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Erich Moechel

Zank um grenzüberschreitende Überwachung in Brüssel

Das EU-Parlament stellt sich gegen die Pläne von Kommission und Rat, die jeweiligen nationalen Strafverfolger bei grenzüberschreitenden Datenabgriffen zu umgehen.

Von Erich Moechel

In den USA versucht eine Koalition aus 20 Bürgerrechtsorganisationen, das Abkommen der USA mit Großbritannien zum grenzüberschreitenden Datenzugriff für Polizeibehörden zu Fall zu bringen. Kern des Abkommens ist die Umgehung der jeweiligen nationalen Gerichtsbarkeit. Die Frist für einen Eіnspruch des US-Kongresses läuft noch bis 31. März.

Dieser Anfang Oktober unterzeichnete Vertrag ähnelt der EU-Richtlinie zum grenzüberschreitenden Datenzugriff von Strafverfolgern. Die kam Anfang des Jahres aus dem Ministerrat ins Parlament und seitdem hängt der Haussegen in Brüssel schief. Sehr zum Verdruss von Kommission und Rat hatte der Innenausschuss des Parlaments viele der Einwände aus der Zivilgesellschaft eingearbeitet. Wichtigster Punkt dabei ist die verpflichtende Benachrichtigung der nationalen Behörden vor jedem grenzüberschreitenden Datenabgriff.

E-Evidence

LIBE

Für den ersten Entwurf einer Position des Parlaments hatte die Berichterstatterin Birgit Sippel (SPE) mehr als 800 Änderungsanträge auf zuletzt 267 eingedampft

Benachrichtigungspflicht der nationalen Justiz

Das Abkommen USA-UK war in Rekordzeit fertig und wurde Anfang Oktober 2019 unterzeichnet

Oberster Punkt dabei ist eine Benachrichtungspflicht der Behörden des Staats in dem eine Person überwacht werden soll. In diesem Fall ist damit die Herausgabe aller Daten eines Benutzers gemeint, die von nationalen Strafverfolgern direkt von den jeweiligen Service-Providern in jedem beliebigen EU-Staat angefordert werden können. Das wollen zumindest Kommission und Rat, das Parlament hingegen besteht auf der gleichzeitigen Benachrichtigung der Behörden in jenem Staat, aus dem die Daten abgezogen werden.

Wenn eine ausländische Behörde etwa von einem Provider in Österreich verlangt, sämtliche Daten zu den Personen herauszugeben, die eine Reihe von E-Mailadressen nutzen oder alle Daten aus einem Webserver, den der Provider in seinem Rechenzentrum hostet, gilt es nach derzeitigem Stand das folgende Szenario. Im Entwurf von Kommission und Rat ist nur vorgesehen, dass sich der Provider weigern kann, die Daten auszuliefern, wenn er begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Forderung bzw. Bedenken bezüglich der Rechte der betroffenen Personen hat.

Im Februar 2019 war zwar schon klar, dass E-Evidence erst Anfang 2020 ins EU-Parlament kommen würde. Die Kommission hatte dennoch bereits Verhandlungen mit den USA begonnen.

Nationale Justiz muss prüfen

Die Version des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres im EU-Parlament sieht hingegen eine Benachrichtigungspflicht der Justizbehörden, im oben zitierten Fall also in Österreich vor. Die Justizbehörden haben dann zehn Tage Zeit, das Überwachungsbegehren aus dem EU-Ausland zu prüfen und gegebenenfalls abzulehnen. Es geht hier nämlich um die Rechte der Betroffenen, die in der Ratsversion allenfalls ex post Beschwerde einlegen können.

Weil in der Ratsversion keinerlei Prüfung solcher Überwachungsbegehren vorgesehen ist - außer der Provider besteht darauf und weigert sich die Daten auszuliefern - hatte es von allen Seiten Kritik für den Ratsentwurf gehagelt. „Diese Benachrichtigungspflicht des Betroffenen hat eine starke Schutzfunktion. Der betreffende Staat wäre dadurch nämlich in der Lage, seine traditionelle Funktion als Hüter der Bürgerrechte der zu überwachenden Person auszuüben“, schrieb Theodore Christakis, Professor für internationales und europäisches Recht an der Universität Grenoble in seinem Gutachten.

Birgit Ad. Sippel

Birgit Ad. Sippel

MEP Birgit Sippel (SPE) ist seit 2009 im EU-Parlament und ist bei vergleichbaren internationalen Überwachungsabkommen regelmäßig dadurch aufgefallen, dass sie dabei stets Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechte aufs Tapet gebracht hat. Professor Theodore Christakis hat den Entwurf Sippels einer gründlichen Analyse unterzogen, die auch für Nicht-Juristen einfach verständlich ist.

Haussegen in Schieflage

„Tatsache ist, dass die EU-Mitgliedsstaaten in Bezug auf das Strafrecht beträchtlich differieren und dass es deshalb Schwierigkeiten bei der wechselweisen Anerkennung gibt, darauf hat der Europäische Gerichtshofs mehrfach hingewiesen“, so Christakis weiter. Und das stehe der automatischen Anerkennung eines solchen Durchsuchungsbefehls ohne Benachrichtigung der nationalen Behörden nun einmal entgegen. Diese Position vertreten mehrere Fraktionen im EU-Parlament, wie auch die Berichterstatterin Birgit Sippel.

Erst zwei Monate nach dem Start der Verhandlungen mit den USA, im April 2019, wurde der Kommissionsentwurf zu E-Evidence, der „Sicherung von Beweismitteln in der Cloud“ offiziell dem Parlament vorgestellt.

Die Kommission hatte auf dieses Vorhaben im Parlament, einen Prüfvorbehalt für nationale Behörden im Text zu verankern, ausgesprochen giftig reagiert. Hinter den Kulissen wurde ein sogenanntes Non-Paper in Umlauf gebracht, in dem Berichterstatterin Sippel und dem LIBE-Ausschuss kaum verhüllt Sabotage an der Intention der Richtlinie vorgeworfen wurde. Die war ja gestartet worden, um die derzeit üblichen monatelangen Rechtshilfverfahren nach dem sogenannten MLAT-Verfahren abzukürzen. Sippel und andere Ausschussmitglieder, die davon nur auf Umwegen erfahren hatten, machten das Manöver der Kommission dann öffentlich.

Vorläufiges Fazit

Wie diese Kraftprobe zwischen Kommission und Parlament ausgehen wird, ist derzeit nicht zu sagen. Fest steht jedoch, dass der von Rat und Kommission geplante schnelle Durchmarsch der Richtlinie- die eine kaum verschleierte Lex Facebook ist - durch die EU-Institutionen so nicht stattfinden wird. Hier bahnt sich in puncto Freiheiten und Bürgerrechte nach der E-Privacy-Verordnung jedenfalls ein zweiter langwieriger Prozess in der Brüsseler Gesetzgebung an.

In den USA hingegen scheint die Sache bereits gelaufen zu sein. Derartige internationale Abkommen müssen offenbar nicht zwingend im Kongress behandelt werden, das passiert in dem Fall nur, wenn Abgeordneten selbst die Initiative ergreifen. Und da ist drei Wochen vor Ablaufen der Einspruchsfrist bis jetzt noch niemand vorgetreten und auch das Echo in den Medien hält sich in engen Grenzen.

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