hält uns Zahlen vor, die wir eigentlich seit den achtziger Jahren kannten und vorhersagen. Und sie sagt uns: Wieso seid ihr nicht wütend? Schaut hier drauf! Da kommt eine sechzehnjährige junge Frau und bringt uns nichts Neues, Digitales - sondern sie zeigt uns das, was schon längst bekannt ist und fragt, warum wir eigentlich nicht in Panik verfallen. Warum wir eigentlich so tun, als könne man so weitermachen. Ich finde, das war sehr vielsagend, und es war auch für mich eine persönliche Erkenntnis. Es hat nur indirekt mit der Digitalisierung zu tun - doch es zeigt den Unterschied zwischen uns, die wir in die Gewohnheit gerutscht sind, und der jüngeren Generation, die merkt: Wir müssen die Welt verändern, sonst kriegen wir ein gigantisches Problem.“

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