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Bad Bunny

TIMOTHY A. CLARY / AFP

Bad Bunny definiert das Urbano-Genre neu

Mit über 60 Millionen Streams in den ersten 24 Stunden ist Bad Bunnys Album „YHLQMDLG“ das bisher meist-gestreamte des Jahres. Aber wer ist der Musiker aus Puerto Rico überhaupt und warum ist er gerade jetzt so wichtig?

Von Melissa Erhardt

Frühestens seit „Gasolina“ und spätestens mit „Despacito“ ist Reggaeton auch in Europa manchen ein Begriff. Viel können die meisten aber trotzdem nicht damit anfangen. In den USA ist das Urbano Genre in den letzten Jahren zu einem fixen Bestandteil der Populärmusik geworden, was bei einem hispanischen Bevölkerungsanteil von 18 Prozent wenig verwunderlich ist. In den letzten Jahren hat das Genre allerdings einige Entwicklungen durchgemacht. Eine der Galionsfiguren dieser Veränderungen ist der puerto-ricanische Benito Antonio Martinez Ocasio, besser bekannt als Bad Bunny.

Urbano oder Latin Urbano ist ein Sammelbegriff für verschiedene Musikstile und inkludiert Reggaeton, Latin Hip Hop, Latin Trap, Dancehall, Dembow und Rio Funk. Urbano bezeichnet somit also spanisch-sprachige Urban Musik, die ihre Wurzeln im karibischen Raum hat. Die prominentesten Vertreter des Genres waren 2019 Bad Bunny, Ozuna und J Balvin. Als OGs gelten Größen wie Daddy Yankee (Gasolina), Don Omar (Danza Kuduro) und Nicky Jam (6 AM).

Ein Potpourri aus Trap und Reggaeton

Bad Bunny dominiert das Urbano-Genre wie kein anderer. Mit seinem zweiten Solo-Album „YHLQMDLG“, das für „Yo Hago Lo Que Me Da La Gana“ (Ich mach, was ich will) steht, hat der Musiker bereits Spotify-Rekorde gebrochen. In Europa am ehesten noch für sein Feature auf Cardi B‘s „I like it“ oder seinen Auftritt beim Super Bowl bekannt, mischt der ehemalige Supermarktangestellte das Latino Game gerade neu auf. Mit seinem Potpourri aus Latin Trap und Reggaeton, das er immer wieder mit Punk-Pop- und Rock-Elementen aufpeppt, vereint er die alte Schule des Reggaetons mit neueren Urbano-Stilen und treibt so die Internationalisierung des Genres voran.

Während sein Debütalbum „X100PRE“ noch sehr introspektiv und eher dunkel war, soll sein zweites Album vor allem eins: Spaß machen. Dabei steuert er einem Trend entgegen, der mit der Kommerzialisierung des Reggaetons einhergegangen ist: der „Verpoppung“ des Genres.

Die Familienfreundlichkeit des Genres

Reggaeton stand nämlich seit seinen Anfangsjahren in den 90ern immer wieder für seine hyper-sexualisierten Lyrics und die explizite Veranschaulichung von Drogen und Kriminalität in der Kritik. Auch der Perreo, ein Tanzstil, der sich vom spanischen Wort Perro (Hund) ableitet und auf sexuelle Praktiken anspielt, hat nicht gerade dazu beigetragen, das Genre familienfreundlicher zu machen. Mitte der 90er hat man versucht, Reggaeton im Zuge einer ‚Aufräumaktion‘ der puerto-ricanischen Verwaltung zu verbieten: Autos, in denen Reggaeton lief, wurden angehalten, Kassetten wurden aus Musikläden entfernt. Erst mit Größen wie Daddy Yankee feierte das Genre seinen internationalen Durchbruch und passte seine Lyrics etwas mehr an den Mainstream an.

Damit hat sich das Genre aber auch immer mehr von seinen afrokaribischen Ursprüngen entfernt. Beispiele dafür sind Songs wie Despacito, die sich zwar des typischen Dembow-Beats bedienen, ansonsten aber eigentlich als Popsongs durchgehen.

Zurück zum Ursprung

Bad Bunny holt sich auf „YHLQMDLG“ Reggaeton-Mitbegründer wie Daddy Yankee, Nengo Flow und Jowell & Randy mit ins Boot und liefert damit eine Art Hommage an die Ursprünge des Genres. Etwa auf dem Track „Safaera“, der von vielen als Meisterwerk gepriesen wird. Auf dem Song finden sich insgesamt acht Beat-Wechsel, Reggaeton-Klassiker werden genauso gesamplet wie Missy Elliotts „Get ur Freak on“ und Bob Marleys „Could You be Loved“-Basslinie.

Auch inhaltlich bricht Bad Bunny mit einigen Traditionen seiner Vorgänger: Zwar übernimmt er viel von den klassischen Inhalten des Reggaetons (Sex, Frauen, Perreo), er hinterfragt aber immer wieder öffentlich gewisse Stereotype, mit denen das Genre arbeitet und die vor allem die Geschlechter betreffen. Etwa wenn er sich mit Rock und lackierten Fingernägeln auf die Bühne der Late Night Show stellt und mit seinem Shirt darauf aufmerksam macht, dass ‚Alexa getötet wurde, und nicht ein Mann mit Rock‘, in Anspielung an eine ermordete Transgender-Frau in Puerto Rico. In seiner Musik spricht er Themen wie Gewalt gegenüber Frauen („Solo de Mi“) ebenso an wie die Selbstbestimmung der Frauen in sexuellen Beziehungen („Diles“).

Er zeigt im Video zu „Ignorantes“ homosexuelle Liebe und singt in „La Santa“ davon, wie „alle Mädls und alle Burschen“ verrückt nach der Tänzerin sind. Zwar mag das im Jahr 2020 nicht mehr sonderlich außerordentlich sein, in der machohaften Kultur des lateinamerikanischen Raums ist das aber ein Riesenschritt.

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