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Häuslicher Unterricht: Österreichs interessanter Sonderweg

In Österreich ist es legal seine Kinder nicht in die Schule zu schicken, wenn man sie zuhause unterrichten möchte. Doch der sogenannte „häusliche Unterricht“ birgt auch viele Risiken, denn die Schule ist mehr als nur die Vermittlung von Fachwissen.

Von David Riegler

Nicht für alle Kinder und Jugendliche läutet die Schulglocke den Unterricht ein. Im Schuljahr 2018/19 waren es 2.222 Kinder, die nicht in der Schule, sondern zuhause unterrichtet worden sind, meist von Mama und Papa.

Der sogenannte „häusliche Unterricht“ ist ein Überbleibsel aus der Zeit Maria Theresias, denn damals wurde eigentlich keine Schulpflicht eingeführt, sondern nur eine Unterrichtspflicht. In der Zeit der Monarchie war das ein Privileg für Adelige, die private Hauslehrer hatten. Heute gibt es andere Gründe seine Kinder nicht in die Schule zu schicken.

Unzufrieden mit dem Schulsystem

Katharina Thonhauser unterrichtet zwei Kinder im Volksschulalter zuhause. Sie ist mit dem derzeitigen Schulsystem nicht zufrieden: „Wir sind zum Homeschooling gekommen, weil wir eine wirklich gute Bildung uns für unsere Kinder gewünscht haben und das im öffentlichen Schulsystem ein Lotteriespiel war.“

Sie lehnt das klassische Notensystem von 1 bis 5 ab und hat daher auch ihre älteren zwei Kinder schon zuhause unterrichtet. Für sie ist das „Menschenbild und die Würde unabhängig von den Schulnoten.“ Ursprünglich war Katharina Thonhauser an einem Schulgründungsprojekt beteiligt, das ihrer Vorstellung von Schule entsprochen hätte, doch es wurde kurz vor dem Start abgesagt. Als Alternative hat sie den häuslichen Unterricht ausprobiert und ist dabei geblieben.

Katharina Thonhauser unterrichtet ihre Kinder nur im Volksschulalter zuhause, doch theoretisch dürfen Kinder in Österreich die gesamte Schulzeit zuhause unterrichtet werden. Kontrollen gibt es dabei nur einmal im Jahr bei einer sogenannten Externistenprüfung an einer Schule. Dort wird der gesamte Jahresstoff überprüft.

Wer kann Lehrer*in sein?

Lehrer*in zu sein ist ein Beruf, für den man normalerweise mehrere Jahre studieren muss. Doch für den häuslichen Unterricht benötigt man keine pädagogische Ausbildung. Barbara Schober, Professorin für psychologische Bildungs- und Transferforschung an der Uni Wien, sieht das kritisch: „Weil ich der Meinung bin - und dafür spricht sehr vieles was wir aus den Studien über Unterricht und die Effekte von Unterricht wissen - Lehrerin oder Lehrer zu sein ist ein Beruf. Es ist nicht damit getan ab und zu zu überprüfen ob man lesen und schreiben kann.“

Katharina Thonhauser sieht das anders: „Ich glaube jeder von uns, wenn er an die eigene Schulzeit zurückdenkt, wird vor allem im Gymnasium gute und schlechte Lehrer gehabt haben und all diese Lehrer hatten die gleiche pädagogische Ausbildung.“ Sie berichtet, dass sie den Stoff schneller durchbringt als in der Schule, sodass genug Zeit für ihre Kinder bleibt, um die eigenen Interessen zu erforschen.

Soziales Lernen

Laut Barbara Schober ist die Schule jedoch nicht nur dazu da, um Fachwissen zu erlangen. Die Schule ist auch ein Ort für soziales Lernen: „Es geht auch darum miteinander zu sein, Persönlichkeitsbildung zu erleben, mit anderen Menschen soziale Kompetenz zu erwerben. Wenn man den Bildungsauftrag weiter sieht, wo es auch um Selbstkompetenz, Selbstsicherheit, Persönlichkeitsentwicklung, soziale Kompetenz geht ist es ein hochproblematisches oder gefährliches Muster.“

Auch religiöser Fundamentalismus als möglicher Grund

Nicht selten ist auch religiöser Fundamentalismus ein Grund für die Abmeldung vom Schulunterricht. Im September 2019 hat sich eine spezielle Gefahr dieses Heimunterrichts an einem tragischen Fall im Bezirk Krems gezeigt: Ein 13-jähriges Mädchen, das zuhause unterrichtet wurde, ist an einer chronischen Bauchspeicheldrüsen-Krankheit gestorben. Ihre evangelikalen Eltern haben für das Mädchen gebetet statt einen Arzt zu holen. In der Schule wäre ihre Krankheit möglicherweise vom Lehrpersonal oder der Schulärzt*in entdeckt worden.

Der Fall hat Kritik am Konzept des häuslichen Unterrichts ausgelöst und laut einem Bericht des Standards, gab es Überlegungen aus dem Bildungsministerium, die Kontrollen zu verschärfen.

Kurz darauf ist ein weiterer Fall von religiösem Fundamentalismus im häuslichen Unterricht bekannt geworden. Anja F. hat ihre Geschichte im Standard und in der Wiener Zeitung öffentlich gemacht. Sie ist gemeinsam mit ihren 18 Geschwistern in Niederösterreich aufgewachsen und wurde von der Außenwelt isoliert. Es gab weder Uhr noch Fernseher oder Radio und die Kinder waren den ritualisierten Misshandlung des religiösen Vaters ausgesetzt.

Kaum Möglichkeiten der Kontrolle

Selbstverständlich gibt es viele Eltern, die den häuslichen Unterricht nicht für die eigene Ideologie nutzen, sondern einfach als alternative Bildungsmöglichkeit. Katharina Thonhauser sagt, dass sie mit ihren Kindern viele Aktivitäten außerhalb der eigenen vier Wände unternimmt, von Ballettkursen, Sportkursen, Malkursen bis zu Ausflügen in die Bibliothek. Dadurch haben ihre Kinder viel Kontakt zu anderen Kindern und deren Lebensrealitäten.

Doch dass es kaum staatliche Kontrollmöglichkeiten gibt, sind Kinder im häuslichen Unterricht dem ausgesetzt, was ihre Eltern für sie vorsehen - solange sie den Jahresstoff bei der Externistenprüfung beherrschen, kann problematisch sein. So können Menschen mit radikalen Ideologien und fundamentalistischen religiösen Vorstellungen ihre Kinder weitgehend von der Außenwelt abschotten. Der häusliche Unterricht wird dadurch zum Nährboden für radikale und fundamentalistische Vorstellungen.

Strengere Regelung

Barbara Schober, Professorin für psychologische Bildungs- und Transferforschung an der Uni Wien, fordert strengere Regeln für häuslichen Unterricht. Ihrer Meinung nach gibt es nur wenige Fälle, in denen der häusliche Unterricht gerechtfertigt sei, zum Beispiel wegen eines aufwändigen Schulweges in sehr abgelegenen Regionen oder bei bestimmten Formen der Hochbegabung. Jedenfalls solle der häusliche Unterricht schärfer kontrolliert werden: „Aus meiner Sicht sollte es die Ausnahme bleiben und man sollte sich überlegen, durch klare Kriterien das auch relativ streng zu sichern.“

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