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APA/AFP/John MACDOUGALL

„Tommaso“: Abel Ferraras autobiografisches Alterswerk

Er galt immer als einer von Amerikas kompromisslosesten Regie-Rebellen. Jetzt bringt Abel Ferrara sein eigenes Leben auf die Leinwand. Und stellt sich damit quer zum Zeitgeist.

Von Christian Fuchs

Den großen Durchbruch, wie ein Quentin Tarantino, hat er nie geschafft. Aber der mittlerweile 68-jährige Abel Ferrara genießt immerhin unter Cinephilen einen speziellen Status. Dabei sind es zunächst seine Filme aus den 80er und 90er Jahren, die kultische Verehrung erfahren. Werke wie „Bad Lieutenant“, „The Funeral“ oder „King Of New York“ wirken an der Oberfläche wie düsteres Genrekino. Aber im Grunde erzählen diese gewalttätigen Geschichten von Gangstern und korrupten Cops von existentialischer Tristesse.

Irgendwann gibt es einen bewussten Bruch in Abel Ferraras Schaffen. Er inszeniert zwar weiterhin Themen von biblischer Schwere auf grelle, stilisierte Weise. Inhaltlich schlägt er aber einen sperrigeren Weg ein. Rissen sich in der Vergangenheit auch Genrekino-Fans um die Filme des New Yorkers, wird er Ende der Nullerjahre zum Liebling der avancierten Filmfestivals. Trotzdem reagieren manche Kritiker auch kontrovers auf aktuelle Arbeiten, was der Regisseur natürlich herausfordert. Der ewige Exzentriker Ferrara provoziert auch in seiner gemäßigten, künstlerisch strengeren Form.

Tommaso

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Rastlos Suchender in der Krise

Dabei denkt man am Anfang seines neuen Films wirklich nicht an die Schockmomente früherer Ferrara-Streifen. „Tommaso“ beginnt wie eine Altmänner-Idylle. Ein amerikanischer Regisseur, schätzungsweise Mitte 60, flaniert gut gelaunt durch Rom. Die italienische Metropole ist zur zweiten Heimat für den Mann geworden. Hier wohnt der Filmemacher, den alle nur Tommaso nennen, mit seiner Freundin, einer dreißig Jahre jüngeren Russin, und mit dem gemeinsamen Kind.

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Sex, Drugs & Kunstkino: Christian Fuchs und der deutsche Filmwissenschaftler Dr. Marcus Stiglegger unterhalten sich über die neonfarbene, exzessive und durchgeknallte Karriere des Regisseurs Abel Ferrara im FM4 Film Podcast.

Das Regie-Enfant Terrible Abel Ferrara ist mittlerweile für vieles bekannt, aber sicher nicht für Gute-Laune-Kino. Also täuscht der sonnige Auftakt seines neuen Films natürlich. Tommaso, gespielt von Willem Dafoe, besucht Treffen der Anonymen Alkoholiker und Yoga-Seminare, er gibt Schauspielunterricht, plant Filmprojekte, die scheinbar nie zustande kommen. Bald entpuppt sich der Titel-Antiheld als rastlos Suchender, als Typ, der direkt von der Midlife Crisis in die Alterskrise geschlittert ist.

Das ist der harmlose Teil des Films, der stellenweise an bürgerliche Selbstfindungs-Epen erinnert, wie sie öfter in Programmkinos laufen. Tommaso wird aber auch von verstörenden Visionen gequält. Es scheint, als ob er seine exzessive Vergangenheit, in der er sich mit harten Drogen beinahe selbst zerstörte, nur schwer abschütteln kann. Nicht nur den heftigen Substanzmissbrauch hat der Regisseur im Film mit dem Mann hinter der Kamera gemeinsam. „Tommaso“ ist eine Art aktuelles Selbstportrait von Abel Ferrara. Seine tatsächliche Frau Cristina Chiriac und die gemeinsame kleine Tochter Anna spielen sich im Film quasi selber.

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Die personifizierte Getriebenheit

Mit dem Wissen um das autobiografische Element kann man „Tommaso“ nicht mehr bloß als esoterisch angehauchte Charakterstudie sehen. Ständig fragt man sich, was ist echt, was nicht, warum zeigt uns Abel Ferrara eigentlich diese zunehmend toxische Beziehung auf der Leinwand? Der obsessive Regisseur hat einen katholischen Background, vielleicht ist die Selbstentblößung ein Art Exorzismus für ihn.

„Tommaso“ hinterlässt letztlich, wie einiges aus dem Spätwerk Abel Ferraras, ambivalente Eindrücke. Einerseits denkt man sich, dass ein Film über einen leidenden alten Künstler, der ständig auf nackte junge Frauen trifft, nicht mehr wirklich in die Gegenwart passt. Andererseits sind die rohen Bilder (von Werner Herzogs österreichischem Kameramann Peter Zeitlinger), die römische Atmosphäre, der Hauch von Cinéma vérité faszinierend.

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Da ist vor allem auch Ferraras Alter Ego Willem Dafoe, der die Figur als personifizierte Getriebenheit bis zum bitteren Ende spielt. In „Tommaso“ träumt er als Titelfigur von einem experimentellen Film, dessen Drehbuch er entwirft. In der realen Welt hat Abel Ferrara dieses Werk, wieder mit Dafoe, bereits gedreht. „Siberia“ wurde bei der Berlinale präsentiert - und dürfte laut Berichten noch entschieden weniger Wert auf kommerzielle Vermarktung legen. Big Bad Abel bleibt störrisch - und stellt sich quer zum Zeitgeist.

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