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Die "Ende Gelände"-Sprecherin Kathrin Henneberger steht auf einem Feld und hält ein Schild hoch mit der Aufschrift "It's time to rebel"

Kathrin Henneberger

Die Cyborgs müssen warten

Der Mars verspricht auch keine Lösung: Am Elevate Festival in Graz berichteten die Cyborg-Aktivistin Moon Ribas, „Ende Gelände“-Aktivist*innen und die nigerianische Fridays-for-Future-Aktivistin Adenika Oladosu von ihren persönlichen Kämpfen für eine bessere Gegenwart.

Von Maria Motter

Moon Ribas vermisst ihr Implantat. Die katalanische Künstlerin und Tänzerin bezeichnet sich selbst als Cyborg-Aktivistin. Sie hatte ihren Körper gehackt und zwei Chips mit Sensoren in ihren Füßen. Damit konnte sie laut ihren Angaben jedes Erdbeben spüren. Festivals luden sie für Performances ein. „If there are no earthquakes, there is no dance. A lot of festivals were worried, but earth moves”, erzählt Moon Ribas mit einem Lächeln am Elevate Festival in Graz. Das Publikum reagiert mit Zurückhaltung. Wie ernst es Moon Ribas mit ihrer Cyborg-Stiftung ist, wird klar, als sie mit Begeisterung das Bild eines Kollegen Neil Harbisson zeigt, der eine in seinen Kopf implantierte Antenne trägt. Ärzt*innen hätten diese Operation verweigert, so Ribas.

Faszinierende Cyborgs, Musik aus Maschinen

Eine Faszination wie wohl einst vor Schausteller*innen auf Jahrmärkten stellt sich ein. Wie brisant, dass einen diese Cyborg-Aktivist*innen weit mehr bewegen als die Tatsache, dass Waschmaschinen inzwischen voll automatisiert gebaut werden und Roboter die Leiharbeiter*innen in der Automobilindustrie ersetzen.

Die katalanische Cyborg-Aktivistin Moon Ribas zeigt das Bild eines Kollegen, der sich eine Antenne an seinen Kopf operieren ließ.

Elevate Festival

Moon Ribas vermisst ihre Sensoren, aber jetzt geht sie gern tauschen.

„Human Nature“ lautete das Motto des diesjährigen Elevate Festivals. Längst ist das Festival für Musik, Kunst und politischen Diskurs über den Kosmos der elektronischen Clubmusik hinausgewachsen. Mit seinem Musikprogramm hat es auch das Mumuth erobert. „Ist das noch KI, oder kann das schon Musik“, so hieß der Workshop von Jovanka v. Wilsdorf, einst Teil des Indie-Elektro-Duos Quarks und inzwischen Songwriterin für BMG Rights. Dorian Concept und Zanshin ließen einen 63 Jahre alten Max Brand Synthesizer ins Mausoleum karren. Im Dom im Berg wummerten die Bässe und die Experimentalpopmusikerin Jessy Lanza gab ein Konzert. Katharina Seidler hat „Im Sumpf“ einen wunderschönen Rückblick gestaltet.

Jessy Lanza am Elevate Festival im Dom im Berg

David Višnjić

Jessy Lanza im Dom im Berg in Graz.

Die Natur ist unser Gegenüber

Im Diskursprogramm wird das Verhältnis von uns Menschen und Natur ausgelotet – aus wissenschaftlicher, philosophischer, aktivistischer Perspektive. Dass sich der Mensch selten als Teil der Natur, jedoch vor allem als ihr Gegenüber betrachtet, wird von den meisten der fünfzig internationalen und nationalen Gästen vorausgesetzt. Moon Ribas geht es nicht um die Optimierung des Menschen. „Wir können zuhause sein und neue Sinne erforschen“, sagt sie über ihren auch körperlichen Einsatz. „Wir können entscheiden, dass uns diese Dinge der Natur, den Tieren und vielleicht dem Weltall näherbringen.“

Menschen tanzen im Dom im Berg

David Višnjić

Im Schloßberg tanzen!

„Ende Gelände“ hat jahrelange Erfahrung im zivilen Ungehorsam

Abheben und auf den Mars zu setzen, das sei ohnehin keine Lösung, sagt ein anderer Gast. Schließlich sei die Oberfläche dort kochend heiß. Einen sehr irdischen Kampf führen die deutschen Aktivist*innen vom Bündnis „Ende Gelände“, das 2015 gegründet worden ist.

Kathrin und Clumsy von „Ende Gelände“ blicken am Elvate Festival auf die jahrelange Erfahrung zivilen Widerstands gegen Kohleabbau und für die Erhaltung des Hambacher Wald in Nordrhein-Westfalen zurück: „Es hat angefangen mit Leuten, die das Land und [den Energiekonzern] RWE verklagen. Mit Leuten, die Waldspaziergänge organisiert haben, um den Menschen das Ökosystem Wald, aber auch die Besetzung näherzubringen. Wir haben dazu aufgerufen, rot angezogen vor den Tagebau zu kommen und vor dem Wald eine Linie zu formen – bis hier und nicht weiter. Das hat schöne Bilder produziert. Aber es wurden auch immer wieder Nagelstiche gegen die Betriebsabläufe von RWE durchgeführt: Das waren Kleingruppenaktionen, wo Leute sich an Schienen gekettet oder sich von Brücken abgeseilt haben, um die Kohlebahn zu blockieren“.

Auch Menschen, die auf Rollstühle angewiesen sind, schließen sich dem Protest aktiv an. Die militante Verteidigung des Waldes blieb nicht aus. Auch das Hauptstromkabel des Tagebaus wurde angezündet.

Besucher*innen und die Aktivistinnen von Ende Gelände vor dem Forum Stadtpark beim Elevate Festival

Valerie Maltseva

Frauen sind bewusst an der vordersten Frontlinien, wenn es um die Pressearbeit geht. Kathrin von „Ende Gelände“ zeigt Fotos der Proteste: „Diese Zeit der Aktionen hat etwas von Festivalstimmung. Man lebt gemeinsam in dieser Blockade und hat protestierend auch eine schöne Zeit. Wir übernachten natürlich auch dort auf den Schienen“.

Die "Ende Gelände"-Sprecherin Kathrin Henneberger steht auf einem Feld und hält ein Schild hoch mit der Aufschrift "It's time to rebel"

Kathrin Henneberger

Kathrin ist eine Sprecherin vom Bündnis „Ende Gelände“

Nach der polizeilichen Räumung des Hambacher Forsts im September 2018 macht Ende Gelände weiter. „Mit dem nun vorliegenden Kohlegesetz ist zwar der Hambacher Wald vor einer Rodung gesichert, aber die Tagebaue in der Region werden weiter betrieben. Und noch zwanzig Jahre soll Kohle in Deutschland verfeuert werden“, sagt Kathrin, eine Sprecherin von Ende Gelände. Deutschland müsse sofort aus den fossilen Industrien aussteigen, um die Klimaziele zu erreichen.

Ende Gelände plant neue Proteste gegen das Kohlekraftwerk Datteln IV. „Und wir passen immer noch auf den Hambi auf“, sagt Kathrin. Mit den Gewerkschaften sei man um Austausch bemüht. Konkrete Ideen für eine alternative Einkommensmöglichkeit für die Arbeiter*innen in den betroffenen Regionen, die von der Kohleförderung abhängig sind, hat Ende Gelände freilich nicht.

Wenn Arbeiter*innen Widerstand leisten

Radikal unterwegs ist auch der Brite John Jordan seit vielen Jahren. Zwischen Kunst und Aktivismus stellt er immer wieder Beachtliches auf die Beine. In Graz war er schon beim steirischen herbst 2014 zu Gast, John Jordan hat sich mit dem Laboratory of Insurrectionary Imagination (Labofii) in der ZAD (zone à défendre) von Notre-dame-des-Landes in Frankreich niedergelassen.

Dort war der Jahrzehnte anhaltende Widerstand gegen den Bau eines Flughafens 2018 erfolgreich. „Wir haben intensiv mit den Gewerkschaften zusammengearbeitet. Es gibt in Frankreich ein Gesetz, dass es Arbeitnehmer*innen ermöglicht, Arbeitsaufträge zu verweigern, die einem unethisch erscheinen“, berichtet John Jordan.

Bei etlichen, vergleichbaren und umgesetzten Infrastrukturprojekten müssten Bauarbeiter ihre Identität schützen und würden auf ihren Baggern von einem Polizeiaufgebot. Der Schlüssel zur Überzeugung wäre Geselligkeit. „Es gibt sehr gutes Essen in der ZAD! Und die Annahmen, welche befremdliche Welt die ZAD wäre, haben sich aufgelöst. Einige Arbeiter wollten dann sogar ein Arbeiter*innendorf in der ZAD bauen – aber das ist noch nicht passiert.“

Das klingt wie ein Märchen. Eine, die in bezaubernden Sätzen und mit einer Bestimmtheit spricht, die ihresgleichen sucht, ist Ariadne von Schirach. Sie ortet eine Pubertätskrise unserer Gesellschaft. Ihren Vortrag gibt es bald wie alle Vorträge und Diskussionen on demand auf der Website des Elevate zum Nachschauen – Empfehlung!

Ariadne von Schirach spricht am Elevate Festival in Graz

Manuel Riedler

Ariadne von Schirach hat jede Bühne gerockt. „Was muss passieren, um unsere Herzen zu bewegen, dass wir sagen, wir machen so nicht weiter? Wann kommt der Leidensdruck, wann kommt der eine Song, wann kommt die eine Phrase, wo alle sagen, okay?“

Appell an die Vernunft des Herzens - doch reicht das?

Weil das Elevate auch immer wieder an die Vernunft des Herzens und den Glauben an eine bessere Gegenwart appelliert, hier der Buchtipp von Ariadne von Schirach: „Wie können wir sagen, das Wertvollste, das wir haben, ist unsere Lebenszeit. Wir müssen sterben, wir wissen nicht, was danach ist. Wie können wir eine Gesellschaft so einrichten, dass wir möglichst viel Zeit haben? Und was macht man, wenn man viel Zeit hat? Man denkt nach, man macht Liebe, man säuft sich ordentlich einen an – all das, wofür es sich zu leben lohnt. Tolles Buch: „This life – Secular faith and spiritual freedom” von Martin Hägglund.”

Die Demokratie ist gefragt

Doch sich nur nicht zu sehr einzulullen in schönen Sätzen! Dass unsere Gesellschaft keinen anderen Wert kenne als Profit, ist für von Schirach offensichtlich: „Nur im Einzelnen kann sich die Welt verwandeln. Aber: Wir haben zwei Probleme, die sich nicht wegwünschen lassen. Das erste ist, dass wir eine monopolistische Konzentration von Kapital haben. Wir haben eine wirtschaftliche Macht bei Großkonzernen. Die zahlen nicht mal Steuern! Wir haben strukturelle Probleme, die nur auf struktureller Ebene gelöst werden können. Deswegen ist das jetzt die spannendste Zeit für die Demokratie."

Und die Wiener Politikwissenschaftlerin Tamara Ehs wirft eine zentrale Frage unserer Gegenwart auf: „Es gibt dann Ressourcenkriege, Knappheit, Wasser, Ackerbau. Überhaupt noch Klimazonen, in denen man gut leben kann. Und das ist das Klassische, was die Rechtsautoritären Kampf um Lebensraum nennen. Und die wissen, wie sie das bearbeiten. Und das ist dann unsere Aufgabe oder Frage: Wie bearbeiten wir diese Krisen?“

Adenike Oladosu

Valerie Maltseva

Adenika Oladosu war eine der ersten Fridays-for-Future-Aktivistinnen in Nigeria. Sie fordert Abrüstung.

Die Klimakrise ist bereits Gegenwart

Für die nigerianische Fridays-for-Future-Aktivistin Adenike Oladosu sind diese Szenarien Gegenwart. Sie erklärt am Elevate Festival in Graz, wie die Entführungen nigerianischer Schulmädchen durch die Terrormiliz Boko Haram mit dem Klimawandel zusammenhängen. Terroristen rekrutieren ihre Kämpfer und den ärmsten der Bevölkerung um den Tschadsee, der in den letzten Jahrzehnten verdampft ist. Der See ist um 90 Prozent geschrumpft, die Menschen haben ihre Lebensgrundlage verloren. Adenike Oladosu fordert Abrüstung und Frieden.

Das Elevate hat erneut mit Gästen überrascht, die nicht jede Woche in einer TV-Talkshow sitzen. Dass sich Publikum und Gäste hier tatsächlich austauschen können und hier Zeit verbringen, ist Jahr für Jahr beeindruckend und ein großer Gewinn im Wissen um die Welt.

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