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Zwei Hände greifen auf einen Bildschirm

Lena Prehal

Die Klimafrage ist eine soziale Frage

Das Elevate Festival ist eröffnet: In den kommenden Tagen wird in Graz die Natur des Menschen besprochen und es wird getanzt. Schon in der ersten Festivalnacht, ganz ungewohnt zu internationalen Schlagerklängen. Zuvor rief die Klimaaktivistin Elizabeth Wathuti dazu auf, in der Klimafrage sozial zu denken.

Von Maria Motter

Elevate Festival, 4. bis 8. März 2020, Graz

Hatis Noit trägt einen Gesichtsschmuck, der beinahe von ihrer Musik ablenkt. Zwei Federn zieren ihre Nase. Die japanische Sängerin loopt sich selbst und es klingt, als würde sich eine zeitgenössische Opernarie über einen fernöstliche Meditationsgesang legen. Wie „verrückt zeitgenössische Musik ist“ und klingen kann, fasziniert viele im Publikum. Das Elevate Festival 2020 wird bis Sonntag eine musikalische Vielfalt bieten, die neue Horizonte auch sinnlich erfahrbar machen wird.

Hatis Noit trägt zwei Federn als Gesichtsschmuck an ihrer Nase

Lena Prehal

Hatis Noit singt heute, Donnerstagabend, im Mausoleum. Dann spielen Dorian Concept und Zanshin auf einem Synthesizer-Monstrum.

Das Festivalthema lautet „Human Nature“ und die Eröffnung Mittwochabend im Grazer Orpheum hatte alles, was das Festival für Musik, Kunst und politischen Diskurs auszeichnet. Auf dem Elevate kommen Menschen aus ziemlich verschiedenen Berufen und Gebieten zusammen, sie erklären einander ihre Welten und ihre Theorien, sie tanzen und hören zu.

Zur Eröffnung improvisiert Jimi Tenor mit dem Grazer Duo C.O.R.N.! und macht die Querflöte wieder cool. Die Umweltaktivistin Elizabeth Wathuti erklärt, dass bereits Menschen an der Klimakrise sterben.

Kenianische Schulkinder pflegen Bäume

„I am a woman of the earth”, sagt Elizabeth Wathuti am Ende ihrer Eröffnungsrede des Elevate Festivals. Ihr geht es nicht ums Umarmen von Bäumen, ihr geht es ums Bäume pflanzen. Die 24-Jährige ist auch nicht zum Spaß da - und ihre Liebe zur Natur musste sie auch erst entdecken. Wie ihre Aktivistinnenkollegin Adenike Oladosu aus Nigeria ist sie eine der wenigen jungen Klimaaktivistinnen des afrikanischen Kontinents, die auch auf Podien in Europa eingeladen werden.

Elizabeth Wathuti am Rednerinnenpult

Lena Prehal

Elizabeth Wathuti

„Die Menschheit ist seit langem auf Kriegsfuß mit der Natur und jetzt schlägt die Natur zurück“, sagt Elizabeth Wathuti und fragt das Publikum, wie es sein kann, dass wir uns inmitten einer Klimakrise befinden, doch die Opfer dieses Klimanotstands nicht beachten. In ihrem Heimatland Kenia sterben Menschen bereits an den Auswirkungen der Erderhitzung.

„Die Abholzung im Amazonas-Regenwald macht weltweit Schlagzeilen, doch von der Entwaldung der Regenwälder in Westafrika und im Kongobecken wird kaum Notiz genommen", stellt Wathuti fest.

Die Klimafrage ist (auch) eine soziale Frage

Elizabeth Wathuti ist im Nyeri County, einer der waldreichsten Regionen ihres Landes aufgewachsen. Heute engagiert sie sich in der NGO Green Generation Initiative und setzt in vielen Gemeinden konkrete Projekte um: 30000 kenianische Kinder haben bisher dank der Green Generation Initiative Bäume gepflanzt. Jetzt gibt es laut der NGO an 120 Schulen einen „School Vegetable Scientists Club”. Und weil es sich dabei nicht um Symbolpolitik handelt, kümmern sich die Beteiligten auch um die Nachsorge der Bäume, die zudem „Food trees“ sind. Welche, das werden wir Elizabeth Wathati am Elevate noch fragen.

Elizabeth Wathuti mit Kindern und Setzlingen

Elizabeth Wathuti

Ist Elizabeth Wathuti unterwegs wie am Elevate Festival, kümmert sich ihre Mutter um ihre Baumschule, in der sie Setzlinge für die Schulprojekte ihrer 2016 gegründeten Green Generations Initiative zieht.

Elizabeth Wathuti aus Kenia, Adenike Oladosu aus Nigeria sowie Lisa und Valerie von Fridays for Future Graz, die sich gleich mit ihren Vornamen vorstellen und die sechs Forderungen von Fridays for Future in Österreich benennen – die vier jungen Aktivistinnen, die am Eröffnungsabend sprechen, haben ein gemeinsames Ziel: Sie wollen über den Klimawandel informieren und handeln. Und alle vier Frauen betonen, dass bei Klima- und Umweltfragen die soziale Frage mitbedacht werden muss.

So beschrieb es der britische Ökonom James Meadway im Vorjahr: „Environmentalism without class politics is just gardening”. Für Elizabeth Wathuti bedeutet die Klimakrise auch die Krise der Ernährungssicherheit. „Eine sichere Zukunft ist ein Geburtsrecht“, ist ihre Haltung. „Müssen wir um eine Zukunft bitten? Ich glaube nicht. Eine Zukunft steht uns zu.“

Der nigerianische Menschenrechtsaktivist Nnimmo Bassey nennt transnationale Konzerne als Umweltverbrecher beim Namen - von Chevron bis Monsanto - und trägt seine Forderungen als Fürbitten vor, auf die das Publikum antwortet. Ein religiös anmutender Moment.

Ariadne Schirach erklärt die Matrix

Elevate 2020 auf fm4.orf.at:
Eine Vorschau auf die Highlights

„Früher wolltest du raus aus der Matrix, jetzt kollabiert die Matrix“. Die deutsche Philosophin Ariadne von Schirach weiß zu unterhalten. Bevor sie Hallo sagt und fragt, ob wir es akzeptieren können, uns als Spezies zu begreifen, die aus Individuen besteht und somit unsere Verschiedenheit gemeinsam haben, läuft ein Werbe-Spot. „Jede Krise trägt in sich die Möglichkeit einer neuen Ordnung. Sie ist eine Chance, unser Menschsein neu zu begreifen“, heißt es darin.

Das könnte Werbung für eine Bank oder Psychotherapeuten sein. Aber nein. Der Clip bewirbt Schirachs neues Buch „Die psychotische Gesellschaft“. „Das ist ein Club, in den will ja keiner rein! Beim Begriff Müdigkeitsgesellschaft gehen wir noch mit. Ja, bin auch müde. Aber psychotisch – jiihua!“ Doch genau dazu spricht Ariadne von Schirach heute, Donnerstag, im Forum Stadtpark.

Ankathie Koi und Ariadne von Schirach

Lena Prehal

Ankathie Koi und Ariadne von Schirach. Boris Jordan hat sich mit Ariadne von Schirach über ihr Buch „Die psychotische Gesellschaft“ unterhalten.

Ankathie Koi mit feministischer Kampfansage

Durch den Abend führt Ankathi Koi mit gebotener Ernsthaftigkeit. Sie hat sich eine Banane mit Gaffaband an ihren rechten Oberschenkel montiert und glitzernde Moderationskärtchen vorbereitet. Ihr größter Kunstgriff wird allerdings ein Anti-Gstanzl: Für einen feministischen Song loopt sie ihre eigene Stimme zu einem Beat, der wie ein Westernritt anfängt und sich in die Frage „What about me?“ steigert.

Der Smalltalk auf der Bühne zur Vorstellung von Jacob Sylvester Bilabel wird zu einem ersten schönen Schlagabtausch, wie sie das Elevate in seinen besten Momenten bietet: Jacob Sylvester Bilabel ist von der gemeinnützigen Pan-Europäischen Green Music Initiative: Er berät Veranstalter*innen von Festivals und Clubs, wie sie umweltfreundlicher arbeiten können. Festivals sieht er als Experimentierfelder für das gute Leben.

„Für die Zeit eines Festivals legen Menschen ihren Pass ab“, sagt Jacob Sylvester Bilabet. „Sie legen ihr Hirn ab“, ergänzt Ankathi Koi. Bilabel hat „Slow Travel ausprobiert“. Auf Deutsch heißt das, er ist mit dem Zug zum Elevate angereist. Von Berlin aus wirke das Elevate wie ein mythologischer Ort. Und für wahr: Im Orpheum Extra stehen Menschen Schlange für eine VR-Installation, während im Foyer die erste Party zu Booty Carrells DJ-Set voll im Gange ist.

Eröffnungsparty des Elevate im Foyer des Orpheums

Lena Prehal

Die erste Party des Elevate 2020 ist im Foyer des Orpheums. Dieses Jahr wird das Festival an insgesamt sechzehn Orten stattfinden. Auch das Glockenspiel der Mariahilferkirche in Graz wird nach einer Komposition von Elevate-Gästen erklingen und Jimi Tenor hat Fahrstuhlmusik für den Schloßberglift mitgebracht.

Der Hamburger Booty Carrell legt ausschließlich mit Vinyl aus aller Welt auf und interessiert sich für eine Art zweite Welle musikalischer Globalisierung. „Erst hat mich die Musik total fasziniert und als ich angefangen habe, die aufzulegen, kam die Nachbarschaft, die auf Türkisch, Iranisch und Pakistanisch ist. Die haben mir von weiteren Künstlern erzählt und von Hintergründen zu der Musik berichtet. Dadurch ging’s dann immer tiefer. Und mittlerweile habe ich halt Freunde in aller Welt, die mir Platten schicken.“

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