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Bernie Sanders

APA/AFP/Kerem Yucel

Blumenaus 20er-Journal

We live in a socialist society, it’s socialism for the rich...

... sagt Bernie Sanders und hat mit dieser deutlichen Position gute Chancen US-Präsidentschafts-Kandidat zu werden. Die österreichische Sozialdemokratie befragt ihre Mitglieder derweil nach Nuancierungen und wird nichts werden.

Von Martin Blumenau

In der heute startenden Mitgliederbefragung können SPÖ-Mitglieder nicht nur über die Vorsitzende abstimmen, sie sollen auch 18 ausformulierte Narrative in diversen Themenfeldern nach ihrer Bedeutung gewichten. Es geht um Selbstverständlichkeiten sozialdemokratischer Politik: mehr öffentlich - weniger privat, mehr Gelder für Pflege, Bildung, Familien, Pensionisten, Kindergärten sowie für Polizei und Justiz. Es geht um mehr Mindestlohn, 4-Tage-Woche, Mietsteuererleichterung, Vermögens- und Konzernsteuern.

Deutlich mehr als die Hälfte aller 18 Punkte (ich meine: zehn bis zwölf) könnten wortidentisch auch in einer Mitglieder-Befragung einer anderen Partei stehen, bei den Grünen noch deutlich mehr.

Dass die SPÖ einen demokratischen Sozialismus anstrebt, der sich mit wohlfahrtsstaatlichen Mitteln für eine gerechte Gesellschaft einsetzt, steht nicht unbedingt im Zentrum der Fragen.

De facto bietet die Parteispitze den Mitgliedern einen Warenkorb an, dessen meistgeklickte Themen sie an die Spitze ihrer bis zu den nächsten Wahlen reichenden, oppositionellen Erzählung stellen wollen. Man lagert Fragen der Ideologie also an die Basis aus und enthebt sich somit der Verantwortung, dieses gesellschaftspolitische Gegen-Modell zur aktuellen Regierungspolitik und die plakative Umsetzung einer Vision dieser anderen, besseren, gerechteren Gesellschaft selber gestalten und definieren zu müssen.

Um die Schärfung dieses in den letzten Jahrzehnten immer diffuser gewordenen Bildes schummelt sich die österreichische Sozialdemokratie also weiterhin herum und weiß sich in guter/schlechter Gesellschaft der deutschen Genossen: beide Parteien, einst stolze Vertreter eines gleichwohl pragmatischen aber pointierten demokratischen Sozialismus (Kreisky wie Brandt) halten aktuell bei deutlich weniger als 20% Wähler-Zuspruch.

Einer von mittlerweile nur noch zwei im Rennen verbliebenen Bewerber für den Präsidentschafts-Kandidaten der US-Demokraten ist Bernard „Bernie“ Sanders, nach eigenem Bekenntnis ein „democratic socialist“, was im politisch prüden Amerika noch viel mehr radikale Anklänge hat, als wirklich da sind.

Sanders sagt aktuell auf die wiederkehrende Frage, ob er als Parteilinker, als demokratischer Sozialist, also Sozialist, also irgendwie fast Kommunist, das denn wirklich so meint mit seiner Ideologie.

Sanders nimmt daraufhin keine Hase-vor-der-Schlange-Haltung ein und versucht sich so weit wie möglich in Richtung diffuse Mitte zu verbiegen wie es seine europäischen Kolleg*innen tun. Er dreht den Spieß um. Er sagt, dass sein Land ohnehin bereits in einem sozialistischen System lebe: In my view to a significant degree we are living right now under Donald Trump in a socialist society. The difference is: does the government work for working people or does it work for billionaires.

Trump selber habe vor seiner Präsidentschaft 800 Millionen Dollar an Unterstützung und Steuererlass bekommen: „it’s socialism for the rich“, sagt Sanders, und weiter: „Working people understand we have got to finally stand up to the corporate elite. And that we have to have a mass political movement of working people, low income people and young people to do that.“

Nüchtern betrachtet hat Sanders da einen wunden Punkt getroffen: seit jeher werden Steuern und andere Gewinne des Staates in erster Linie dafür aufgewendet, um der Groß-Industrie, aber auch mittleren Unternehmen mit Anreizen, Steuererleichterungen etc. Standorte schmackhaft zu machen. Die Senkung der Kapitalertragsteuer (KESt) war die allererste VP-Steuer-Maßnahme 2020. Umgekehrt zahlen die Konzerne und auch die Superreichen in Relation deutlich weniger ins wohlfahrtstaatliche System ein. Am allerzynischsten zeigte sich dieses Modell des Sozialismus für die Reichen, das nicht nur in den USA, sondernd auch in den kapitalistischen Gesellschaften Europa herrscht, angesichts der Bankenkrise, als die Verluste sozialisiert wurden ohne Sorge zu tragen, dass dies auch für künftige Gewinne gelten muss. Die werden weiterhin privatisiert.

Die von Sanders angesprochene Koalition von Arbeiterschaft, Geringverdienern und Jungen (zu denen auch die allermeisten Migranten zählen, weshalb Sanders sie nicht extra erwähnen musste) ist auch in Deutschland oder Österreich auf dem Markt, wahl- und stimmentechnisch. Ob man sie mit 18 ideologisch austauschbaren Fragen packen kann, scheint fraglich. Dass die gerade vieles überlagernde Debatte um die Klima-Krise und den nötigen Wandel von den Sozialdemokraten nicht direkt in die damit einhergehende Systemwandel-Debatte mündet, ist auch wenig nachvollziehbar. Angesichts der diffus bleibenden Linken und ihrer Angst vor einer klaren, sanders-mäßigen, vielleicht (huch!) demokratisch-sozialistischen Positionierung, überlässt man die Working People, die Wenigverdiener und die schon jung in die Hoffnungslosigkeit abdriftenden der aktuell einigen anderen emotional packenden Erzählung, der der Bedrohung durch den Ausländer, die mit Ur-Ängsten um die eigene Sicherheit spielt.

Und das alles letztlich nur, weil man sich nicht anzusprechen traut, was man ist: Sozialist.

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