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Antisemitisches Buchcover

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Blumenaus 20er-Journal

Unaufgearbeiteter christlich-sozialer Antisemitismus

Egal ob es um den Wiener Bürgermeister Lueger oder den einem neuen Sachbuch beschriebenen Geheimbund von Nationalen und Christdemokraten in der Zwischenkriegs-Zeit geht: die Konservativen tun sich schwer mit ihrem Anteil historischen Schuld am österreichischen Antisemitismus umzugehen.

Von Martin Blumenau

Wie so oft in der österreichischen Geschichte beginnt das Grauen als Witz. „Wer a Jud ist, bestimm i!“, ein Zitat des Wiener Jahnhundert-Wende-Bürgermeister Karl Lueger dient seit jeher als augenzwinkernde Verharmlosung des bürgerlichen Antisemitismus. Luegers raffiniert populistisch inszenierte antisemitische Hetze diente Herrn Hitler als verheerendes Vorbild, trotzdem wird er nicht nur von Rechtsextremen bis heute verehrt, auch die Distanzierung seiner Heimat-Partei, der Christlich-Sozialen, also der Vorgänger-Partei der ÖVP, fällt recht mau aus. Es dauerte ewig, bis der nach Lueger benannte teil der Wiener Ringstraße endlich umbenannt wurde; der zentrale Karl-Lueger-Platz heißt noch immer so und es gibt auch anlässlich seines 110jährigen Geburtstags morgen mehr Feiern und nur wenig Bewegung etwas zu ändern.

Buchcover "Der Deutsche Klub"

Czernin Verlag

„Der Deutsche Klub“ ist im Czernin-Verlag erschienen.

Da passt eine Buch-Veröffentlichung der Vorwoche gut ins Bild. In Der Deutsche Klub - Austro-Nazis in der Hofburg erzählen die Historiker*innen Linda Erker, Andreas Huber und Klaus Taschwer vom gleichnamigen Geheimbund sowie der Schwester-Organisation der „Deutschen Gemeinschaft“, einer Koalition aus Deutschnationalen und Christdemokraten, die Politik, Justiz und andere Machtzentren unterwanderte. es ging um Freunderlwirtschaft, Postenschacher und den Kampf gegen Liberale, Linke und Juden.

Eine der großen Gemeinsamkeiten der eigentlich parteipolitisch verfeindeten Gruppen: ihr Antisemitismus. Bei den Nationalen (siehe Schönerer) gehörte der immer schon zum Programm, bei den Christsozialen war er spätestens mit Lueger salonfähig geworden. Mit dabei waren mit Dollfuß oder Seyß-Inquart gleich zwei spätere Diktatoren und natürlich war auch die in der austrofaschistischen Diktatur der Vaterländischen Front starke katholische Kirche prominent vertreten.

Nach 1945 wurde weiter geklüngelt: vor allem an der Uni Wien war der Geheimbund weiter aktiv. Und weil sich das offizielle Österreich nach 1945 auf ein zwar nicht erfundenes, aber massiv geschöntes Narrativ der Nazi-KZ-Notgemeinschaften zwischen Sozialdemokraten und Christdemokraten stützte um so die Nationalen und Nazis außen vor zu halten, wurde weder der Austro-Faschismus noch die Koalitionen zwischen Konservativen Christlich-Sozialen und Nationalen sowie späteren Nazis noch der diese beiden gruppierenden verbindende Kitt, eben der Antisemitismus, ernsthaft aufgearbeitet. Die ÖVP tat und tut sich schwer - die mühselige Geschichte des Dollfuß-Bildes in den alten Klub-Räumen, die erst 2017 zu einem Ende kam, ist ein bekanntes, der Hintergrund des VP-Gründer Leopold Kunschak als glühender Antisemit ein weniger bekanntes Beispiel.

Was hat das alles mit dem Hier und Jetzt zu tun?

Eine Koalition aus Nationalen und Christdemokraten bestand bis vor kurzem und die Überbetonung der Tatsache, dass man inhaltlich auf einer Wellenlänge sei, lässt in ideologischer Hinsicht tief blicken. Die FPÖ hat in punkto Antisemitismus weiter ihre blinden Flecken, wie nicht nur der DÖW anlässlich des jüngsten Historiker-Berichts feststellt, wenn er von „fehlendem Problembewusstsein für Fragen des Antisemitismus“ spricht.

Was mittlerweile jeder größere Fußball-Verein anbietet, nämlich die Aufarbeitung von Nationalsozialismus und Antisemitismus ist bei der ÖVP eine Fehlstelle, die gern mit der klaren Haltung des aufgeklärten urbanen Bürgertums und seinen guten Beziehungen zur heimischen Kultusgemeinde erklärt wird. In ländlichen Gebieten (oft dort, wo niemand jemals einen Juden gesehen hat) hält sich aber seit Generationen der alte konservative Antisemitismus aus den Zwanziger Jahren.

Dazu kommt das unsichtbare Band der gemeinsamen Feindbilder, die Nationale und Christdemokraten bis hin zu heutigen FP-VP-Koalitionären pflegen: Linke und gesellschaftspolitische Liberale sind übergeblieben und in manchem Hinterkopf werden sie - ohne das antisemitisch zu meinen - immer noch mit Juden gleichgesetzt. Eine ernsthafte Aufarbeitung von Seiten der Nachfolge-Partei der CS sollte zu einer zumindest symbolpolitische Verdeutlichung der radikalen Abkehr vom Antisemitismus führen können.

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